Parlament neu: Warum es eine Publikumsattraktion wird
Das sanierte Hohe Haus bringt einen Qualitätssprung für Besucher: Areale des Wissens, eine Werkstätte der Demokratie, alte und neue Baukunst, Kulinarik – und den coolsten Dachboden Wiens.
Zugegeben: Das Projekt ist mit 423 Millionen Euro nicht ganz billig.
Aber diese Ausgaben sind nicht nur zum Erhalt eines baufälligen Ringstraßenpalasts notwendig. Sie werden sich als eine Investition herausstellen, die sich rechnet.
Schon die erste Sanierungsstufe, die unter Nationalratspräsident Andreas Khol stattfand, war in Gestalt der Empfangshalle auf der Ringseite als Einladung zum Hereinspazieren konzipiert. Und es hat funktioniert. Weit mehr als 100.000 Menschen pro Jahr kamen, um ihr Abgeordnetenhaus zu besuchen.
Demnächst, in vollsaniertem Zustand, wird das Parlament eine noch größere Publikumsattraktion werden. Es wird nicht nur für die heimische Bevölkerung, sondern auch für Touristen Highlights bieten. Das tut auch dem Image des Landes gut – weniger Monarchiekitsch, mehr moderne Demokratie.
Die groben Bauarbeiten sind großteils abgeschlossen, jetzt wird noch ein Jahr an Feininstallationen und Möblierung gearbeitet. Ziel ist die Eröffnung im Herbst 2022. Der KURIER hat sich auf der Baustelle umgesehen.
Beginnen wir im Parterre. Man betritt das Hohe Haus wie bisher durch die Empfangshalle unter der Rampe. Dann passiert man die Sicherheitsschleusen. Und ab da wird alles neu.
Man betritt eine (bestehende) Säulenhalle (Agora), die unter jener Säulenhalle liegt, die man aus dem Fernsehen kennt. Diese Parterresäulenhalle wird für Besucher umgestaltet. Hier entsteht ein großes Informations-, Lese- und Recherche-Areal. Es wird digitale Informationstafeln an den Wänden geben und digitale Informationstische. Die eine Seite der Säulenhalle wird der Geschichte der Republik, die andere dem Wesen von Demokratie und Parlamentarismus gewidmet sein. Integriert in diesen Bereich wird die bestehende Theophil-Hansen-Bibliothek, die bisher nur über Schleichwege zu erreichen war. Die Passage zwischen Agora und Bibliothek wird zur Kaffeehaus-Zone. „Es wird eine Freihandbibliothek, wo man sich Bücher aus den Regalen nehmen und am Kaffeehaustisch lesen kann“, sagt Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka.
Die Bibliothek wird – Stichwort Bücherverbrennung durch die Nazis – auch eine Gedenkstelle gegen Rassismus und Antisemitismus sowie eine Erinnerungsstätte an die vom NS-Regime Ermordeten enthalten.
Zone für Staatsgeheimnisse
Im Parterre werden auch für Besucher unzugängliche Säle untergebracht sein. Es werden Spezialräume geschaffen, deren Ausstattung erhöhten Geheimhaltungsstufen von „geheim“ bis "streng geheim" gerecht wird. In der höchsten Stufe wird mit Störgeräuschen das Abhören unterbunden, dort werden Themen der inneren und äußeren Sicherheit besprochen. Der Raum mit der mittleren Geheimhaltungsstufe ist für Untersuchungsausschüsse gedacht, falls es um vertrauliche Akteninhalte geht.
Von der Säulenhalle, dem zentralen Teil des 152 Meter langen Gebäudes, führen vier Lifte barrierefrei und mit künstlerischen Lichteffekten gestaltete Stiegenhäuser in die oberen Stockwerke des Hohen Hauses.
Das Dachgeschoß
Gehen wir gleich ins oberste, das fast zur Gänze der Öffentlichkeit gewidmet sein wird.
Dort entfaltet sich gerade der wohl coolste Dachausbau Wiens. Es ist eine Landschaft aus Terrassen mit Blick auf den Volksgarten und die umliegenden Ringstraßengebäude bis hin zu Kanzleramt und Hofburg. Man wandelt zwischen neoklassizistischen Reliefs und modernen Glaswänden, unter hohen Dachgewölben mit Blick auf die Quadriga, vorbei am goldenen Hephaistos, der den Kamin des Hohen Hauses ziert. Das Dachgeschoß wird ein Restaurant für über hundert Gäste beherbergen.
Das weitläufige Areal umfasst Zonen für Bedienung und Selfservice, mit indoor und outdoor, Sitzgärten auf Dachterrassen und ist stilistisch eine Kombination aus schlichter Moderne und historischer Pracht. Geht es nach dem Nationalratspräsidenten, wird das Mobiliar noch um eine Nuance Wienerischer. Statt der geplanten Allerweltsmöbel – unspektakuläre dunkelgraue Schalensessel – bevorzugt Sobotka einen Streifzug durchs Hofmobiliendepot. Den internationalen Touristen, die hier in großer Zahl erwartet werden, soll österreichischer Charme geboten werden. In Frage kämen laut Experten frisch bezogene Maria-Theresien-Sessel.
Spitzengastronom gesucht
Ein Gastro-Betreiber fürs Parlament wird bereits per Ausschreibung gesucht. Begleitet wird das Verfahren vom PR-Unternehmer Wolfgang Rosam, das Begutachtungskomitee bilden Vertreter der fünf Parlamentsfraktionen: Gabriel Obernosterer (V), Olga Voglauer (G), Christian Lausch (F), Christoph Matznetter (S), Josef Schellhorn (N). Der Betreiber muss das öffentliche Restaurant im Dachgeschoß, das öffentliche Cafe in der Agora, die Abgeordneten-Lounge neben dem Plenarsaal und die (interne) Gastronomie im Palais Epstein bespielen.
Neben der Restaurantzone wird im Dachgeschoß die Demokratiewerkstätte untergebracht. Jugendliche, Schüler und jeder Interessierte kann sie nutzen. Es wird Workshops geben, viel multimedial aufbereitete Information und die Gelegenheit, sich mit Rhetorik und Partizipation auseinanderzusetzen.
Das Herzstück des Parlamentarismus
In den Stockwerken zwischen Parterre und Dachgeschoß ist das Herzstück des Parlamentarismus untergebracht: der Nationalratssitzungssaal, die Säle für Bundesrat und Bundesversammlung, die Lokale für die Ausschüsse. Letztere werden künftig nicht mehr mit römischen Ziffern beschriftet, sondern Namen österreichischer Wissenschafter tragen. Für Sigmund Freud ist bereits ein Zimmer reserviert.
Der Plenarsaal wurde in den 1950er-Jahren schon einmal renoviert, die Vertäfelung aus dieser Zeit steht unter Denkmalschutz, obwohl sie hässlich ist. Daher werden im Fernsehen links und rechts vom Adler künftig Kunstwerke führender österreichischer Maler zu sehen sein.
Eine an die Couloirs grenzende Lounge wird den Abgeordneten vorbehalten sein. Sie wurde von der Designerin Jasmin Kapp, passend zum Plenarsaal, im Stil der 1950er gestaltet.
Im früheren Budgetsaal wird der Bundesrat tagen. Die Tischbänke bieten einen Schlitz für Steckdosen und einen versenkbaren Bildschirm. Es ist wirklich an alles gedacht: Die Tischladen sind extra niedrig gehalten, damit an den Unterkanten kein Gewandgewebe kaput geht. Die gleichen Tischbänke werden im Plenarsaal aufgestellt.
"Reflektorium" für Politiker
Der Eingang über die Rampe bleibt Staatsgästen vorbehalten. Im Atrium vor der großen Säulenhalle führt rechts eine Tür in ein neu eingerichtetes "Reflektorium". Wer will, kann es zum Beten nutzen, aber es ist auch für nicht-religiöses Reflektieren gedacht.
Beim Renovieren der alten Bibliothekstüren sind eingravierte Namen aufgetaucht. "Es sind Namen von Arbeitern, die im 19. Jahrhundert das Hohe Haus errichtet haben, Namen aus vielen Teilen der Monarchie", erzählt Sobotka. Der Restaurator hat sie liebevoll erhalten, sie bleiben in den Türen eingeritzt, für die Nachwelt. Ganz so, wie es von ihren Trägern beabsichtigt war.
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