"Fehler machen ist keine Schande“
Die Österreicher haben es nicht so mit der Mathematik. Die Ergebnisse der Bildungsstandards haben das wieder einmal deutlich gemacht. Rudolf Taschner, Österreichs bekanntester Mathematiker, sagt im KURIER-Interview, was sich in den Klassenzimmern ändern muss.
KURIER: Mathe ist nicht sexy. Politiker prahlen damit, dass sie in dem Fach eine Niete waren.
Rudolf Taschner: Christoph Leitl macht das noch immer. Es ist eine Methode, um sich beim Volk einzuschmeicheln.
Was läuft schief im Unterricht?
Es wird nur geschaut, welche Fehler ein Schüler macht. Da kommt keine Freude auf. Fehler zu machen ist keine Schande. Nicht zu erkennen, dass man einen Fehler gemacht hat, ist schon ein bisschen schlimmer. Doch aus Fehlern heraus komme ich zur Erkenntnis.
Sollte es Gutpunkte fürs Fehlererkennen geben?
Ja. Na gut, ich weiß: Kinder machen Fehler extra. Worauf ich hinaus will: Die Kinder sollen sagen, wenn ich Mathe mache, dann habe ich etwas geleistet. Der Unterricht soll vermitteln: So jetzt könnt ihr etwas. Denn wenn ich weiß, dass ich etwas kann, bin ich glücklich. Kinder fragen dann nicht einmal mehr: „Wozu brauchte ich das?“ Die Lehrer sollen sagen: „Wir werden ihnen beibringen, dass sie etwas können.“ und nicht: „Wir werden prüfen, ob sie etwas nicht können. “
Das ist noch nicht in den Köpfen der Lehrer.
Nein. In ihren Köpfen ist auch nicht, dass sie sich verbessern können. Dafür gibt es ja die Fortbildung. Viele erklären immer nur auf die gleiche Art und Weise.
Warum Mathematik?
Es vermittelt ein Wissen, das ewig gleich bleibt. Das Grundlegende gehört zum Bildungskanon. Die Mathematik muss in der Schule gelehrt werden. Es wäre schön, wenn wir auch die Trainingsstunden in der Schule machen könnten. Früher mussten die Kinder ja am Nachmittag nach Hause, weil sie den Eltern helfen mussten. Das ist heute nicht mehr nötig.
Das heißt Ganztagsschule?
Wenn Eltern ihr Kind am Nachmittag zu Hause haben wollen, sollen sie das. Ich bin mir sicher: Würden wir viel in die Schule investieren, würden viele das Angebot annehmen. Es ist doch schön für Eltern, wenn sie ihr Kind abholen und nicht mit ihm noch Mathematik lernen müssen, sondern mit ihm spielen können.
Haben wir ausreichend gute Lehrer dafür?
Nein. Der Grund: Bestimmte Berufsgruppen bekommen eine gesellschaftliche Minderung, wenn sie von vielen Frauen ausgeübt werden – sie werden nicht als Ganztagsjob wahrgenommen. Diese gesellschaftliche Minderung ist der größte Fehler, den die Gesellschaft den Lehrern antut. Das ist ein Vollzeitjob. Lehrer müssen vollen Einsatz geben. Und: Ein Lehrer soll nicht während seiner gesamten Karriere das Gleiche machen. Gute Lehrer bilden in späteren Jahren die jungen aus. Die Schlechten sollen in eine Bibliothek gehen. Die Schlechtesten gehören raus. Auch Lehrer können freigestellt werden – das wäre einmal eine Schlagzeile.
Ist die Lehrerausbildung gut?
Sie ist nicht optimal. Langfristig müssen wir sie verbessern. „Gute Reise!“ wünsche ich den beiden Ministern (Claudia Schmied und Karlheinz Töchterle). Derzeit geht es ihnen nur um die Kompetenzfrage: Was darf die Pädagogische Hochschule, was die Universität? Auf das Inhaltliche wird wenig geschaut. Ich habe jetzt schon Angst vor den Didakten, die mir an der Uni erklären, wie man unterrichtet. Das sind Leute, die seit der Matura nicht mehr in der Schule waren. Die hätten Angst in der Klasse. Sie müssten sich dort vor den Papierkügelchen, die ihnen entgegen fliegen, mit dem Holzdreieck wehren .
Es braucht bessere Lehrer-Ausbildner?
Ein wirklich guter ist Stefan Hopmann. Den Verantwortlichen sage ich: Wenn ihr einen gute Lehrerbildung wollt, nehmt euch einen guten Mann, nehmt den Stefan Hopmann. Hört auf ihn und die Ausbildung der Lehrer wird gut. Hört nicht auf ihn, und sie bleibt schlecht.
Die Lehrer sind wichtig?
Die Lehrer sind die Masters of the Universe. Sie sind wichtig für die Zukunft. Derzeit haben sie kein Standing in der Gesellschaft. Die Lehrer müssten da selbstbewusster auftreten.
Wo brauche ich die Mathematik im Alltag?
Ein Beispiel. Nehmen wir Josef den Nährvater. Er legt im Jahr 1.n.Chr. 1 € bei der Bank von Bethlehem an. Josef ist ein solider Mensch und nimmt die 3,5 Prozent. Jetzt gibt es eine Regel – die müsste man lernen, bis man das Zeitliche segnet. „70 geteilt durch die Prozentzahl im Jahr ergibt die Zahl der Jahre, die Sie warten, bis sich der Betrag verdoppelt.“ Also in unserem Fall: „70:3,5 = 20“. Nach 20 Jahren sind es 2 € , nach 40 Jahren 4 € , nach 60 Jahren 8 €, nach 16 Jahren 8 €, nach hundert Jahren 32 €. Nach 200 Jahren haben wir den Euro schon 10 mal verdoppelt und haben 1024 €. Jetzt 2012 ist - Wir hätten jetzt einen 30-stelligen Betrag. Aber die Bank von Bethlehem gibt es nicht mehr. Damals gab es Sesterzen. Haben wir keine mehr. Gulden, Florin, Kronen, Schilling gibt es nicht mehr. Jetzt wissen Sie, warum es häufig zu einer Währungsreform kommt.
Rudolf Taschners Vorträge bei math.space sind auch auf Youtube zu sehen - hier beispielhaft der Vortrag zur Formel Albert Einsteins.
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