Rot-Schwarz ade, Wettlauf um die FPÖ
Zwei Bilder, zwei Wendepunkte.
Am 23. November 1986 entstand das bekannte Foto von SPÖ-Chef Franz Vranitzky, ÖVP-Obmann Alois Mock und FPÖ-Chef Jörg Haider. Die Herren stehen im Innenministerium, wo das Ergebnis einer historischen Nationalratswahl bekannt gegeben wird.
Vranitzky veranlasste diese Neuwahl und stellte seinem FPÖ-Koalitionspartner den Sessel vor die Tür, weil die FPÖ ihren liberalen Obmann Norbert Steger gestürzt und den rechtsnationalen Jörg Haider – unter Hitlergrüßen – auf den Schild gehoben hatte.
Bei der Neuwahl landete Vranitzky auf dem ersten Platz. Ab da galt in der SPÖ die Vranitzky-Doktrin: Niemals mit der FPÖ!
ÖVP-Chef Mock, der zu seiner großen Enttäuschung und Überraschung nicht Erster wurde, liebäugelte mit einer schwarz-blauen Koalition, wurde aber – von Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung – eingebremst. Die großen Reformen könnten nur die großen Parteien durchführen, sagten sie.
Die schwankende ÖVP
Seit 1986 schwankt die ÖVP zwischen Großkoalitionären und Schwarz-Blauen. Machttechnisch war die ÖVP der SPÖ damit stets überlegen. Sie zog bei Bedarf die blaue Karte, während die SPÖ bei der FPÖ nicht anstreifen durfte und der ÖVP ausgeliefert war.
Wahlstrategisch hingegen war die strikte Abgrenzung gegenüber der FPÖ für die SPÖ ein Vorteil. Der Rechts-außen-Feind diente als ideologischer Kitt und als Mobilisierungshilfe in Wahlkämpfen. Zuletzt sammelte Michael Häupl im Oktober 2015 mit der Warnung vor einem blauen Bürgermeister 40 Prozent der Wiener Stimmen ein.
Am 23. November 2016 entstand ein anderes, möglicherweise historisches Foto - ein freundlicher Handschlag zwischen SPÖ-Chef Christian Kern und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache. Die Herren geben Im Klartext auf Ö1 ein Doppelinterview, in dem Kern Strache amikal auffordert, doch einmal gemeinsam auf ein Bier zu gehen und ihm zugesteht, "Österreich nach vorne bringen" zu wollen. Moderator Klaus Webhofer redet ununterbrochen von Rot-Blau – und Kern widerspricht dem nicht. Strache steht daneben und kichert wie ein frisch Verliebter.
Die Tage danach wird Kerns Radio-Auftritt von der SPÖ heftig beklatscht, auch Vranitzky protestiert nicht. Der Kurswechsel dürfte mitgetragen werden. Statt "Refugees Welcome" heißt es jetzt "Willkommen FPÖ".
Deckel auf dem Druckkochtopf
Was werden die Folgen sein? Der Deckel auf dem Druckkochtopf ÖVP könnte bald in die Luft fliegen. Der großkoalitionäre Reinhold Mitterlehner wird noch mehr unter Druck kommen. "Die Funktionäre werden zu Mitterlehner sagen: Wieso bemühst du dich so um diese Regierung, wenn auf der anderen Seite der Kanzler schon auf Brautschau geht?", meint ein Intimkenner der ÖVP. Außerdem dürften die schwarzen Funktionäre nervös werden und so wie die SPÖ und die FPÖ ihre Trumpfkarte zücken und in den Machtpoker einsteigen wollen. Sobald die ÖVP Außenminister Sebastian Kurz auf den Schild hebt, gibt es Neuwahlen.
Und das kann schnell gehen.
Auch auf dem Wählermarkt wird der neue SPÖ-Kurs Folgen haben. Derzeit liegt die FPÖ in den Umfragen so weit vor der SPÖ und der ÖVP wie noch nie. Trotz Kern. Und trotz einiger positiver Regierungsbeschlüsse (etwa Bildung). Es kursiert eine Mandatsrechnung, wonach die FPÖ derzeit auf 61 Mandate käme, die SPÖ auf 47, die ÖVP auf 37. 92 sind das Minimum für eine parlamentarische Regierungs-Mehrheit. Dass die FPÖ so hoch liegt, hat nicht nur mit dem Ausländerthema, sondern mit einem massiven Misstrauen in die Regierung zu tun. „Es ist wie bei einer Aktienblase, die FPÖ ist überhitzt“, sagt ein Experte. Sobald sich SPÖ und ÖVP von der großen Koalition abwenden, könnten sie ihre Umfragewerte verbessern und die FPÖ auf ein realistisches Maß sinken. Somit würden sich die drei Parteien annähern. Im kommenden Nationalratswahlkampf sei daher ein spannender Dreikampf zwischen Kern, Kurz und Strache um Platz 1 zu erwarten.
Der FPÖ-Chef hat die Gefahr, seinen Riesenvorsprung zu verlieren, wenn er einer der beiden Regierungsparteien allzu nahe kommt, schnell erkannt. In der Krone am Sonntag verweist Strache Rot-Blau ins Reich der Phantasie. Die vom rot-blauen Burgenländer Hans Niessl ins Spiel gebrachte Vermögenssteuer erklärt Strache zum No-Go.
Der Wahlkampf hat begonnen.
Kommentare