Bildungsstudie: Zeig´ mir deine Eltern, und ich zeige dir, warum du scheitern wirst

Einige Punkte der seit 2016/17 geltenden Reform werden zurückgenommen
Wir tun zu wenig, um benachteiligten Kindern zu helfen, sagt die OECD und gibt Empfehlungen, um das zu verbessern.

In Wiener Neustadt sorgte vor kurzem ein türkisch-stämmiges Ehepaar für Wirbel, weil die Eltern nicht wollten, dass ihr Kind in die zugewiesene Mittelschule geht – zu viele Ausländerkinder seien dort, befanden die Eltern, und fürchteten um die Bildungschancen ihres Sprösslings.

Sonderbericht zur Bildungsgerechtigkeit

Ein OECD-Sonderbericht, der am Dienstag veröffentlicht wurde, gibt diesen Eltern grundsätzlich recht.  Viele benachteiligte Schüler, heißt es in diesem Bericht, sind in benachteiligten Schulen konzentriert und die Leistungen durchschnittlich schlechter als in nicht-benachteiligten Schulen.

Denn: benachteiligte Schüler an begünstigten Schulen erreichen im Durchschnitt der OECD-Länder 78 Punkte mehr - also deutlich mehr - als diejenigen, die benachteiligte Schulen besuchen; Benachteiligte Schüler, die Schulen mit einem durchschnittlichen Profil besuchen, erreichen in den Naturwissenschaften 36 Punkte mehr als diejenigen, die benachteiligte Schulen besuchen.

Worum geht es in dem Bericht:

Auf 190 Seiten analysieren die OECD-Bildungsforscher die Ergebnisse zur Bildungsgerechtigkeit, zeigen teils extreme Schieflagen auf und geben der Bildungspolitik Empfehlungen, wie mehr Fairness im System erreicht werden könnte.

Was ist Bildungsgerechtigkeit?

Bildungsgerechtigkeit bedeutet aus Sicht der OECD, dass Schulen und Bildungssysteme gleiche Lernmöglichkeiten für alle Schüler, unabhängig von ihrem familiären Background, bieten.

Unterschiede in den Ergebnissen dürften nicht vom Hintergrund oder der wirtschaftlichen Situation oder den sozialen Umständen der Schüler abhängen, über die diese keine Kontrolle haben.

Gute Bildung ist mehr als nur der (freie) Zugang

Schon viele Jahrzehnte wird registriert, dass mehr als 40 Prozent der Erwachsenen ein höheres Bildungsniveau als ihre Eltern haben. Allerdings haben Kinder von Familien mit einem höheren Bildungsniveau häufiger als Kinder von Familien mit einem niedrigeren Bildungsniveau vom den Möglichkeiten einer „tertiären“ Ausbildung (gemeint sind höhere Ausbildungen an Universitäten oder Fachhochschulen) profitiert.

Die Forscher schließen daraus, dass der Zugang zur Bildung, insbesondere jener zu Unis und FHs, nicht automatisch zu mehr Gerechtigkeit im Bildungssystem führt.

Wer sind deine Eltern?

Wie sich zeigt, hat der „sozioökonomische Status“ einen hohen Einfluss auf die Leistungen der Schüler. Dieser sozialwissenschaftliche Begriff beschreibt die Unterschiede von in Bezug auf Schulabschluss, Ausbildung, Beruf, Einkommen, wie viele Bücher im Haushalt sind, sogar wie oft Museen oder Theater besucht werden, aber auch Wohn- und Eigentumsverhältnisse als auch die Kreditwürdigkeit.

Konkret: Jene Schüler mit einem schwachen Background sind klar benachteiligt, sie haben deutlich schwächere Ergebnisse. Die „Bildungslücke“ entspricht etwa drei vollen Schuljahren.

Es kann besser werden

Aber: Die Bildungsforscher haben auch eine Verbesserung genau dieser Werte feststellen können, die Lücke wird also kleiner. Daraus schließen die Experten, dass Bestehen oder Fehlen von Bildungsgerechtigkeit kein unveränderliches Merkmal von Bildungssystemen ist.

Die Ungleichheit beginnt schon früh

Nächste Feststellung: Die Unterschiede in den Leistungen der Kinder entwickelt sich sehr früh und weiten sich dann im Laufe der Bildungslaufbahn aus.

Weniger Haushaltsvermögen bedeutet oft weniger Bildungsressourcen wie Bücher und Spiele und interaktive Lernmaterialien im Haus.

Darüber hinaus haben Familien mit begrenztem Einkommen seltener Zugang zu früher Bildung, wenn der frühkindliche Bereich nicht öffentlich finanziert wird.

Ergebnisse für Österreich

Besonders große Unterschiede der Schülerleistungen im Hinblick auf deren Backgrund gibt es in der Mathematik bei 10-Jährigen in England, Korea, Neuseeland und den Vereinigten Staaten.

In Österreich waren die Unterschiede durchschnittlich ausgeprägt – Bildungsgerechtigkeit findet also kaum statt.

Wenig Durchlässigkeit im System

Die „Bildungsmobilität“, gemeint ist damit Möglichkeit zu einem Bildungsaufstieg, bleibt in Österreich gering. In Finnland, Korea, Russland und Singapur hat mehr als jeder zweite Erwachsene eine höhere Bildung als die Eltern. In Österreich, der Tschechischen Republik, Deutschland und der Türkei dagegen weniger als jeder dritte Erwachsene. In Österreichern (und sechs weiteren Staaten wie Finnland, England oder Belgien) geht das sogar zurück.

Was wir daraus lernen sollten

Die OECD-Bildungsexperten geben auch Empfehlungen, was besser gemacht werden soll.

Wesentlich sei etwa, dass früh beginnen werden sollte. Der Zugang zu jener Art von frühkindlicher Bildung solle gefördert werden, die Kindern beim Erwerb wesentlicher sozialer und emotionaler Fähigkeiten hilft, insbesondere Kinder aus benachteiligten Familien.

Mehr Mittel, mehr Förderung, weniger Konzentration

Dann: Länder müssen ehrgeizige Ziele für die Fortschritte benachteiligter Schüler festlegen und ihren Fortschritt überwachen. Die Politik sollte zusätzliche Ressourcen für benachteiligte Schüler und Schulen zur Verfügung stellen und die Konzentration von benachteiligten Schülern auf bestimmte Schulstandorte reduzieren.

Eltern sollten ermutigt werden, sich stärker in die Ausbildung ihrer Kinder einzubringen. Es geht darum, die Fähigkeit der Lehrkräfte zu entwickeln, die Bedürfnisse der Schüler zu erkennen, und starke Verbindungen zu den Eltern aufzubauen.

Faßmann sieht Österreich jetzt auf gutem Weg

Durch die OECD-Studie sieht sich Bildungsminister Heinz Faßmann in seiner Schwerpunktsetzung bestätigt.

So solle der Benachteiligung von Kindern bereits möglichst früh entgegengewirkt werden - also bereits beim Übergang vom Kindergarten in die Volksschule, so Faßmann in einer Aussendung. Spezieller Förderbedarf soll bereits an der Schnittstelle Kindergarten-Volksschule festgestellt werden, betonte der Minister.

„Auch die geplanten Talentechecks vor den Bildungsübergängen in der dritten und siebenten Schulstufe sollen zu mehr Durchlässigkeit führen“, so Faßmann. Dazu kämen neue Beurteilungsraster und damit verbunden bedarfsorientierter verpflichtender Förderunterricht sowie die „gezielte Förderung der Unterrichtssprache im Rahmen der Deutschförderklassen“. Außerdem wünscht er sich verpflichtende Aufklärungsgespräche mit den Eltern.

SPÖ sieht Österreich auf dem falschen Weg

SPÖ-Bildungssprecherin Sonja Hammerschmid will dagegen die Umsetzung eines „Chancenindex“ für die Schulen, 5.000 zusätzliche Lehrer an Brennpunktschulen, kostenlose Nachhilfeangebote in ganz Österreich und einen raschen Ausbau der Ganztagsschulen. „Was jetzt unter Schwarz-Blau passiert, ist allerdings ein bildungspolitischer Backlash“, so Hammerschmid in einer Aussendung. „Der Zug geht in Richtung mehr und frühere Segregation - etwa mit der Wiedereinführung von zwei Leistungsgruppen in der Neuen Mittelschule.“

Ähnlich die NEOS: Bei ihnen läuft das Konzept eines Sozial- bzw. Chancenindexes unter „Chancenbonus“: „Wir wollen bedeutend mehr Mittel in die Hand nehmen und den Schulen als Bonus zur Verfügung stellen“, so Bildungssprecher Douglas Hoyos. Die Höhe dieses zusätzlichen Budgets solle anhand des sozialen Hintergrunds der Kinder berechnet werden und den Schulen für maßgeschneiderte Konzepte zur Verfügung stehen.

„Dass der soziale Status der Eltern immer noch eine wesentliche Rolle beim Bildungsweg der Kinder spielt, ist in einem Land wie Österreich nicht hinzunehmen“, kritisierte sein Liste-Pilz-Pendant Stephanie Cox. Auch sie verlangt die Einführung eines Chancenindex. So würden Schulen mit besonderen Herausforderungen, wie beispielsweise viele Kinder mit nicht-deutscher Muttersprache oder aus finanziell benachteiligten Familien, mehr Ressourcen bekommen und bessere Fördermaßnahmen setzen können.

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