Rebellion gegen den Parteichef
An dem Tag, als Michael Spindelegger dem ÖVP-Vorstand seine Ministerliste präsentierte, auf der sich weder ein Vertreter der westlichen Bundesländer noch ein Steirer befand, raunte ein hoher ÖVP-Funktionär dem KURIER zu: „Damit hat Spindelegger seine Abdankungsurkunde unterschrieben.“
Was damals drastisch übertrieben klang, ist vier Wochen später ein realistisches Szenario. Jeder mehr oder weniger wichtige ÖVP-Funktionär „kennt“ inzwischen ein Ablösedatum für den Parteichef. Die einen glauben, nach der EU-Wahl werde es so weit sein, falls die ÖVP unter die Marke der Nationalratswahl (24 %) falle. Dann werde Spindelegger EU-Kommissar, und Andrä Rupprechter oder Reinhold Mitterlehner ÖVP-Obmann.
Als nächstes Falldatum für Spindelegger wird die Wirtschaftskammerwahl im Frühjahr 2015 genannt, falls der Wirtschaftsbund zu viel an die Neos verliert und in der Wiener Kammer unter 50 Prozent fällt.
Die Spindelegger-freundlichste Fraktion glaubt, dass es erst nach den Landtagswahlen im Herbst 2015 (Wien, Steiermark) so weit sein wird. Aber kaum jemand gibt dem Parteichef eine längere Verweildauer als bis 2016.
Als Brandbeschleuniger fungiert im Moment die Debatte über die Gesamtschule. Die westlichen Bundesländer plus die Steiermark rebellieren gegen Spindeleggers Sturheit in der Sache und Abgehobenheit im Ton: Mit den Worten, er sei ja nicht „das Christkind“, schmetterte Spindelegger Wünsche nach Modellversuchen ab. Oberösterreichs Landeshauptmann Josef Pühringer mutmaßte gestern im KURIER, dass ein Motiv für die Gesamtschuldebatte auch der Ärger über die verweigerten Ministerposten sei.
Ganz so platt – bloße Rache wegen eines Ministerpostens – ist die Sache aber nicht. Das geht unter anderem aus dem Interview mit einem der betroffenen Landeshauptleute, Wilfried Haslauer (siehe Seite 2), hervor: Der Westen sieht die Notwendigkeit, dass sich die ÖVP öffnet, modernisiert, Neues ausprobiert.
In dieses Horn stößt auch Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl: Er sieht in der Gesamtschule keine Bedrohung, sondern eine Chance, sofern sie so ausgestaltet ist, dass Talente gefördert werden.
Verständlich wird der Konflikt in der ÖVP vor dem Hintergrund der politischen Akteure. In den westlichen Bundesländern gedeihen die bürgerlichen Grünen und sprießen die ebenfalls bürgerlichen Neos. In Innsbruck und Salzburg wurden die Grünen bei der letzten Nationalratswahl erstmals stärkste Partei. Für den Wirtschafts-affinen Teil der ÖVP sind die Neos extrem attraktiv, fordern sie doch genau jene Reformen, die seit Jahr und Tag an den üblichen Verdächtigen – Betongewerkschaften und Föderalisten – scheitern. In Vorarlberg muss Landeshauptmann Markus Wallner bei der Landtagswahl im September verhindern, dass ÖVPler zu den Neos abwandern. Die Steirer passen perfekt in diese West-Allianz, war doch die „steirische Breite“ immer schon ihr Markenzeichen – und der „Stahlhelm“ des niederösterreichischen ÖAAB ihr Feind-Emblem.
Der Westen und die Steirer betonen, sie führten keine Obmanndebatte. Doch sie stempeln Michael Spindelegger zum Symbol für Stillstand – und das kommt auf das Gleiche heraus.
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