ORF-"Wahlfahrt": Nur einer musste schieben

Die "Wahlfahrt" im ORF: Frank Stronach ließ hier mit seinem Wunsch nach der Todesstrafe aufhorchen.
Die Macher der ORF-"Wahlfahrt" (ORF eins, 22.35 Uhr) Lisa Totzauer und André Turnheim, im Interview über das Erfolgsformat.

KURIER: Wann war Ihnen bewusst, dass die "Wahlfahrt" ein Erfolg wird? Das ganze hätte ja ein Taxi Orange mit Politikpropaganda werden können.

Lisa Totzauer: Wir haben uns die erste Folge dann in einer größeren Gruppe angeschaut, als sie ausgestrahlt wurde. Ich habe da das erste Mal die Reaktionen von anderen beobachtet, die das noch nie gesehen hatten. Und auf den Sozialen Medien ist es in einer Art und Weise abgegangen, die wir nicht gewohnt sind und die uns besonders Freude macht. Wenn ich da lese: "Super, ich weiß wieder, warum ich ORF-Gebühren zahle", freue ich mich narrisch. Als ich am nächsten Tag die Quoten gesehen habe, hatte ich beinahe Tränen in den Augen. Der wirkliche Gradmesser war ja: Wieviele von den Sehern, die am Anfang dabei waren, bleiben bis zum Schluss dran. Und da haben wir gesehen: Die Zuseher blieben stabil. Das ist außergewöhnlich um diese Uhrzeit.

Wie ist die Idee zur Wahlfahrt entstanden?

ORF-"Wahlfahrt": Nur einer musste schieben
Totzauer:Ursprünglich hatte Redakteurin Elisabeth Gollackner einen Formatvorschlag für einen Talk, mit der simplen Überlegung: Wo spricht es sich am besten? In der Küche und im Auto. Da ging es noch gar nicht um die Wahl. Anfang des Jahres gab es verschiedene Vorschläge, was wir wahlkampftechnisch aufORF einsmachen. Ich wollte das Format weiterentwickeln und ein anderes Angebot an junge Seher machen.

Warum fiel die Wahl auf Hanno Settele als Chauffeur?

André Turnheim: Bei Hanno Settele ist das spannende, dass eine nicht beruhigende Figur da drin sitzt. Es ist eine Figur, die Lebendigkeit hineinbringt, auch aus seiner Biografie heraus. Er ist so einen Mercedes früher gefahren und da ist es nicht so, dass er da reingesetzt wird, sondern dass er ein natürliches Verhältnis hat.

Frau Totzauer, wie wichtig war es für Sie, mit André Turnheim als Regisseur jemanden an Bord zu holen, der nicht Innenpolitikberichterstattung betreibt?

Totzauer: Andrés Rolle ist die, ein bisschen herauszutreten und nicht von vorneherein schon zu sagen: 'Das und das haben wir schon gehört in dieser und jener TV-Konfrontation', sondern festzustellen: 'Was spannt mich und was inszeniere ich.' Das ist eine extrem bereichernde Situation.

Bilder aus den „Wahlfahrten"

ORF-"Wahlfahrt": Nur einer musste schieben

Die Wahlfahrt
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Die Wahlfahrt
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IM OLDTIMER AUF TOUR: "DIE WAHLFAHRT" IN ORF EINS:
ORF-"Wahlfahrt": Nur einer musste schieben

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ORF-"Wahlfahrt": Nur einer musste schieben

Die Wahlfahrt

Herr Turnheim, Sie kommen fachlich eigentlich aus einer ganz anderen Ecke, haben neben konzeptioneller Arbeit für die „ZiB 20“ und „Contra“ Theater inszeniert und den „Jedermann“ im Fernsehen übertragen. Wie ist die Arbeit mit Politikern?

Turnheim: Das sind Menschen, die alle versuchen, eine Geschichte für Österreich zu erzählen. Egal, ob jetzt Herr Strache von Überfremdung spricht und wie man dazu steht: Er erzählt eine Geschichte und die soll man für die Sendung wertfrei ernst nehmen. Politiker sind Missionare. Deshalb finde ich auch den Titel „Wahlfahrt“, der ja mit dem Missionarischen spielt, sehr passend. Ich kann mir kein Format vorstellen, um Politik und ihre Spitzenvertreter besser für Fernsehzuschauer zu präsentieren.

Es gäbe ja sonst eigentlich genug Politikformate im heurigen Wahlkampf.

Turnheim: Ja, Diskussionen. Die sind aber der Ring, in dem in Sekunden gezählt wird. Bei uns wird nicht in Sekunden gezählt und das heißt, du hast die Möglichkeit ein bisschen anders in den Menschen hineinzusehen.

Totzauer: Es ist eine Form von extrem inhaltlicher Information, die ich aber auf den ersten Blick nicht als solche erkenne. Ich bekomme die Information auf einer sehr viel konsumierbareren Ebene, die mir vielleicht gar nicht so bewußt ist.

Welche Bedeutung hat das Auto?

Totzauer: Ein Auto ist ein Arbeitsplatz für Politiker, in den wir üblicherweise nicht hineinsehen. Wir wissen, sie tun da drinnen etwas, aber es ist immer noch eine Privatsphäre. Es gibt bei der „Wahlfahrt“ immer wieder Momente, wo diese sterile Interviewsituation vergessen wird. Deswegen haben wir auch gesagt, dass wir niemanden vorführen. Wir gehen sehr sensibel damit um, was wir bekommen. Es ist sehr mutig von einem Politiker, sich stundenlang in dieses Auto zu setzen.

Es kann eigentlich brandgefährlich für einen Spitzenpolitiker sein, sich stundenlang im Wahlkampf vor Kameras zu setzen.

Totzauer: Wir haben daher im Vorfeld auch sehr viele Gespräche geführt, wo es darum ging, Vertrauen herzustellen. Wir haben ehrlich gesagt auch nicht gewusst, was passieren würde. Wir wissen ja nicht, ob zum Beispiel Eva Glawischnig schlecht wird. Die Parteien waren interessanterweise überzeugt davon, dass jeweils ihr Spitzenkandidat der beste für das Format ist.

Das heißt, es war gar nicht so schwer, die Politiker dafür zu gewinnen.

Totzauer: Es bedurfte sehr vieler Gespräche, in denen wir klargemacht haben, dass es nicht darum geht, jemanden journalistisch zu erwischen. Ein Beispiel: Als Herr Stronach den Satz mit der Todesstrafe gesagt hat, hat Hanno Settele ihn nicht journalistisch darauf festgenagelt. Das hätte die Situation zerstört.

Gab es im Nachhinein Beschwerden, dass sich ein Politiker falsch dargestellt fühlte? Sie mussten ja zwangsläufig den größten Teil des Drehmaterials wegwerfen.

Totzauer: Das ist etwas, das ich sehr spannend finde: Nichts. Eine marginal kurze Diskussion über die Todesstrafenszene. Frau Nachbaur hat großen Wert darauf gelegt, das richtig zu stellen. Und das hätten wir ohnehin gezeigt, schließlich ist sie als politische Repräsentantin auf der Rückbank gesessen.

Turnheim: Es war ja spannend, weil man die interne Situation des Team Stronach da sehr genau erkennen kann. Das ist ja viel interessanter als der Todesstrafen-Sager, der beim dritten Mal anschauen schon wieder langweilig ist.

Hatte eigentlich ein Kandidat bereits eine fertige Folge gesehen, als er eingestiegen ist oder waren alle völlig unvorbereitet?

Totzauer: Nur Michael Spindelegger hatte die Möglichkeit. Aber er behauptet, er hätte die Sendung nicht gesehen. Auch der Bundeskanzler hätte die Möglichkeit gehabt, hat sich aber entschieden, einen früheren Termin zu nehmen.

Wieviele Stunden haben Sie im Schneideraum verbracht?

Turnheim: Wir machen ja eigentlich einen Filmschnitt, keine Reportage. Ein hochkomplexes Zusammenspiel von Grafik, Musik, 13 Kameras. Da brauchst du zehn bis 14 Tage für 45 Minuten. Das machen wir aber in sieben Tagen mit 16 Stunden. Wir schneiden in Doppelschichten. Jeder Drehtag ist auch unglaublich aufwändig, weil die Personen ja nicht planbar sind. Und: Jede Folge ist total unterschiedlich. Eine komplette Neuerfindung. Ein Zusammenspiel zwischen dem, was die sagen, wie wir die Musik damit verschränken, wie wir die Struktur machen. 45 Minuten verlangt ja von einem Zuschauer, der vielleicht nicht dezidiert politisch interessiert ist, dass er irgendwas nachvollzieht.

Totzauer: Was sich nicht bewahrheitet hat, ist dass wir die dritte Folge schon wahnsinnig schnell abwickeln, weil wir es schon so gut können. (Lacht)

ORF-"Wahlfahrt": Nur einer musste schieben
Abbiegen in die Schweiz: "Die Wahlfahrt" - im Bild Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) und ORF-Interviewer Hanno Settele - soll auch im eidgenössischen Wahlkampf 2015 für gute TV-Quoten sorgen
Was war die größte Panne?

Turnheim: Die sieht man am Mittwoch.

ORF-"Wahlfahrt": Nur einer musste schieben
Da, wo der Kanzler das Auto schiebt? Das sieht man angeblich nicht, weil die Kameras nach innen zeigen.

Turnheim: Die Kameras zeigen ihn. Zwar nicht in HD und 16:9, aber man kann es sehen.

Ist sonst technisch alles gut gegangen?

Turnheim: Im Dreh ist alles gut gegangen. Paradoxerweise ist bis auf die Situation mit Herrn Faymann, die wahrscheinlich darauf zurückzuführen war, dass wir am Vortag im Regen gefahren sind, eigentlich nie etwas passiert.

Totzauer: Ich bin sehr froh, dass unser Garagenmeister 60 ist und erst in ein paar Wochen in Pension geht. Er ist nicht geübt darin, das Auto an einen Computer anzustecken, sondern die Dinge noch richtig anzufassen. Wir waren vor Drehbeginn viele Stunden in der Garage...

Wieso trägt Hanno Settele eigentlich Cowboystiefel in der Sendung?

Totzauer: Er trägt immer Cowboystiefel. Hätten wir dem Hanno Maßschuhe mit Ledersohle angezogen, wäre das nicht authentisch gewesen.

(Sekunden später steht übrigens Settele vor uns. Und trägt: Turnschuhe)

INFO: ORF eins zeigt die letzte Ausgabe der "Wahlfahrt" mit Kanzler Werner Faymann und ÖVP-Chef Michael Spindelegger am Mittwoch um 22.35 Uhr.

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