"Ohne uns geht nix, mit uns auch nix"
Seit Jahren wird um ein neues Lehrerdienstrecht gerungen. Übernächste Woche wird weiterverhandelt. Der KURIER bat Lehrergewerkschafter Paul Kimberger zum Streitgespräch mit Hannes Androsch, dem Initiator des Bildungsvolksbegehrens.
KURIER: Herr Kimberger, glauben Sie, die Bürger haben Verständnis dafür, dass die Lehrergewerkschaft zwei Zusatz-Wochenstunden nur akzeptiert, wenn es 13.000 Hilfskräfte gibt?
Paul Kimberger: Ja, weil sich die Anforderungen an Schüler, Eltern und Lehrer sehr verändert haben. Es geht nicht mehr nur um Wissensvermittlung, es geht auch um soziale Kompetenz. Viele Dinge, die früher im Elternhaus erledigt wurden, sind an die Schule delegiert worden. Wir haben eine breitere Palette an Aufgaben zu erfüllen. Da braucht es die besten Rahmenbedingungen.
Herr Doktor Androsch, wie sehen Sie das?
Hannes Androsch: Wir haben eines der teuersten Bildungssysteme der Welt mit einem der schlechtesten Ergebnisse. Daher ist es nicht erklärbar, warum wir nicht schon längst zeitgemäße Erneuerungen zusammengebracht haben, wie sie für andere seit Jahrzehnten selbstverständlich sind. In Südtirol sind etwa Forderungen des Bildungsvolksbegehrens (u. a. die gemeinsame Schule bis 14 Jahre) längst verwirklicht.
Kimberger: Hätten wir tatsächlich ein so schlechtes Bildungssystem, dann verstehe ich nicht, wie wir es geschafft haben, zu einem der reichsten Länder zu werden.
Androsch: Geh kommen Sie mir nicht mit diesem Schmäh! Unsere Schulorganisation ist hypertroph. Laut OECD geht von zwei Euro nur einer in den Unterricht. Das Geld verschwindet in unserem abstrusen bürokratischen System, das ja beinahe schon kafkaesk ist.
Kimberger: Diese 13.500 Fachleute (Psychologen, Sozialarbeiter, administrative Hilfskräfte) sind keine Erfindung der Gewerkschaft, die Zahl stammt von der OECD. Wenn wir uns an Finnland orientieren, sind wir bei 23.500 Fachleuten. Nebenbei haben wir Lehrerinnen und Lehrer 2009 über 200 Millionen auf den Tisch gelegt, als Beitrag in wirtschaftlich schwierigen Zeiten.
Androsch: Ja, wir haben zu wenig Personal zur Unterstützung. Aber wir sind in den 70er-Jahren mit 68.000 Lehrern bei mehr Schülern ausgekommen – und jetzt haben wir 120.000 Lehrer für weniger Schüler. Das ist ein Pallawatsch.
Kimberger: Einen Pallawatsch haben wir nicht. Wir haben für unsere Jugend eigentlich paradiesische Zustände, wenn ich in andere Länder schaue, nämlich berufliche und private Perspektiven.
Androsch: Ja, vielleicht im Vergleich zu Simbabwe und Nordkorea.
Kimberger: Nein, im Vergleich zu Griechenland, Spanien, Italien, Portugal.
Androsch: Aber wir sollten nicht auf die Schlechten schauen, sondern auf die Besten. Dass wir ein unbefriedigendes System haben, zeigt sich schon an dem riesigen Nachhilfemarkt. Wir brauchen ganztätige vorschulische Pädagogik und ein breites Angebot an verschränkten Ganztagsschulen, also einen abwechslungsreichen Stundenplan mit Unterricht, Projekten, Sport und Freizeitangeboten. Ich habe ihrem obersten Chef in der Gewerkschaft, dem Präsidenten Fritz Neugebauer, gesagt: „Willst du als Blockierer oder als Reformierer in die Geschichte eingehen? Ich lade dich ein, geh als Reformierer ein. Ich verspreche dir, du kriegst ein Denkmal.“ Helfen Sie mit, dass der Neugebauer so ein Denkmal kriegt. Ihr könnt die Zukunft des Landes nicht länger in Geiselhaft halten.
Helfen Sie mit, dass Herr Neugebauer ein Denkmal bekommt?
Kimberger: Herr Doktor Androsch, wenn Sie Fritz Neugebauer ein Denkmal bauen, rufen Sie mich an! Ich bin der Erste, der Ihnen hilft.
Androsch: Zuerst müsst ihr aber Ergebnisse liefern.
Nehmen die Lehrer die Bildungspolitik in Geiselhaft?
Kimberger: Ich nehme überhaupt niemanden in Geiselhaft. In einer Demokratie ist es legitim, dass jede Gruppe ihre Anliegen vorbringt – und dann ein Interessenausgleich stattfindet.
Wenn es nach so vielen Jahren kein Ergebnis gibt, ist da ein Konsens nicht illusorisch?
Androsch: Weder mit der schwarzen (Bildungsministerin) Gehrer, noch mit der roten (Bildungsministerin) Schmied ist dies gelungen. Bei allem Verständnis, dass ihr die Interessen eurer Mitglieder vertretet, aber dass man nach 27 Verhandlungsrunden zu keinem Ergebnis kommt, das kann es doch nicht sein.
Kimberger: Wir haben letztes Jahr auf Beamtenebene wertvolle Basisarbeit geleistet. Auf politischer Ebene haben sechs Verhandlungsrunden stattgefunden. Es handelt sich um ein Großprojekt für 120.000 Lehrer, das ist mehr als ein Drittel des öffentlichen Dienstes. Was die Ganztagsschule betrifft, habe ich einen pragmatischen Ansatz. Wir sollten dort ein Angebot machen, wo wir es brauchen. Die Frage muss auf Ebene der Schulpartner gelöst werden. Wenn sich eine Schule entschließt, eine verschränkte Form zu machen, soll sie das tun. Aber eine Schule kann sich auch für die konventionelle Form entscheiden: vormittags Unterricht und nachmittags Betreuung.
Androsch: Das ist Aufbewahrung.
Kimberger: Das kann man auch mit hoher Qualität machen.
Androsch: Es ist besser als nix, aber pädagogisch ohne Wert.
Herr Androsch, wie sollte ein Dienstrecht in punkto Arbeitszeit und Urlaub ausschauen?
Ich bin für eine Ganztagsschule. Alle Fachleute sagen: Neun Wochen Ferien im Sommer sind zu viel. Die Zersplitterung mit unseren Feiertagen und schulautonomen Tagen bewirkt einen großen Druck in der restlichen Zeit auf Lehrer, Schüler und Eltern. In einer Ganztagsschule kann man mehr disponieren, man hat Pausen und nimmt Druck heraus.
Wie viel Ferien sind angemessen?
Kimberger: Österreich ist bei den Ferien eines der Schlusslichter in der OECD. Die meisten Länder haben mehr Ferien und freie Tage. Aber wenn man ein wissenschaftlich fundiertes Konzept vorlegt, dass eine andere Verteilung notwendig ist, wird sich die Gewerkschaft dieser Diskussion nicht verschließen.
Androsch: Es müssen weniger Wochen werden. Ich glaube auch nicht, dass hier Österreich Schlusslicht ist.
Kimberger: Weniger kann es nicht werden.
Androsch: Und was machen berufstätige Eltern?
Kimberger: Man muss Angebote machen, aber das ist nicht nur eine Frage für die Lehrer und die Schule.
Androsch: Wir haben eine der geringsten Unterrichtszeiten und eine der höchsten Bezahlungen.
Kimberger: Das stimmt nicht. Finnland hat weniger Unterrichtszeit.
Androsch: Aber ungleich bessere Ergebnisse.
Wer ist für Kinderbetreuung zuständig, wenn Eltern arbeiten?
Kimberger: Sportvereine, Musikschulen, Erzieher, Freizeitpädagogen. Es ist letztlich eine Frage der Gemeinden, qualifizierte Betreuung anzubieten. Schule ist primär keine Betreuungseinrichtung. Schule ist eine Institution, wo es um Bildung und Ausbildung geht. Das ist die Kernaufgabe der Lehrer.
Die Politik könnte theoretisch ein Dienstrechtsgesetz ohne Sanktus der Lehrer machen.
Kimberger: Zu diesem Fall wird es nicht kommen. Doktor Androsch, wir werden gemeinsam ein Denkmal für Fritz Neugebauer bauen.
Androsch: Da müssen Sie bereit dafür sein. Da darf nicht das gelten, was in der Teinfaltstraße (Zentrale der Gewerkschaft für den öffentlichen Dienst) gilt: „Ohne uns geht nix – und mit uns geht genau so viel, nämlich auch nix.“
Kimberger: Wir werden eine Lösung zusammenbringen.
Der 46-jährige Oberösterreicher – er stammt aus Vöcklabruck – hat das Hauptschul-Lehramt in Mathematik, Sport und Informatik. Seit 2011 ist er Chef der Pflichtschullehrer-Gewerkschafter und seit März 2012 auch Vorsitzender der ARGE Lehrer in der Gewerkschaft für den öffentlichen Dienst. Damit ist der Christgewerkschafter der Frontmann der Pädagogen bei den Verhandlungen mit der Regierung für ein neues Lehrerdienstrecht.
Hannes AndroschDer Ex-SPÖ-Vizekanzler und Finanzminister ist seit 1989 als Industrieller tätig. Er ist seit 1997 Miteigentümer der Österreichischen Salinen AG. Seit 1994 ist er auch an Europas größtem Leiterplattenhersteller AT&S beteiligt. 2011 initiierte der heute 75-Jährige ein Bildungsvolksbegehren. Gefordert wurden u. a. flächendeckende Ganztagsschulen, weniger Schulverwaltung – und der parteipolitische Einfluss soll fallen.
Kommentare