Privilegien? Krankenkassen werfen Regierung "Fake News" vor
160 Dienstwägen, 1,3 Milliarden Euro an Spekulationsgeld, dazu 1.280 "Luxuspensionen". Bei der Präsentation ihrer Reformpläne zeigten sich Kanzler Sebastian Kurz und Vizekanzler Heinz-Christian Strache gestern richtiggehend verärgert über "die Privilegien bei den Sozialversicherungen". Entsprechend groß ist dort auch tags darauf noch die Aufregung.
"Politik der verbrannten Erde"
"Das ist unterste Schublade", teilte der niederösterreichische Krankenkassen-Obmann Gerhard Hutter in einer Aussendung mit. "Die Sozialversicherung ist kein Privilegienparadies." Es gehe nicht an, dass die Bundesregierung die Sozialversicherung diskreditiere und mit "Fake News" ins schlechte Eck stelle. "Die Regierung weiß sich offensichtlich nur mit Lügen und Unwahrheiten zu helfen, da sie nicht mit rationalen Argumenten eine Reform eines Gesundheitssystems rechtfertigen kann, für das uns viele in der Welt beneiden." Hutter warnt vor einer "Politik der verbrannten Erde".
Ähnlich die Reaktion des Salzburger Kassen-Obmanns Andreas Huss: "Die erhobenen Anschuldigungen gegen die Krankenkassen bzw. die Sozialversicherung sind völlig haltlos und aus der Luft gegriffen. Die Regierung will ganz offensichtlich eines der besten Krankenversicherungs-Systeme der Welt vernichten."
"Versuch, Neidkomplexe zu schüren"
Der (rote) Obmann der steirischen Gebietskrankenkassa, Josef Harb, übte bereits am Dienstag im KURIER besonders scharfe Kritik: "Der Versuch, Neidkomplexe in der Bevölkerung zu schüren, soll die Debatte über die Zukunft des Gesundheitssystems zudecken. In Wahrheit droht die Zerschlagung eines der besten Systeme der Welt, es drohen Selbstbehalte und eine Privatisierungswelle. Darüber wird natürlich nicht gesprochen."
Auch sein (schwarzer) Kollege Manfred Brunner, Obmann der Vorarlberger Gebietskrankenkasse, sparte nicht mit Kritik: "Das Niveau der Debatte ist erschreckend tief. Ich kann der Regierung nur dringend empfehlen, das System nicht mit Brachialgewalt über Bord zu werfen."
Foglar: "Das ist Stimmungsmache"
Kritik kam am Mittwoch auch von ÖGB-Präsident Erich Foglar. Zugleich forderte der oberste Gewerkschaftsvertreter die Regierung zu Verhandlungen mit den Sozialpartnern und den Bundesländern auf. "Es ist sehr bedauerlich, dass die Regierungsspitzen zu derart unhaltbarer Stimmungsmache gegen die Sozialversicherung greift. Es ist auch schwerst bedenklich, weil es von den Fakten her in keinster Weise haltbar ist", sagte Foglar der APA. Der Regierung falle in Wahrheit kein Sachargument für ihre Reform ein. Da man sachlich nichts findet, um die eigenen Machtansprüche durchzusetzen, greift man auf solche Argumente zurück." Die Regierungskritik an zu vielen Dienstautos wies auch Foglar zurück.
Angesichts der Pläne der
Bundesregierung hat die Vorarlberger Gebietskrankenkasse (VGKK) am Mittwoch eine Betriebsversammlung abgehalten. 331 der 431 Beschäftigten beschlossen dabei eine Resolution gegen die Abschaffung der Länderkassen. Sollte die Regierung ihr Vorhaben durchziehen wollen, sei auch ein Streik nicht ausgeschlossen, hieß es.
Sozialversicherungen weisen Vorwürfe zurück
Stimmen die Vorwürfe?
Aber zurück zu den vermeintlichen Privilegien. Was ist dran an den Vorwürfen der Regierung? In einer Punktation, die am Dienstag aus Regierungskreisen an Medien verteilt wurde, ist von einem über die Jahre angehäuften (nicht näher nachvollziehbaren) Reinvermögen von sechs Milliarden Euro die Rede. Und vor allem: Von weiteren 1,3 Milliarden Euro, die – wörtlich – an „Beitragsgeldern an der Börse in Wertpapieren spekuliert“ wurden.
Kann das sein? An der Börse spekuliert? Nein. Bei den 1,3 Milliarden Euro handelt es sich um einen Teil der gesetzlich vorgeschriebenen Rücklagen der Unfall-, Pensions- und Krankenversicherung, heißt es dazu aus dem Hauptverband der Sozialversicherungsträger. Und wörtlich: „Der Vorwurf der Spekulation mit 1,3 Milliarden Euro ist ehrenrührig, weil es den Eindruck erweckt, dass wir sorglos mit den Geldern der Versicherten umgehen" (mehr dazu hier).
Die genannten 160 Dienstwägen sind laut Kassen vor allem Krankenbesuchswagen und geleaste Beitragsprüfungswägen. In der Pressekonferenz von Kanzler und Vizekanzler wurden die 1,3 Milliarden Euro freilich nicht genannt, sondern erst hinterher gestreut.
Kurz und Strache ging es vorrangig um 1000 SV-Funktionäre, die besagten 160 Dienstwägen in ganz Österreich und Luxuspensionen von 1280 ehemaligen Kassen-Mitarbeitern, die rund 330 Millionen Euro pro Jahr kosten würden.
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