NR-Sondersitzung: Opposition setzt Nehammer unter Druck

Hitzige Debatte im Nationalrat über Hintergründe des Terroranschlags vom Montag. Kurz fordert europäische Allianz im Kampf gegen Islamismus. Opposition übt scharfe Kritik an Kurz und Nehammer - Anschlag hätte verhindert werden können.

Terror-Debatte im Nationalrat auch zum BVT

Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) eröffnete die Sitzung mit Worten zu dem "feigen" Anschlag von Montagabend. "Unsere Demokratie ist eine wehrhafte", so Sobotka. Wir dürften "stolz auf dieses Land und seine Menschen" sein. Er zitierte aus einem Schreiben seines deutschen Amtskollegen Wolfgang Schäuble, der von der Notwendigkeit eines noch entschiedeneren Kampfes auf europäischer Ebene gegen den islamistischen Terror sprach. Sobotka forderte die Abgeordneten auf, sich zu einer Gedenkminute für die Opfer von Paris, Nizza und Wien zu erheben.

"Wir werden nie verstehen können, dass es Menschen gibt, die unsere Freiheit und Demokratie so sehr hassen", so Bundeskanzler Sebastian Kurz. Gegen diese Feinde unserer freien Gesellschaft müssten wir kämpfen.

Kurz wiederholte seine Kritik an der vorzeitigen Entlassung des Attentäters: Das sei angesichts dessen Vorgeschichte für die Menschen nicht verständlich und dürfe sich nicht wiederholen.

"Tickende Zeitbomben"

Dringlich sei vor allem eine Neuaufstellung des BVT. Eine entscheidende Rolle komme dabei auch der neuen Dokumentationsstelle für den politischen Islam zu. Darüberhinaus brauche es internationale Zusammenarbeit im Kampf gegen "tickende Zeitbomben" in unseren Gesellschaften.

"Es muss eine breite europäische Allianz entstehen, damit der Terror entschlossen bekämpft werden kann", so der Kanzler.

Wie zuvor Kurz, danke auch Vizekanzler Werner Kogler den Einsatzkräften für ihren "enormen und couragierten Einsatz". Ebenso jenen, die "Zivilcourage und Zusammenhalt" bewiesen hatten, darunter "viele mit Migrationshintergrund".

"Keine Schuldzuweisungen"

"Konsequent, entschlossen und besonnen" werde die Regierung auf diesen Anschlag reagieren. Konsequent in der Aufarbeitung, auch um aus Fehlern zu lernen - ohne Schuldzuweisungen. Es brauche einen Neustart für das BVT - "es werden dort auch Missstände zu beseitigen sein".

"Da ist schon wieder der Erste, der mit dem Finger außezeigt", so Kogler in Reaktion auf Raunen aus Reihen der FPÖ - und es wundere ihn nicht, dass das aus der blauen Fraktion komme: "Behelligen Sie uns nicht mit Ihren Zwischenrufen, die Lage ist zu ernst!"

Kogler appellierte an das "unerschütterliche Fundament" des Gemeinwesens. Der Anschlag komme zu einer Zeit, die für alle Bürger sehr belastend sei. Zur Pandemie komme noch der Terror. Aber "vielleicht in einem halben Jahr" werde man auf die schwierigen Wochen und Monate zurückblicken und sehen, dass "wir die Herausforderungen ganz gut bis sehr gut bewältigt haben".

"Hinschauen, wenn Beichtstühle eingetreten werden"

"Wir sind keine Insel der Seligen", so ÖVP-Klubobmann August Wöginger. Wir lebten mit der höchsten Pro-Kopf-Zahl an islamistischen Gefährdern. "Wir müssen hinschauen, wenn in unseren Kirchen Beichstühle eingetreten werden", sagte Wöginger in Anspielung auf jüngste einschlägige Vorfälle in Wien.

Der Attentäter habe durch "Belügung und Täuschung" alle Deradikalisierungsprogramme unterlaufen. Das sei "krank".

Das BVT sei in den letzten Jahren "stark in Mitleidenschaft gezogen" worden. Die Einrichtung müsse rasch wieder gestärkt werden, um seine Aufgaben wahrnehmen zu können.

"Warum betonen Sie immer wieder die Notwendigkeit der Eigenverantwortung, wenn Sie in dieser schwierigen Phase genau das Gegenteil tun?" Mit dieser an die Regierung gerichteten Frage begann SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner ihre Rede. Kurz habe gerade vorhin wieder in seiner Rede versucht, die Schuld der Justiz zuzuschieben.

"Ablenkung und Vernebelung"

Es gehe nicht um Ablenkung und Vernebelung, sondern um die Übernahme von Verantwortung, so Rendi-Wagner an die Adresse von Kanzler Kurz und Innenminister Karl Nehammer (ÖVP).

Rendi warf die bereits diskutierten Fragen im Zusammenhang mit dem Attentat auf: wie dieser zu dem Gewehr gekommen war, warum die Informationen aus der Slowakei bezüglich versuchten Munitionskaufs versickerten etc.

Eine "tragische Zäsur" in der Geschichte der Zweiten Republik stelle der Terroranschlag vom Montag dar, erklärte FPÖ-Klubchef (und Ex-Innenminister) Herbert Kickl. "So groß wie meine Trauer, so groß ist auch mein Entsetzen und meine Wut" über das, was in diesem Land möglich ist. Wenn Kurz vom "Ende der falschen Toleranz" spreche, dann sei das eine Selbstanklage angesichts der Tatsache, dass die ÖVP in wesentlichen Bereichen der Republik seit vielen Jahren Verantwortung trage.

Rücktrittsforderung an Nehammer

"Dieser islamistische Anschlag hätte verhindert können." Diese zentrale Erkenntnis lasse sich bereits nach wenigen Tagen festhalten. Was Nehammer als "Kommunikationsfehler" verharmlose, sei das Todesurteil für vier unschuldige Menschen gewesen.

Der Attentäter sei unter Beobachtung des Verfassungsschutzes gestanden - auch das werde der Innenminister noch zugeben müssen. Der politische Preis für dessen Fehler sei der Rücktritt.

Kickl sprach auch von der Notwendigkeit einer Änderung des Asylsystems an und stellte die Sinnhaftigkeit von Deradikalisierungsprogrammen an. "Wir stehen in der Schuld - der Opfer und der österreichischen Bevölkerung", so Kickl.

Im Gegensatz zu Kickl meinte die grüne Klubobfrau Sigrid Maurer, es lasse sich noch nicht sagen, ob dieser Anschlag verhindert hätte werden können. Aber man werde sich die Frage stellen müssen, ob unsere einschlägigen Systeme gut genug aufgestellt seien.

Blumen in den Einschusslöchern

Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger sprach von den Blumen in den Einschusslöchern und dem vielzitierten (von ihr nicht ausgesprochenen) "Oaschloch"-Sager eines Anrainers (mutmaßlich auf den Attentäter bezogen) als wohltuenden Zeichen angesichts des Terrors.

Freiheit und Demokratie seien immer bedroht und müssten mit den Mitteln, die im Rahmen des Rechtsstaats zur Verfügung stehen, verteidigt werden.

"Wenig staatsmännisch" nannte sie die Kritik von Kurz an der vorzeitigen Entlassung des Attentäters. Sie hätte sich auch von Justizministerin Alma Zadic erwartet, dass sie sich deutlicher vor die Justiz stelle. Wie Kickl zeigte sich auch Meinl-Reisinger überzeugt, dass der Anschlag hätte verhindert werden können.

Aufklärung und Transparenz versprochen

Innenminister Karl Nehammer versprach "Nachschau zu halten, wo Dinge nicht so gelaufen sind, wie sie hätten laufen sollen". Die unabhängige Untersuchungskommission werde das klären - es werde absolute Transparenz geben.

Auch Justizministerin Alma Zadic versprach, alles zu tun, um die Hintergründe des Anschlags aufzuklären. Sie unterstütze auch die Initiative des Innenministers, den Verfassungsschutz neu aufzustellen. Die Betreuung von Entlassenen müsse engmaschiger werden.

SP-Vizeklubchef Jörg Leichtfried vermisste Antworten der Regierung auf die offenen Fragen zum Attentat. Eine "unabhängige Untersuchungskommission", die von den zu Untersuchenden eingesetzt werde, könne nicht "unabhängig" sein.

"Es würde einem Bundeskanzler ziemen, nicht die Justizministerin anzupatzen", sondern die Frage nach Fehlern zu stellen, so Leichtfried.

"Sie haben uns belogen", sagte FP-Abgeordnete Dagmar Belakowitsch. Der Attentäter habe niemanden getäuscht, auch der Verein "Derad" habe erklärt, dass dieser nicht als "deradikalisiert" gegolten habe bei seiner Entlassung. Der Versuch Nehammers, die Schuld für die BVT-Versäumnisse Kickl in die Schuhe zu schieben, sei "letztklassig".

Wenn der Attentäter, wie auch die Justizministerin erklärt habe, unter Beobachtung stand, dann sei dieser unter den Augen des BVT "zum Mörder" geworden. "Das ist Ihre Verantwortung, Herr Nehammer!" Belakowitsch wiederholte die Aufforderung an Nehammer zum Rücktritt und brachte einen Misstrauensantrag ein.

Blau-rote Allianz

Auch SP-Sicherheitssprecher Reinhold Einwallner übte scharfe Kritik an Nehammer und sagte Unterstützung für den Misstrauensantrag zu. Den Versuch, für die Missstände im BVT Kickl verantwortlich zu machen, nannte Einwallner "tollkühn".

Einwallners Fraktionskollegin Andrea Kuntzl erklärte später, dass man einen entsprechenden Antrag nicht eingebracht hätte. Nehammer aktiv das Vertrauen auszusprechen, wolle man aber auch nicht. Für die Neos erklärte deren Klubvize Nikolaus Scherak indes, der dritte Tag der Staatstrauer sei nicht der richtige für einen Misstrauensantrag. Dies sei aber nicht als Zustimmung zu Nehammer misszuverstehen. Um die Unabhängigkeit der geplanten Untersuchungskommission zu garantieren, müsse die Opposition den Vorsitz nominieren und in alle Akten Einsicht bekommen, forderte Scherak. Andernfalls würde man Nehammer das Misstrauen noch aussprechen.

Der Misstrauensantrag wurde schlussendlich - erwartungsgemäß - abgelehnt. Unterstützt wurde von den Koalitionsfraktionen dagegen ein eigener Entschließungsantrag zur Einsetzung einer Untersuchungskommission. In einem weiteren Antrag wurde der Anschlag vom Montag verurteilt und der Wunsch nach einem Präventionskonzept ausgedrückt. Zustimmung kam jeweils auch von den Neos.

"A ..." im Hohen Haus

Worauf Meinl-Reisinger nur angespielt hatte, das sprach die "wilde" Abgeordnete (ehemals FPÖ) Philippa Strache übrigens als eine der letzten Rednerinnen aus, allerdings ins Hochdeutsche gewendet: "Schleich dich, du Arschloch!" Die zu dem Zeitpunkt den Vorsitz führende Zweite Nationalratspräsidentin Doris Bures (SPÖ) betonte, ausschließlich wegen des klaren Kontextes keinen Ordnungsruf zu erteilen. Den von ihrer ehemaligen Partei eingebrachten Misstrauensantrag gegen Nehammer lehnte Strache übrigens ab.

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