Rechtsanwälte-Präsident: Sicherungshaft ist "brandgefährlich"
Das Thema Rechtsstaatlichkeit ist am Freitag im Mittelpunkt einer Tagung von Rechtsanwälten aus ganz Europa in Wien gestanden. Gleich zu Beginn warnte Rechtsanwaltskammer-Präsident Rupert Wolff davor, die durch das Ende des Totalitarismus in Europa vor 30 Jahren gewonnenen Freiheiten infrage zu stellen. OGH-Präsidentin Elisabeth Lovrek erinnerte die Politik an das Prinzip der Gewaltenteilung.
2019 sei ein wichtiges Gedenk- und Jubiläumsjahr, so Wolff, denn vor 30 Jahren sei der Eiserne Vorhang und die Berliner Mauer gefallen. Totalitarismus und Unterdrückung seien friedlich überwunden, rechtsstaatliche Strukturen in ganz Europa etabliert worden. Heute sei aber eine schleichende Abkehr von diesen Werten zu erkennen, deshalb stehe das Thema Rechtsstaatlichkeit im Mittelpunkt der diesjährigen Präsidentenkonferenz.
Das rechtsstaatliche Prinzip sei eines der Grundprinzipien der österreichischen Verfassung, so Wolff weiter. Es schütze vor Willkür bei der Anwendung staatlicher Gewalt, und der Gesetzgeber sei, abgesichert durch den Verfassungsgerichtshof, an höherrangiges Recht gebunden.
Leider gebe es in Europa und auch Österreich derzeit „Tendenzen, die besorgniserregend sind“. Wolff erinnerte an die Äußerungen von Innenminister Herbert Kickl (FPÖ), wonach das Recht der Politik zu folgen habe, sowie an dessen Forderung nach Einführung einer Sicherungshaft für Asylwerber. Manch ein Politiker wünsche sich eine Präventivhaft gleich für alle Bürger, wenn ein psychologisches Gutachten Gefährlichkeit attestiere.
Wolff: "Ich halte das nicht nur für bedenklich aus rechtsstaatlicher und verfassungsrechtlicher Sicht, sondern schlichtweg für brandgefährlich. Wer so etwas 30 Jahre nach Ende des Totalitarismus in Europa fordert, benötigt schleunigst Nachhilfe in Geschichte."
Elisabeth Lovrek, Präsidentin des Obersten Gerichtshofs (OGH), hob die Unabhängigkeit der Gerichte als Herzstück des Rechtsstaats hervor. Hierzulande sei auf den ersten Blick alles in Ordnung, doch dass man vor politischer Einflussnahmen wie etwa in Polen wirklich abgesichert sei, sei auch in Österreich eine Illusion, warnte sie in Hinblick etwa auf die Möglichkeit, Altersgrenzen für Richter einfachgesetzlich ändern zu können.
Auch das Prinzip der Gewaltenteilung hob sie hervor. Für die Richter bedeute das Zurückhaltung und das Anerkennen, nicht Gesetzgeber zu sein; für die Politik, nicht über dem Gesetz zu stehen und dem Recht zu folgen. Sie äußerte die Hoffnung auf ein Verständnis dafür, dass der durch die Unabhängigkeit der Gerichte scheinbar bewirkte Machtverlust für die Politik „in Wahrheit ein Segen für den Rechtsstaat ist“.
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