Wenn 1 mal 1 zwei ist

Wenn 1 mal 1 zwei ist
Ein Intensivkurs als Hilfe zur Selbsthilfe bei Defiziten im Schreiben, Lesen oder Rechnen.

Helmut* (Name von der Red. geändert), 46, hat in der Sonderschule die Pflichtschule absolviert. Mit 43 machte er sich daran, das nachzuholen, was ihm als Schulkind verwehrt blieb. Das Alphabet habe er schon gekannt, aber die Buchstaben zu Wörtern zusammenzusetzen, sei ihm nie gelungen. Nur seinen Namen habe er schreiben können.

Auch wissenschaftlich ist das Phänomen untersucht, erst im November sorgte eine OECD-Studie für Überraschung: PISA für Erwachsene, kurz PIAAC, ergab, dass fast eine Million Österreicher Probleme mit dem Lesen, dem Schreiben oder dem Rechnen hat. Ein Teil davon sind Migranten, die Deutsch erst lernen mussten. Defizite haben aber auch viele Erwachsene, deren Muttersprache Deutsch ist – wie Helmut.

Er hat nach der Sonderschule als Hilfskraft gearbeitet, geheiratet und ist Vater geworden. Seine Frau, die ihn wegen seines Makels einen „Trottel“ geheißen hat, sei ihm schließlich davongelaufen. Als das Jugendamt wegen der Kinder eingeschritten sei, „ist alles herausgekommen. Ich hab’ ja nicht einmal die Namen meiner Kinder schreiben können. Und so hab’ ich mit den Kursen begonnen.“

Drei Jahre lang hat der derzeit arbeitslose Wiener mittlerweile gebüffelt. Jetzt gehe es ihm mit dem Lesen und Schreiben ganz gut, Probleme machten das Stumme „h“ und der Unterschied zwischen „b“ und „p“. Helmut: „Ich fühle mich jetzt aber insgesamt viel sicherer.“ Und seinem Jüngsten, der aus einer zweiten Beziehung stammt, könne er endlich „Bücher vorlesen“.

Konsequenzen

Das mangelhafte Beherrschen der Kulturtechniken hat für den Einzelnen nicht nur Konsequenzen auf dem Arbeitsmarkt. Wer schlecht rechnet, kann immer noch einen Taschenrechner zu Hilfe nehmen. Aber wer das Lesen und Schreiben nicht beherrscht, für den werden banale Dinge des täglichen Lebens zur Qual: Wer den Beipackzettel nicht lesen kann, dosiert möglicherweise ein Medikament falsch. Die Information auf dem Kontoauszug wird falsch verstanden, es werden Dokumente unterschrieben, ohne den Sinn des Gedruckten zu verstehen.

Betroffene empfinden es als Demütigung, der Umwelt ihre Defizite einzugestehen. Oft entwickeln sie Techniken, um heikle Situationen zu umschiffen. „Da heißt es dann zum Beispiel, ,Ich habe meine Lesebrille vergessen‘“, erzählt Johannes Kopf, Chef des Arbeitsmarktservice (AMS).

An der VHS in Wien-Floridsdorf gibt es spezielle Programme für Personen, die Deutsch als Muttersprache haben, aber nie richtig alphabetisiert wurden. Fachfrau Astrid Klopf-Kellerer: „Diese Menschen brauchen besondere Angebote. Die meisten waren in Sonderschulen oder sie haben keinen Hauptschulabschluss. Die Umwelt reagiert empört, wenn ihre Schwächen offensichtlich werden. Dabei wäre ein wertschätzendes Entgegenkommen mit Hinweisen auf Lernangebote viel hilfreicher. Es ist ja ein großes Handicap, ohne diese Basisbildung durchs Leben zu gehen.“

Etwas anders erging es Adam Illing. Der 28-Jährige wurde nach der Mittelschule Schlosser und war sechs Jahre lang berufstätig, bis er den Job verlor. Das AMS bot ihm eine Umschulung zum Mechatroniker an. Voraussetzung war ein Aufnahmetest, bei dem die Hauptschulreife geprüft wurde. Illing fiel in Mathematik durch. „Da habe ich erst gemerkt, wie schlecht ich bin. Ich war von mir enttäuscht, dass ich einfache Divisionen nicht mehr konnte. “

AMS-Chef Kopf hat die Zahlen der PIAAC-Studie analysiert: 62 Prozent derer, die unter der rund einen Million Menschen mit Defiziten sind, arbeiten. 4,8 Prozent sind arbeitslos und 33 Prozent sind nicht aktiv auf Jobsuche. Immerhin: Die Statistik zeige, dass es vielen trotz ihrer Defizite gelinge, einen Job zu finden. Kopf: „Diese Menschen scheinen bestimmte soziale und kommunikative Fähigkeiten zu haben, die ihnen eine Integration in den Arbeitsmarkt ermöglichen.“ Dennoch müsse das Bildungsniveau der Betroffenen gehoben und auch die Ausbildung der AMS-Berater verbessert werden, damit sie die Schwächen schneller erkennen können.

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