Regierungsprogramm: Wer sich freut und wer sich ärgert
Das aktuell präsentierte und sehr umfassende Regierungsprogramm soll von 2017 bis 2022 umgesetzt werden. Die 182 Seiten des vorliegenden türkis-blauen Planes sind dicht und klingen nach sehr viel Arbeit. Nach und nach reagieren die heimischen Verbände und Akteure, hier ein Überblick:
Leitl erfreut über Beibehaltung der Kammern
Der scheidende ÖVP-Wirtschaftsbund- und Wirtschafskammerpräsident Christoph Leitl begrüßt, dass die ÖVP-FPÖ-Koalition an der Kammer-Pflichtmitgliedschaft festhält. Wenn die neue Regierung mit der Wirtschaftskammer in einen Dialog über Leistungen, Effizienz und Mitleidsbeiträge eintreten wolle, sei das für die WKÖ eine gute Gelegenheit bereits erfolgte Entlastungen für die Mitglieder darzustellen. Mit Anfang 2019 soll in der Wirtschaftskammer ja die Reform "WKÖ 4.0" greifen. Diese soll für ein Absinken der Mitgliedsbeiträge um rund 100 Mio. Euro sorgen und zusätzliche Serviceleistungen bringen. Auch an schon vorher erfolgte Absenkung der Mitgliedsbeiträge erinnerte Leitl in einer Aussendung. "Reformieren ja, Ruinieren nein - diesen Grundsatz leben wir."
Zum Festhalten an der Pflichtmitgliedschaft sagt Leitl, dass sich "ohne solidarische gesetzliche Mitgliedschaft viele Serviceleistungen der Kammern für ihre Mitglieder nicht finanzieren" ließen. Die solidarische Mitgliedschaft ist für den WKÖ-Präsidenten aber auch "eine Grundlage für den Erhalt des sozialen Friedens in Österreich. Dank der vielen Kollektivvertragsabschlüsse, welche die Sozialpartner Jahr für Jahr vereinbaren, gibt es in Österreich praktisch keine Streiks." Im "wirtschaftlichen Paradestandort Deutschland" hingegen gebe es fast drei Mal mehr Streiktage pro Beschäftigten wie in Österreich. "Da machen wir offenbar vieles richtig", ist Leitl überzeugt. Daher hätten die Kammern und die Sozialpartner auch eine breite Zustimmung in der Bevölkerung und bei ihren Mitgliedern.
Kirche begrüßt Bildungskapitel
Die katholische Kirche begrüßt die von der Regierung beschlossene Zusammenführung der Bildungsagenden in einem Ministerium. Vorschusslorbeeren gibt es laut Kathpress auch für den neuen Bildungsminister Heinz Fassmann (ÖVP). Schulbischof Wilhelm Krautwaschl und die Schulverantwortlichen der österreichischen Diözesen werten die Zusammenführung der Bildungsagenden von der Elementarpädagogik bis zum Universitätsabschluss in einem Ressort positiv. Unterstützt wird etwa auch die geplante Einführung eines Ethikunterrichtes für all jene Schüler, die keinen Religionsunterricht besuchen. Krautwaschl weist auch darauf hin, dass Bildung eine wesentliche Integrationsaufgabe erfüllt und das Beherrschen der deutschen Sprache daher unabdingbar ist. Gelobt wird auch die Bestellung von Bildungsminister Fassmann. Er verfüge über umfassende Expertise und ein Sensorium für die Bedeutung von religiöser Bildung, hieß es.
Kritik von SOS Mitmensch: Soziale Kälte
Scharfe Kritik setzte es hingegen seitens SOS Mitmensch, die dem neuen Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) "verantwortungsloses Machtstreben" vorwirft. SOS Mitmensch sieht im schwarz-blauen Regierungspaket einen "gefährlichen Etappensieg für extremistische Kreise". Vertreter und Förderer des "organisierten Rechtsextremismus" würden mit Macht über sicherheitsrelevante Ministerien ausgestattet, lautete die Kritik in einer Aussendung. Inhaltlich sei das Programm von "sozialer Kälte"und gesellschaftlichem Rückschritt geprägt, so die Organisation. Auch das Rote Kreuz übte Kritik an den angekündigten Maßnahmen, so sei etwa die Reform der Mindestsicherung keine Reform, sondern eine "drastische Kürzung", die dazu führen kann, Asylberechtigte in die Illegalität zu drängen. Mit kolportierten 365 Euro plus eines Integrationsbonus von 155 Euro im Monat sei in Österreich kein Auskommen möglich. "Es ist kein Zeichen von Stärke, Politik auf dem Rücken von Schwachen zu machen", heißt es beim Roten Kreuz.
WKÖ-Touristiker bejubeln Pläne für ihre Branche
In praktisch gleichen Aussendungen haben sowohl die Touristiker als auch die Hoteliers der Wirtschaftskammer die Vorhaben der kommenden Bundesregierung für ihre Branche begrüßt. Die Senkung der Umsatzsteuer auf Übernachtungen von 13 auf 10 Prozent per November 2018 findet sich jeweils als oberster Punkt einer Liste von Vorhaben, die auf Gegenliebe stoßen. Tourismus-Branchensprecherin Petra Nocker-Schwarzenbacher und Sigi Egger vom Hotellerie-Fachverband lobten unter vielen anderen Punkten auch, dass die vorgeschriebenen Ruhezeiten für Mitarbeiter von elf auch acht Stunden verkürzt werden sollen. Dieser Punkt findet sich im Regierungsprogramm insofern wider, als dass Arbeitszeitregelungen für Betriebe und Beschäftigte in der Gastronomie praxisgerecht gestaltet werden sollen.
Zustimmung von den Touristikern kommt auch für die umstrittene Raucherregelung nach "Berliner Modell'", das die Regierung vor hat. Erfreut zeigen sich die Branchenvertreter weiters über praktisch alle Punkte zum Tourismus im schwarz-blauen Regierungsprogramm. Dazu gehören Erleichterungen für Schulskikure, leichtere Betriebsanlagegenehmigungen für Betriebe bis 30 Betten, neue Abschreibungsdauern, eine Bekämpfung des Fachkräftemangels oder auch leichtere Betriebsübergaben. Aus Sicht der Spartenobfrau Nocker-Schwarzenbacher ist es gelungen, "in den Regierungsverhandlungen mit unseren fundierten Argumenten für Bürokratieabbau und Entlastungen zu überzeugen."
AUVA warnt vor Einschränkungen für Versicherte
Die Regierung verordnet der AUVA in ihrem Programm eine nachhaltige Reform. Bis Ende 2018 müssen ein Gesamtkonzept stehen und erste finanzielle Erfolge nachweisbar sein. Andernfalls wird die AUVA in die bestehenden Träger übergeführt und damit aufgelöst. Gleichzeitig wird der von den Unternehmern zu leistende Unfallversicherungsbeitrag von 1,3 auf 0,8 Prozent gesenkt und damit die Lohnnebenkosten um 500 Millionen Euro reduziert. "Eine Senkung des Unfallbeitrages in dieser Höhe würde an den Versicherten nicht spurlos vorübergehen", sagte AUVA-Obmann Anton Ofner in Reaktion. Er erforderte im Gegenzug zur Beitragssenkung eine "vollständige und sofortige finanzielle Entlastung bei versicherungsfremden Leistungen". "Die AUVA trägt Kosten für das Gesundheitssystem, die mit der Finanzierung der beruflichen Unfallversicherung und -versorgung nichts zu tun haben", so Ofner.
E-Branche freuen Pläne, die "noch ergänzt werden müssen"
Die Vertreter der E-Wirtschaft begrüßen das schwarz-blaue Regierungsprogramm auf ihre Branche bezogen. "Alle wichtigen Themen werden adressiert", erklärte Leonhard Schitter, Präsident von Oesterreichs Energie und Vorstandssprecher der Salzburg AG am Sonntag in einer Aussendung. Das Paket werde aber "in Zukunft sicher noch durch einige Klarstellungen ergänzt werden" müssen. Es sei "grundsätzlich richtig, die Versorgungssicherheit in den Mittelpunkt zu stellen", so Schitter. Die Bundesregierung bekenne sich zu den Prinzipien der Stromstrategie von Oesterreichs Energie "sicher, sauber, leistbar" sowie weitgehender Unabhängigkeit von Importen.
Junge Industrie: Teilweise richtiger Weg
Die Junge Industrie (JI) der Industriellenvereinigung (IV) vermisst im von der ÖVP und FPÖ vorgelegten neuen Regierungsprogramm den angekündigten "neuen Stil". Zudem fände sich im Programm "wenig Konkretes und vor allem gut klingende Überschriften". Noch nicht erkennbar seien "große Leuchtturmprojekte", kritisierte JI-Chef Andreas Wimmer am Sonntag in einer Aussendung. "Es geht teilweise sicher in die richtige Richtung, wie etwa bei mehr Flexibilität bei der Arbeitszeit oder der Stärkung des dualen Bildungssystems – nur ist eben noch nicht klar, was genau wie und wann umgesetzt werden soll", so Wimmer. Aber: "Bisher hat man das Gefühl, dass die wirklichen großen Brocken ausgelassen wurden. Ich hoffe nicht, dass es Teil eines neuen Stils ist, heikle Themen einfach auszuklammern." Es werde jedenfalls sicher nicht reichen, wenn "eine recht abstruse Diskussion über das Rauchen" das einzig öffentlich wahrnehmbare Highlight der neuen Bundesregierung bleibe. Klarerweise habe es aber jede neue Regierung verdient, erst an ihrer tatsächlichen Arbeit gemessen zu werden. Für die Arbeit wünscht die JI der schwarz-blauen Regierung das Beste, so deren Vorsitzender.
SPÖ-Pensionistenverband ortet "unsoziale" Maßnahmen
Kritisiert wird etwa, dass die Anhebung beim Pflegegeld nur ab Pflegegeldstufe 4 erfolgen soll. Auch die Mindestpension von 1.200 Euro bei mindestens vierzig Beitragsjahren sei "gut gemeint, aber nicht treffsicher". Die meisten Pflegegeld-Bezieher gebe es in den ersten drei Pflegegeldstufen (68 Prozent), hieß es in einer Aussendung des Pensionistenverbandes. Mehr als zwei Drittel aller Pflegegeld-Bezieher keine Erhöhung zu gewähren, sei daher unsozial. Auch die angekündigte Mindestpension sei nicht treffsicher: Bei Männern kann man eher davon ausgehen, dass sie auf 40 Beitragsjahre und somit auf eine Pension über 1.200 Euro kommen, Frauen seien aber de facto ausgeschlossen, da sie nur in geringen Fällen 40 Beitragsjahre erreichen.
Was die angekündigte 1.500 Euro-Mindestpension für Ehepaare, wenn einer der beiden 40 Beitragsjahre nachweisen kann, betrifft, fordert der Pensionistenverband dies bereits ab 30 Beitragsjahren. Auch Einschränkungen bei der Altersteilzeit seien kontraproduktiv. Gefordert wird weiters die Negativsteuer auch für Ausgleichszulagenbezieher oder der Wegfall der Wartefrist bei der ersten Pensionsanpassung. Ihre Kritik bekräftigte nach Parteichef Christian Kern auch die SPÖ-Bundespartei. Schwarz-Blau sei vom Start weg "inhaltsleer und ohne konkrete Projekte", die budgetäre Konkretisierung fehle völlig, hieß es in einer Aussendung. "Versprochen wurde mit großem Popanz die große Veränderung, herausgekommen ist Uraltes: Studiengebühren, also nichts weiter als eine neue Bildungssteuer, die die Mittelschicht ganz besonders trifft. Dazu kommen Kürzungen bei den Ärmsten durch eine wiederum nicht näher definierte 'Reform der Mindestsicherung'", stellte die interimistische Bundesgeschäftsführerin Andrea Brunner fest. Empört ist die SPÖ darüber, dass Projekte wie die "Aktion 20.000" und der Beschäftigungsbonus nun gekürzt oder gar abgeschafft werden sollen.
Arbeiterkammer nicht begeistert
Kritik am neuen Regierungsprogramm kommt von der Arbeiterkammer: "Grundsätzlich beurteilen wir jede Regierung nach dem, was sie für die Arbeitnehmer des Landes macht", betonte AK-Präsident Rudolf Kaske - wenn schon in den ersten Stunden Wirtschaft und Industrie applaudierten, müsse sich die Regierung in Sachen Arbeitnehmerrechte fragen, "ob das Applaus von der richtigen Seite ist". Kaske spielte damit etwa auf die geplante Flexibilisierung der Arbeitszeiten an, wo man Nachteile für die Arbeitnehmer befürchtet. Andere Maßnahmen aus dem Regierungsprogramm wollte Kaske am Sonntag noch nicht kommentieren, weil man gerade mitten in der intensiven inhaltlichen Bewertung sei. Die Arbeiterkammer will sich aber in den kommenden Tagen näher äußern.
ÖH "schockiert"
"Schockiert" zeigt sich die von linken Fraktionen geführte Österreichische HochschülerInnenschaft (ÖH) vom Programm der neuen Regierung in einer Aussendung. Dieses sieht unter anderem die Einführung von Studiengebühren sowie eine Einschränkung der Rechte der ÖH vor. Die Studentenvertreter kündigen daher bei der Angelobung "breite Protestmaßnahmen" an. Das Regierungsprogramm sieht unter anderem vor, dass die Mittel der ÖH "ausschließlich für Aufgaben der Beratung und Interessenvertretung von Studierenden verwendet werden können". Zur Sicherstellung sollen die Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten ausgeweitet werden. Die ÖH wertet das als "Beschneidung des allgemeinpolitischen Mandats".
"Dieses Programm hat unsere schlimmsten Befürchtungen übertroffen", hieß es weiter. "Dass offensichtlich geplant ist, unser hart erkämpftes und dringend notwendiges Mitspracherecht zu beschneiden, lässt einen fassungslos zurück", so ÖH-Vorsitzende Johanna Zechmeister (Fachschaftslisten). Auch in Sachen Studiengebühren zeigt man sich "irritiert": "Hier von moderaten Finanzierungsbeiträgen zu sprechen, ist an Zynismus kaum zu überbieten", meinte Zechmeisters Stellvertreterin Hannah Lutz (Verband Sozialistischer StudentInnen/VSStÖ). "Uns per Gesetz den Mund verbieten zu wollen und mit Sanktionen zu drohen, setzt dem ganzen noch die Krone auf", meinte mit Marita Gasteiger (Grüne und Alternative StudentInnen/GRAS) eine weitere Stellvertreterin. "Eine gesetzlich verankerte und demokratisch legitimierte Interessensvertretung derartig an die Leine nehmen zu wollen, zeigt die inhaltliche Hilflosigkeit dieser kommenden Bundesregierung."
Ebenfalls vehement gegen Studiengebühren sprach sich die VP-nahe AktionsGemeinschaft (AG) in einer Aussendung aus. "Die Einführung von Studiengebühren hat sich bereits zwischen 2001 und 2008 als Rohrkrepierer entpuppt und keine wirklichen Verbesserungen an den Universitäten herbeigeführt." Begrüßt wird dagegen die geplante Ausweitung eines "geregelten Zugangsmanagements" sowie die Einschränkung des allgemeinpolitischen Mandats der ÖH.
Agenda Austria bitter enttäuscht
Vom wirtschaftsliberalen Thinktank Agenda Austria kommen wenig lobende Worte für das schwarz-blaue Regierungsprogramm. "Wer sich von der neuen Regierung eine Generalsanierung des Hauses Österreich erwartet hat, wird nach Lektüre des Arbeitsprogramms bitter enttäuscht sein", hieß es am Sonntag in einer Mitteilung des Thinktanks mit Signatur von Direktor Franz Schellhorn. Aus Sicht von Agenda Austria bleibt immerhin "die Hoffnung, dass nach den vier (Landtags-)Wahlgängen 2018 noch mehr kommt". Das neue Kabinett fürchte "offensichtlich nichts mehr als den Vorwurf, eine Politik der 'sozialen Kälte' zu betreiben". Einzig die Obergrenze für die Mindestsicherung gehe in diese Richtung. "Geradezu ernüchternd ist das Kapitel Pensionen", schreibt Agenda Austria. Eine Sanierung des staatlichen Pensionssystems sei weit und breit nicht zu sehen. Eine Pensionsautomatik sei nicht vorgesehen, das gesetzliche Pensionsalter bleibe unverändert.
"Vergleichsweise harmlos" seien die Vorhaben bei Steuern und Finanzen. "Hier dominieren die Überschriften, im Detail bleibt die neue Regierung vage bis mutlos". Die Kalte Progression werde nicht eliminiert, dieser Schritt solle lediglich geprüft werden. Ermutigend seien hingegen die Vorhaben in der Bildung. Auch dass ein Arbeitsmarktprogramm wie die "Aktion 20.000" deutlich verkleinert werde, sei richtig. "Aus taktischen Gründen ist die Zurückhaltung der Regierung vielleicht zu verstehen", so die Agenda Austria. "Dem Land mangelt es allerdings nicht an politischer Taktik, sondern an einer umfassenden Erneuerung aller öffentlichen Bereiche. Und davon ist sehr wenig zu sehen." Die Regierung werde Kritiker nicht beruhigen, aber jene enttäuschen, die sich eine mutige Modernisierung des Landes gewünscht hätten, so der Thinktank.
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