Pressestimmen: "Liebestolle Gockel sehen paarungsbereites Huhn"

Symbolbild.
Österreichs Regierungskrise und das mysteriöse Ibiza-Video füllen weiterhin wichtige Spalten in prominenten Gazetten.

Tag drei nach dem Ende von Türkis-Blau: Der Widerhall des österreichischen Fiaskos ist auch in der internationalen Presse weiterhin unüberhörbar. Während von vielen Seiten Fehleranalysen über FPÖ und ÖVP verfasst werden, bleiben vor allem die Hauptprotagonisten des Ibiza-Videos von gnadenloser Polemik nicht verschont. Und: Die ersten Theorien zur Urheberschaft der "Videofalle" werden gesponnen.

Deutschland: "Droht Kurz der Sturz?"

Süddeutsche Zeitung, München: "Der konservative Kanzler Kurz, aber auch der grüne Bundespräsident Alexander Van der Bellen hätten dem FPÖ-Politiker den Zugang zum Amt des Innenministers verwehren müssen. Die Macht, die ein Innenminister über Polizei und Geheimdienste ausübt, sollte niemals in die Hände eines rechten Scharfmachers wie Kickl geraten. (...) Herbert Kickl war schon vor dem Ibiza-Video ein gefährlicher Ideologe mit viel zu viel Macht;"

Frankfurter Allgemeine Zeitung, Frankfurt: "Beliebt bei den bisherigen Oppositionsparteien SPÖ, Neos und Grünen ist Kurz nach der Zeit als Partner der Rechten auch durch das Ende dieses Bündnisses nicht geworden. Die Neuwahl ist für ihn eine Chance, mehr Stimmen für die ÖVP zu gewinnen. Aber sie birgt auch das Risiko, am Ende mangels Bündnispartnern mit leeren Händen dazustehen."

Frankfurter Rundschau, Frankfurt: "Die ÖVP will den "bewährten Kurs", den sie seit anderthalb Jahren mit den radikalen Rechten gefahren ist, jetzt gern ohne diese weiterführen. Zur Not vielleicht sogar wieder mit ihnen: Zwar steuert Kurz kühn für die fällige Neuwahl im September die absolute Mehrheit an. Verfehlt er sie, ist eine Neuauflage mit der Rechten keineswegs ausgeschlossen."

Bild, Berlin: "Droht Kurz der Sturz? Nach der Video-Affäre gleicht die politische Landschaft in Österreich einem Scherbenhaufen."

Kölner Stadt-Anzeiger, Köln: "Eine Frage ist, warum das Video eigentlich so lange nicht publik wurde - und am Ende deutsche Medien einen wesentlichen Anteil daran hatten, dass es dann doch veröffentlicht wurde. Letzte Antworten darauf sind noch nicht möglich. Es spricht aber viel dafür, dass jene, die Strache in die Falle lockten, Motive hatten, die nicht notwendigerweise die edelsten waren."

Schweiz: "Liebestolle Gockel sehen paarungsbereites Huhn"

Neue Zürcher Zeitung, Zürich: "Auch Kurz wird es nicht wagen, die Freiheitlichen nochmals in die Regierung zu holen, selbst wenn diese sich inhaltlich wie personell erneuern sollten. Abgesehen von persönlicher Enttäuschung wäre das Risiko groß, sich beim kleinsten Fehltritt grenzenlose Naivität vorwerfen lassen zu müssen. Die FPÖ muss sich deshalb wieder auf lange Jahre in der Opposition einstellen."

Tages-Anzeiger, Zürich: "Das eigentlich Schockierende an der Ibiza-Affäre ist nicht, dass Spitzenpolitiker keine Skrupel haben, ihr Land an den Meistbietenden zu verscherbeln - damit hätte man bei einem Typ wie Heinz-Christian Strache rechnen müssen. Wirklich schockierend ist vielmehr, dass es anscheinend nicht mehr braucht als eine attraktive Frau, dass sich zwei erwachsene Politiker wie liebestolle Gockel benehmen, die ein paarungsbereites Huhn sehen. (...) Denn angesichts einer "schoafen" Frau werden Männer offensichtlich unzurechnungsfähig."

Italien über den Kampf "jeder gegen jeden"

Corriere della SeraMailand: "Die Intrige, die zum Sturz Straches geführt hat, erlangt immer mehr die Dimension einer internationalen Spionagegeschichte. (...) Es bleibt ein Geheimnis, wer die 'Falle' organisiert hat. (...) Es besteht die Hypothese, dass ausländische Geheimdienste agiert haben. Sie könnten Strache eine Falle gelegt haben, um zu beweisen, wie stark Rechtspopulisten auf russische Anlockungen reagieren."

Il GiornaleMailand: "Österreich ist nach dem Skandalvideo im Chaos. Nach Straches Rücktritt hatte die FPÖ gehofft, dass der Sturm bald vorbei gehen würde. Im Gegenteil, die Wut der Österreicher wächst, wie auch die Haltung der Boulevardpresse bestätigt."

La StampaTurin: "Die Regierungskrise ist zu einem Krieg geworden, in dem jeder gegen jeden kämpft. Die FPÖ rafft sich auf und greift zur Gegenwehr."

La Repubblica, Rom: "Nicht nur Strache, der peinliche Protagonist des Ibiza-Videos, muss gehen. Auch Kickl, der in der Vergangenheit wegen seiner anti-islamischen Slogans und seiner übertriebenen Nähe zur außerparlamentarischen Rechten aufgefallen war, verlässt die Regierung."

Ungarn vermutet Attacke der "Migrationsfreunde"

Magyar Nemzet, Budapest (Ungarn): "Bei Strache wissen wir wenigstens genau - anders als bei (dem 2008 tödlich verunglückten Jörg) Haider -, dass er Opfer einer Geheimdienstaktion wurde. (...) Wir müssen nämlich wissen, dass diese Geheimdienste überall dort sind, wo die nationalen Interessen die Unterstützung der Mehrheit genießen. Als nächste könnten Italien und Ungarn dran sein. Wenn wir wüssten, welcher Geheimdienst die Erledigung Straches organisiert hat, zusammen mit der angeblichen russischen Verbindung und der auf das Finish des Europa-Wahlkampfs getimten Veröffentlichung, dann würden wir auch sonst einiges wissen. Zum Beispiel, ob der gleichfalls aus der FPÖ kommende österreichische Innenminister (Herbert Kickl) in die richtige Richtung zielte, als er sagte, dass die Migrationsfreunde die österreichische Regierungskoalition gestürzt haben. Derzeit können wir uns nur in einem sicher sein: Die sind wirklich zu allem fähig, deshalb müssen wir im Bewusstsein dessen gegen sie kämpfen."

Nesawissimaja GasetaMoskau (Russland): "Die Entscheidung von (Bundeskanzler Sebastian) Kurz bedeutet nicht unbedingt, dass er sich in irgendeiner Form schuldig fühlt. Der österreichische Kanzler will sich einfach vor unkontrollierbarer Schädigung seines Rufes schützen und das Vertrauensproblem sofort lösen. Ansonsten hätte er ein vergiftetes politisches Umfeld, in dem er zwar an der Macht ist, aber die Opposition punktet."

Über Putin, Putin bis "Ultrarechte loswerden"

de Volkskrant, Amsterdam (Niederlande): "Dass gerade die Parteien, die behaupten, dem Volk eine Stimme zu geben, Putins autoritäres System als Vorbild sehen, sollte dem Wähler zu Denken geben."

Le Monde, Paris (Frankreich): "Die Schockwellen dieses Skandals gehen weit über die Grenzen Österreichs hinaus. Damit bestätigen sich die schlimmsten Vermutungen, die demokratische Regierungen in Europa über die Verbindungen der rechtsextremen Parteien zu den Machtstrukturen im Russland Wladimir Putins haben."

El Mundo, Madrid (Spanien): "Die Ansetzung einer Neuwahl in Österreich nach dem Rücktritt von Vizekanzler Heinz-Christian Strache ist eine Gelegenheit, die Ultrarechte loszuwerden. Sich von den Rechtsextremen in der österreichischen Exekutive zu befreien, wäre eine gute Nachricht für die Zukunft Europas."

Svenska DagbladetStockholm (Schweden): "Wenn der Machthunger das Urteilsvermögen übersteigt, dann lauert darin die Katastrophe. Diese alte Wahrheit hat nun eine neue Bestätigung erhalten."


 

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