Wie lauten die Vorwürfe gegen die ÖVP?
Die Volkspartei werde die Wahlkampfkostengrenze von 7 Millionen Euro trotz gegenteiliger Beteuerungen um rund 2 Millionen überschreiten, berichtet der Falter. Nachdem in einem Dokument der ÖVP etwas mehr als 6,3 Millionen als offizielle Wahlkampfkosten stehen, betrage die Differenz zwischen öffentlicher und interner Darstellung sogar mehr als 2,6 Millionen Euro.
Die Neos werfen der ÖVP ein "Tarnen, Täuschen und Tricksen" vor, auch die Grünen sprechen von "bewusster Täuschung". Die SPÖ sieht eine keineswegs übliche Vorgangsweise. ÖVP-Generalsekretär Karl Nehammer ortet hingegen "falsche Behauptungen“ im Falter-Bericht, seine Partei leite rechtliche Schritte ein und klage auf Unterlassung.
Nicht oder nicht zur Gänze erfasst wurden in dem internen Dokument – einer Excel-Tabelle, deren Verfasser der Schatzmeister der ÖVP sein soll – unter anderem Imagevideos, Social-Media-Werbung und Werbegeschenke wie Sonnenbrillen, Shirts, Windjacken und Luftballons.
Auch Personal-Mehrkosten werden in dem Dokument unter dem Unterpunkt "Mobilisierung" nur zum Teil eingerechnet.
Sehr wohl als Wahlkampfkosten erfasst sind hingegen Plakate, Ausgaben der ÖVP-Bünde, Papiertaschen und Kugelschreiber.
Spannend: Die Bergauf-Sommertour von Sebastian Kurz um 300.000 Euro und seine zweite Sommertour ab 19. August um 50.000 Euro sind in dem Dokument ebenfalls nicht als Wahlkampfposten ausgeschildert. Dabei sagte Nehammer noch vor wenigen Tagen, bei eben diesen Wanderungen seien Szenen "aus dem echten Leben" für die Wahlkampfsujets fotografiert worden.
Was steht im Gesetz?
Was alles in die Wahlkampfkosten einzurechnen ist, steht im - kürzlich von SPÖ, FPÖ und Jetzt - novellierten Parteiengesetz. So darf jede Partei "für die Wahlwerbung zwischen dem Stichtag der Wahl und dem Wahltag" maximal 7 Millionen Euro aufwenden. Der Stichtag für die Wahl liegt laut Nationalratswahlordnung immer 82 Tage vor dem Wahltag, das ist in diesem Jahr der 9. Juli.
Einzurechnen sind, unter anderem: Wahlkampfgeschenke, Kosten des Internet-Werbeauftritts, zusätzliche Personalkosten und "Ausgaben der politischen Partei für die Wahlwerber". Also auch die Dinge, die in der geleakten Tabelle aus den Wahlkampfkosten zumindest zum Teil herausgerechnet werden.
Laufende Kosten wie etwa die Miete für ein Parteilokal müssen hingegen nicht eingerechnet werden, und zwar auch nicht anteilig.
Das Problem ist: Es gibt einen großen Graubereich, wie Franz Fiedler, langjähriger Präsident des Rechnungshofs (RH) und Ehrenpräsident des Beirats der Antikorruptions-Organisation "Transparency International", zum KURIER sagt. Darunter fallen etwa Werbemittel, auf denen für die Partei geworben wird, "auf denen aber nicht steht, wählt uns am 29. September". Oder auch die Bergtouren von Sebastian Kurz - "da lässt das Gesetz eigentlich aus, wie das zu subsumieren ist", sagt Fiedler.
Wer prüft die Partei-Angaben?
Das ist der anhaltendste Kritikpunkt am Parteiengesetz - und zwar sowohl in der Version vor der Novellierung als auch in der aktuell gültigen. Niemand hat das Recht, den Parteien in die Bücher zu schauen. Zwar müssen diese einen jährlichen Rechenschaftsbericht veröffentlichen, der von zwei Wirtschaftsprüfern abgesegnet werden muss. Diese Prüfer werden auch vom Rechnungshof bestellt, allerdings aus einem Fünfervorschlag der jeweiligen Parteien.
Was fordern die Experten?
Sämtliche Experten für Parteienfinanzierung pochen darum seit Jahr und Tag darauf, dass der RH von sich aus die Parteibücher prüfen darf. Genau die nun veröffentlichten "kreativen Verrechnungen" der ÖVP seien "ein besonders gutes Argument" für die Ausweitung der Prüfkompetenzen, sagt etwa der Politologe Hubert Sickinger. Denn die von den Parteien beauftragten Wirtschaftsprüfer würden das "nicht sehr kritisch überprüfen".
Auch Fiedler spricht sich für RH-Prüfkompetenzen aus. Besonders wegen des damit einhergehenden präventiven Charakters, meint er: Denn dann würden "sich die Parteien hüten, grobe Verstöße zu begehen".
Noch viel wesentlicher wäre für Fiedler aber, "dass die Parteien mit dem Geist des Gesetzes anders umgehen". Konkret fordert er die Parteien dazu auf, sich "der moralischen Verantwortung bewusst zu sein, das Gesetz so zu interpretieren, dass es dem Anliegen des Gesetzgebers gerecht wird".
Dieses Anliegen bestehe darin, dass keine Partei wesentlich mehr Geld ausgeben kann als eine andere und sich damit "die Wahl erkauft", so Fiedler. Wenn dieser Geist den Handlungen der Parteien zugrunde liegen würde, wäre "schon viel gewonnen".
Hat die ÖVP gegen das Gesetz verstoßen?
Das ist wegen des erwähnten Graubereichs und der mangelnden RH-Prüfkompetenz schwer zu beantworten. Kurz habe "das Gesetz ausgereizt" - und "möglicherweise überreizt", sagt Sickinger.
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