Portisch über Trump: "Hätte nicht gedacht, dass das in Amerika geht"
KURIER: Herr Dr. Portisch, 90 Jahre und kein bisschen ruhig. Sie haben jetzt ein Buch über Donald Trump geschrieben. Haben Sie gedacht, dass Sie sich noch einmal mit Nationalismus, Handelskriegen, Kriegsgefahr befassen müssen?
Hugo Portisch: Nein, ich habe immer geglaubt, die europäische Einigung wäre perfekt, es könnte nur mehr besser werden. Das logische Handeln müsste die europäischen Regierungen doch zu mehr Einigung bringen. Es stand ja sogar in den Verträgen der Europäischen Gemeinschaft im Jahre 1957, was Churchill zuvor gesagt hatte: Das Ziel müssten die Vereinigten Staaten von Europa sein.
Was ist die größte Gefahr, die von Trump ausgeht?
Die Gefahr ist er selbst. Er ist unberechenbar. Das haben wir ja jetzt bei dem Einreiseverbot für Muslime aus gewissen Staaten gesehen. Der britischen Premierministerin Theresa May sagt er, er sei für die NATO, aber in einem Interview für die Bild-Zeitung sagt er, die NATO sei obsolet. Trump ist einer, der seinen Emotionen nachgibt, und man weiß nie genau, welche er hat.
In Ihrer Bibliothek steht das Buch "Die Schlafwandler", in dem der britische Historiker Christopher Clark beschreibt, wie die Europäischen Mächte 1914 in den Ersten Weltkrieg gestolpert sind.
Ich sehe da keine Parallelen zu heute. Damals waren alle Mächte kriegslüstern, heute nicht. Putin ist ziemlich berechenbar, er hat schon, als er Ministerpräsident wurde, gesagt, seine Aufgabe sei es, Russland wieder groß und gleichberechtigt zu machen. Kriegsauslösend könnte nur sein, wenn er die baltischen Republiken angriffe.
Aber die Tendenz geht zum Nationalismus. In Europa, in Russland, in Amerika.
Ja, aber ohne Kriegslüsternheit. Auch Trump will keinen Krieg.
Und China?
Das ist für Trump fast ein unlösbares Problem. Die großen US-Konzerne verwenden China als verlängerte Werkbank, weil es dort billiger ist und die Chinesen ungemein lernfähig sind. Ich habe das selbst in China erlebt, wie Festplatten fast im Sekundentakt hergestellt werden.
Ist Trump eine kurzfristige Erscheinung oder ein Programm für die Zukunft?
Es war jedenfalls ein Wahlkampf der Zukunft, mit Hackern und Cyberkriminalität. Und purem Populismus. Wir haben auch in Europa die Befürchtung, dass die Populisten siegen, und sie tun es auch teilweise. Ich hätte nicht gedacht, dass das in Amerika geht. Mit Populismus und nachweisbaren Lügen.
War das wenigstens ein Weckruf für Europa?
Frank-Walter Steinmeier, der nächste deutsche Bundespräsident, hat ein Buch geschrieben, "Europa ist die Lösung". Es gibt für alle Probleme gemeinsame europäische Lösungen, es ist zum Verzweifeln, dass das nicht alle Regierungen verstehen. In Deutschland gibt es drei Politiker, die etwas in Europa bewegen können. Steinmeier, Merkel, die sicher wieder gewählt wird, und der neue SPD-Mann Martin Schulz. Die Frage ist nur, ob Europa die deutsche Führung akzeptiert. Die Deutschen wollen nicht führen, sie fühlen sich noch immer beladen mit Kriegsschuld und Holocaust.
Vielleicht kommt es einmal zur Lage, dass Deutschland Europa führt, oder Deutschland dominiert, weil Europa zerfällt.Das ist ja die große Kunst für Deutschland, zu führen, ohne zu dominieren. Aber trotzdem anzuschaffen.Eine andere Gefahr ist Terror. Ja, Terror ist eine Weltgefahr, da sind sich Putin und Trump einig. Putin weiß, dass der Islamische Staat ansteckend ist, die islamischen Staaten im Kaukasus sind gefährdet, keineswegs nur Tschetschenien. Wenn Trump will, putzen sie zusammen mit Putin den Islamischen Staat in kurzer Zeit weg. Herr Dr. Portisch, die Geschichte ist ein guter Lehrmeister, aber die Menschen sind schlechte Schüler, heißt es. Welche Lehre möchten Sie aus Ihrem langen Leben unbedingt weitergeben?
Nichts ist so schrecklich wie Krieg. Mit den heutigen Möglichkeiten muss es möglich sein, Kriege zu verhindern.
Woran kann man merken, dass Krieg wahrscheinlicher wird?
Es ist immer dasselbe, die Begeisterung für ein nationales Ziel, die Gruppendynamik aus der Zeit, als die Menschen noch Paviane waren. Wo jede fremde Gruppe, die in die Nähe kam, feindlich war und bekämpft werden musste. Das war ein Urmuster des Menschen, das mit der Intelligenz hoffentlich überwunden ist.
Sie blicken fast auf ein Jahrhundert zurück, mit mehr Veränderungen als je zuvor. Sind sie Fluch oder Segen?
Diese Veränderungen könnten nur ein Segen sein. Die Menschen selbst können sie allerdings in einen Fluch verwandeln. Das Internet ist eine herrliche Erfindung, doch dann sehen wir, wie die menschliche Bosheit durchkommt. Wo mit Hass und Fake-News die Emotionen der Menschen angesprochen werden.
Was kann man dagegen tun?
Schulung und Bildung. Ich hatte vor Kurzem hier junge Leute zwischen 18 und 20 Jahren, und auch in den Schulen, in denen ich vortrage, spüre ich viel Intelligenz. Ich bin optimistisch, was die jungen Leute betrifft.
Sind Sie auch für die Zukunft des Journalismus optimistisch?
Ja, wenn Journalisten den Drang haben, von Dingen so zu berichten, wie sie sind. Aber es gibt auch Medien, die wollen durch Verhetzung Auflage oder Quote machen.
Kann sich der seriöse Journalismus behaupten?
Da bin ich voreingenommen, ich glaube an die Zeitung. Ordentlicher, sauberer Journalismus hat Zukunft.
Ihre Memoiren kommen jetzt als Neuausgabe heraus, auf welche Kapitel wurden Sie besonders angesprochen?
Das Volksbegehren für die Rundfunkreform 1964. Damals ist das Land im Proporz versunken. Ohne Parteibuch hat nicht einmal eine WC-Dame einen Posten bekommen. Mit diesem Proporz haben wir damals Schluss gemacht.
Der Proporz ist aber teilweise zurückgekommen.
Ich höre von politischen Postenbesetzungen, aber wenn ich fernsehe oder das Radio aufdrehe, fällt mir das nicht wirklich auf. Da gibt es nicht mehr so den politischen Einfluss wie früher.
Wie wichtig waren für Sie die Jahre als Chefredakteur des KURIER?
Mit dem KURIER bin ich erst zum richtigen Journalisten geworden. Ich hatte dort jede Verantwortung und der KURIER war auch ein fantastisches Instrument, um mitzureden und mitzugestalten. Auch für mich persönlich war der KURIER die größte Herausforderung, ich musste jeden Tag dran sein. Bundeskanzler Klaus hat einmal zu mir gesagt, gegen den KURIER kann ich nicht regieren.
Ein großes Kompliment.
Er hat es nicht als Kompliment gedacht, sondern ernst gemeint.
Sie waren dann Chefkommentator des ORF und später der Geschichtslehrer der Nation mit Österreich I und Österreich II. Warum haben Sie im Fernsehen aufgehört?
Ich habe mich nie für unersetzbar gehalten, man soll Jüngere heranlassen und nicht zu lange in einer Position bleiben.
Warum haben Sie sich für Van der Bellen eingesetzt?
Ich habe es für wichtig gehalten, dass man sich gegen einen Populisten mit seriösen Argumenten durchsetzen kann. Im Ausland, besonders in Deutschland, schaut man mit Argusaugen auf Österreich. Wäre Hofer es geworden, wären wir schon wieder ein Naziland gewesen. Leider wurde der eindeutige Wahlsieg eines Demokraten und großen Europäers nicht stärker im Ausland gewürdigt.
Haben Sie es je bereut, dass Sie selbst – obwohl es Ihnen von beiden Großparteien angeboten wurde – nicht Bundespräsident geworden sind?Nein, der Bundespräsident hat nicht so viele Gestaltungsmöglichkeiten. Und auch wenn er sie hätte, hätte ich es nicht werden wollen. Man hat mir schon früher angeboten, Abgeordneter oder Minister zu werden. Ich habe das immer für einen Anschlag auf meine Freiheit gesehen. Ich lasse mich ungern zu etwas zwingen, und als Politiker wird man immer zu etwas gezwungen, selbst der Bundespräsident muss sich präzise an das Protokoll halten, unentwegt Dinge tun, die ihm vorgegeben werden.
Was hat Ihre Frau gesagt?Sie ist ganz meiner Meinung und hätte sich als First Lady nicht wohlgefühlt.
Sie sind seit 68 Jahren verheiratet. Was ist das Rezept für eine glückliche Ehe?
Es ist ein einmaliges Glück, den richtigen Partner zu treffen. Der überall mitgeht und gleichzeitig kreativ ist, weiß, wann man Rücksicht nehmen muss, wann man anzufeuern hat und wann man unterstützend wirken muss. Da muss man die richtige Person finden.
Man hat in Ihren Kommentaren immer Zuversicht und Optimismus gespürt. Gilt das auch jetzt noch, da man doch spürt, dass es wirtschaftlich nicht weiter aufwärts geht?
Ich hoffe vor allem für Österreich, dass man hier wieder zur Gemeinsamkeit und zu klaren Taten zurückfindet. Auch diese Koalition.
Waren die früheren großen Koalitionen auch so mühsam?Unterschiedlich. Am ehesten hat sich Bundeskanzler Raab um nichts geschert. Und Figl war ohnehin souverän, da hat niemand mit ihm konkurriert. Heute hat man oft das Gefühl, dass die Einsicht in die Vernunft fehlt und es nur darum geht, wer ist stärker.
Wenn Sie früher optimistisch waren, war das immer berechtigt?Ein klassischer Fall ist die Kuba-Krise im Jahr 1962. Da hat unser großer Konkurrent, der Express, getitelt: "Am Wochenende Atomkrieg". Und wir im KURIER schrieben: "Keine Kriegsgefahr". Der Express hatte unrecht, aber wir haben auch nicht so wirklich recht gehabt. Als der damalige US-Verteidigungsminister Robert McNamara später in Moskau in die Akten der Kubakrise Einsicht nahm, hat er gesagt: "Es schlottern mir die Knie". Er hat eingesehen, dass sein Rat an Präsident Kennedy einen Atomkrieg ausgelöst hätte. McNamara hatte ja Kennedy geraten, in Kuba einzumarschieren. Aber der kubanische Strand war voll mit russischen atomaren Minen. Die wären bei einer Invasion explodiert. Und da hätten die USA auch atomar zurückgeschossen. Ich hatte immer ein grenzenloses Vertrauen in das Krisenmanagement der Großmächte.
Bei Trump auch?
Bei Trump scheint mir manchmal die vernünftige Überlegung zu fehlen.
Ist das heutige Amerika noch das Amerika, das Sie als Student und als junger Journalist kennen- und schätzen gelernt haben? Wenn Sie mich vor ein paar Tagen gefragt hätten, hätte ich Nein gesagt. Aber die Tatsache, dass die Muslimsperre, die Trump aus dem Ärmel geschüttelt hat, so viel Protest auslöste, gibt mir Hoffnung. Ich hätte in den USA als Aufmacher einer Zeitung nur die Freiheitsstatue abgebildet und darunter das Gedicht, das die Franzosen ihr damals mitgegeben haben. Wenn man das liest, kommen einem die Tränen: "Gebt mir eure Müden, eure Armen, eure geknechteten Massen, die frei zu atmen begehren, die bemitleidenswerten Abgelehnten. Schickt sie mir, die Heimatlosen, vom Sturme Getriebenen, hoch halt ich mein Licht am gold’nen Tore." Was das für ein Anspruch war und wie das heute missachtet wird.
Welche Persönlichkeiten haben Sie besonders beeindruckt?
Gespräche mit Kreisky waren immer sehr eindrucksvoll. Da musste man schon versuchen, auch gegen ihn recht zu behalten, weil er immer persönlich pariert hat und er sich immer fabelhaft herausgeredet hat.
Die Freiheit des ORF hat er durch ein neues Gesetz eingeschränkt.
Ja, er war ein Machtmensch.
Und von den ausländischen Politikern?
Im Rahmen einer Serie für den ORF habe ich Bundeskanzler Helmut Kohl interviewt. Ich war erstaunt über seine Präzision. Über deutsche Geschichte, deutsche Schuld und deutsche Verantwortung. Seine Bedingung für das Interview in Wien war totale Anonymität. Und das Erste, was er hier tat, war ein Spaziergang über die Kärntner Straße. Er hat sich dann über jeden gefreut, der ihn angesprochen hat.
Wie haben Sie sich so jung und frisch gehalten?
Die Mediziner sagen, es sind die Gene, mein Vater wurde 99. Meine Frau und ich haben an allem, was wir tun, Freude. Man darf sich durch Probleme nicht verbittern lassen.
Aber es gab einen Schicksalsschlag, den Tod Ihres Sohnes.
Unser Sohn hat im Leben immer alles gemacht, was er machen wollte. Er wollte malen, also hat er gemalt. Dann wollte er einen Beruf machen und Geld verdienen, also ist er zum Europarat gegangen und wurde dort Leiter des audiovisuellen Bereichs. Alle waren voll des Lobes. Dann ist er nach Madagaskar gefahren und war so beeindruckt, dass er sagte, er will nicht mehr im Europarat sitzen. Da hat er ein Grundstück gefunden am Meer, mit kilometerweitem Strand und Riff, wunderbar zum Schnorcheln. Dort hat er ein Hotel gebaut, Mangobäume gepflanzt und Spargel geerntet. Aber dann hat er leider Bilharziose (eine durch Schnecken übertragene Infektionskrankheit, Anm.) bekommen. Die wurde in einem Spital mit einer Rosskur geheilt, aber er hätte sich schonen müssen, was er nicht getan hat. Und so ist er, völlig geschwächt, 350 km nach Hause gefahren, um sich seinen Laptop zu holen, ehe er auf Erholung nach Reunion fliegen wollte. Daheim angekommen, erlitt er einen Herzstillstand. Was kann man da sagen? Er hat seine Freude im Leben gehabt, er war über alles froh, was er gemacht hat.Auch meine Frau und ich sind immer darauf gefasst, dass wir von einer Minute zur anderen gehen müssen. Der Tod ist ein Teil des Lebens. Aber wenn man eine Hetz hat bis zum Schluss, dann ist das Leben erfüllt.
Österreichs populärster und wohl auch bedeutendster Journalist wurde am 19. Februar 1927 in Pressburg als Sohn des Journalisten Emil Portisch geboren. Er arbeitete nach absolviertem Publizistikstudium als Praktikant bei der "New York Times" und der "Washington Post".
Seit 1954 beim KURIER, 1958 bis 1967 als Chefredakteur. 1964 leitete Portisch mit anderen parteiunabhängigen Zeitungen das Rundfunkvolksbegehren ein.Ab 1968 Chefkommentator des ORF, 1973 bis 1978 ORF- und KURIER-Korrespondent in London. Portisch drehte zahlreiche TV-Dokumentationen, darunter "Österreich I" und "Österreich II", er wurde mit drei ROMYS sowie einer Platin-ROMY für sein Lebenswerk ausgezeichnet.
Hugo Portisch ist seit 1949 mit der Schriftstellerin Gertraude Portisch geb. Reich verheiratet.
Der ORF gestaltet unter dem Titel "Aufregend war es immer" am 17., 18. und 19. Februar jeweils um 20.15 Uhr in ORF III einen Programmschwerpunkt zum 90. Geburtstag von Hugo Portisch. Zum 90er erschien die Neuausgabe der Portisch-Memoiren "Aufregend war es immer". Und ab 11. Februar ist sein Buch "Leben mit Trump – Ein Weckruf" (beide Ecowin-Verlag) lieferbar.
Neu von Gertraude Portisch: "Auf Teufel komm raus" – über das Böse im Menschen, Edition Portisch
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