EU-Renaturierung: Türkis-grüne Koalition steht auf der Kippe

MINISTERRAT: BRUNNER / KOGLER / NEHAMMER / GEWESSLER
Umweltministerin Leonore Gewessler will am Montag für das umstrittene EU-Renaturierungsgesetz stimmen. In der ÖVP ist man über den Alleingang der Ministerin verärgert. Bundeskanzler Karl Nehammer droht nun mit einer Nichtigkeitsklage beim EuGH.

Der Koalitionsstreit zwischen ÖVP und Grüne um das EU-Renaturierungsgesetz spitzt sich zu. Nachdem Umweltministerin Leonore Gewessler angekündigt hatte am Vormittag gegen den Willen des Koalitionspartners dem umstrittenen Gesetz zuzustimmen, kontert nun Bundeskanzler Nehammer. 

Er hat den belgischen Ratsvorsitz darüber informiert, dass eine Zustimmung von Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) zur EU-Renaturierung rechtswidrig wäre. 

Wie das Bundeskanzleramt am Montag in einer Stellungnahme gegenüber der APA mitteilte, müsse es "bei der bereits gemäß den üblichen Verfahren eingemeldeten Stimmenthaltung Österreichs bleiben". Andernfalls drohe eine Nichtigkeitsklage beim EuGH.

Aus dem Kabinett des Bundeskanzlers heißt es dazu: "Dies unter anderem deswegen, weil eine aufrechte negative Stellungnahme der Bundesländer vorliegt und das notwendige Einvernehmen zwischen den betroffenen Bundesministerien fehlt. Wie in anderen Staaten auch sind die Voraussetzungen für eine Zustimmung zum vorliegenden Entwurf nicht gegeben."

Leonore Gewessler Statement

Gewessler plädierte am Montag vor dem EU-Umweltministertreffen in Richtung Koalitionspartner für eine "Abrüstung der Worte". Davon, dass die ÖVP die Zusammenarbeit mit den Grünen beende, gehe sie nicht aus, sagte sie Ö1. "Ich erwarte auch keine Ministeranklage. Meine Zustimmung ist rechtskonform."

Gewessler weist Vorwurf einer parteipolitischen Taktik zurück

Den Vorwurf einer parteipolitischen Taktik vor der Nationalratswahl wies Gewessler ebenso zurück. "Dem muss ich schon widersprechen", sagte sie. "Der EU-Kalender hält sich nicht an österreichische Innenpolitik." Und dies werde der Tragweite der Entscheidung auch nicht gerecht: "Ich stehe auf der Seite der Natur und trage die Verantwortung in der Entscheidung hier im Rat", betonte Gewessler.

 "Ich laufe vor der Verantwortung nicht davon." Es gehe um "unser aller Lebensgrundlage", die Natur habe dringend Erholung nötig und könne sich nicht selbst gegen Beton wehren. Gleichzeitig seien "wir Menschen auf die Natur angewiesen".

Hintergrund: Der Koalitionszank um das EU-Renaturierungsgesetz schwelt schon länger - seit Wochen war man sich uneinig, inwiefern die Grüne Klimaschutzministerin Leonore Gewessler Einvernehmen mit den Bundesländern und dem Landwirtschaftsministerium herstellen müsste. 

Spätestens seit die Wiener Landesregierung vergangene Woche ihren Meinungsumschwung und damit die Zustimmung zum Renaturierungsgesetz formell bekräftigt hat, hat sich eigentlich abgezeichnet, dass Gewessler ernst machen wird. Am Sonntag kündigte Gewessler schließlich in einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz an, am Montag beim Treffen der EU-Umweltministerinnen und -minister in Luxemburg für das EU-Renaturierungsgesetz zu stimmen - sollte es zur Abstimmung kommen, was noch nicht fix war.

Die ÖVP wirkte Sonntagnachmittag in der Kommunikation dennoch einigermaßen überrumpelt. Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) warf Gewessler "Verfassungs- und Gesetzesbruch" vor und kündigte "rechtliche Konsequenzen" an - welche das sein sollen, konnte man in der Volkspartei am Sonntag allerdings nicht beantworten, dies werde noch beraten, hieß es. 

Von einem "Koalitionsbruch" wegen des grünen Alleingangs wollte man in ÖVP-Regierungskreisen bisher noch nicht sprechen. Man wolle einmal abwarten, ob es überhaupt tatsächlich zur Abstimmung kommt. Nur Vorarlbergs Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP) platzte offenbar Sonntagabend der Kragen, er warf den Grünen öffentlich einen "klaren Koalitionsbruch auf Bundesebene" vor.

Intern wird über Ausstieg aus Koalition nachgedacht

Dass bisher kein namhafter ÖVP-Bundespolitiker das Wort "Koalitionsbruch" in den Mund nahm, heißt aber nicht, dass nicht intern sehr wohl über einen Ausstieg aus der ungeliebten Koalition nachgedacht wird. Etliche in der Partei seien derart verärgert, dass sie aufs Schlussmachen drängen, war am Montag hinter vorgehaltener Hand zu hören. 

Dem gegenüber steht allerdings, dass es ohnehin nur mehr dreieinhalb Monate bis zur Nationalratswahl sind. In der verbleibenden Zeit steht eigentlich noch so manches an, was die ÖVP in trockene Tücher bringen will - mehrere Vorhaben liegen beschlussreif im Nationalrat, zudem möchte man noch die Besetzung des EU-Kommissars fixieren.

Im Grunde dreht sich die Frage darum, wie sich Kanzler und ÖVP-Chef Karl Nehammer im Wahlkampf positionieren will, war aus der Partei zu hören. Ein Austritt aus der Koalition so kurz vor der Wahl, obwohl man eigentlich immer versichert hat, die volle Legislaturperiode durchzudienen, könnte Nehammer im Wahlkampf von der Konkurrenz als Chaos ausgelegt werden. 

Und im ausgerufenen Kanzlerduell gegen den in allen Umfragen führenden FPÖ-Chef Herbert Kickl stünden gemeinsame Beschlüsse mit den Blauen in einem Spiel der freien Kräfte im Nationalrat wohl Nehammers Wahlkampferzählung entgegen, hieß es aus Parteikreisen.

Teil der Grünen Wahlkampfstrategie

Dementsprechend entspannt geben sich die Grünen seit Sonntag. Gewesslers klares Ja zum EU-Renaturierungsgesetz gegen alle Widerstände aus der ÖVP ist Teil der Grünen Wahlkampfstrategie, die sich aufs Thema Klimaschutz fokussiert. Gegenüber der eigenen Wählerschaft wäre es schwer zu rechtfertigen gewesen, wenn die Grünen gegen Renaturierung stimmen, und die politische Konkurrenz hätte dies im Wahlkampf wohl genüsslich ausgebreitet, hieß es aus Grünen Parteikreisen. Nunmehr dürfte Gewessler, egal wie die ÖVP reagiere, von der eigenen Anhängerschaft Applaus erwarten - beispielsweise am Grünen Bundeskongress, der kommenden Samstag stattfindet.

Dort werden die Kandidatenlisten für die Nationalratswahl gewählt. Es geht dabei auch um die Bestätigung des derzeitigen Grünen Führungsteams: Spitzenkandidat wird Vizekanzler Werner Kogler, dahinter folgen Gewessler, Justizministerin Alma Zadic, Klubchefin Sigrid Maurer und Generalsekretärin Olga Voglauer. 

Die Koalition mit der ÖVP war wegen damit einhergehender Kompromisse in den vergangenen Jahren nicht bei allen Grünen beliebt, und auch über den EU-Wahlkampf - Stichwort Causa Schilling - gab es da und dort Gemurre. Gewesslers Einsatz für die Natur und gegen die ÖVP kommt den Organisatoren des Bundeskongresses also gerade recht.

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