NÖ: VfGH hebt Mindestsicherungsregelung auf

Symbolbild.
Der Verfassungsgerichtshof bezeichnet die derzeitige Regelung als "unsachlich und daher verfassungswidrig" und durchkreuzt damit auch die Pläne der Bundesregierung. Diese hält aber an ihrem Vorhaben fest.

Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat in der Märzsession weitere Klarstellungen zur Bedarfsorientierten Mindestsicherung getroffen. Eine von der Dauer des Aufenthalts in Österreich abhängige Wartefrist für die Mindestsicherung in voller Höhe und eine starre Deckelung der Bezugshöhe bei Haushalten mit mehreren Personen im NÖ Mindestsicherungsgesetz "sind unsachlich und daher verfassungswidrig".

Wörtlich heißt es in der Entscheidung vom 7. März 2018: "Das mit § 11b NÖ MSG geschaffene System [Deckelung, Anm.] nimmt keine Durchschnittsbetrachtung vor, sondern verhindert die Berücksichtigung des konkreten Bedarfes von in Haushaltsgemeinschaft lebenden Personen. Dadurch verfehlt dieses System der Bedarfsorientierten Mindestsicherung ab einer bestimmten Haushaltsgröße seinen eigentlichen Zweck, nämlich die Vermeidung und Bekämpfung von sozialen Notlagen bei hilfsbedürftigen Personen."

Auswirkungen für die Bundesregierung

Damit durchkreuzt der Verfassungsgerichtshof auch die Pläne der Bundesregierung. Diese will die Mindestsicherung nur an jene Personen auszahlen, die in den vergangenen sechs Jahren mindestens fünf Jahre in Österreich gelebt haben. Das Regierungsprogramm sieht zudem eine Deckelung für alle Bezieher auf maximal 1.500 Euro vor, egal wie viele Personen zur Familie beziehungsweise Bedarfsgemeinschaft zählen. Anerkannte Flüchtlinge und Schutzberechtigte sollen damit nur mehr 365 Euro plus 155 Euro Integrationsbonus (Voraussetzung ist eine Integrationsvereinbarung) erhalten. Variabel gewährt werden dürfen zusätzliche 40 bis 80 Euro für sonstige Ausgaben.

NÖ: VfGH hebt Mindestsicherungsregelung auf
ABD0101_20171130 - WIEN - ÖSTERREICH: Norbert Hofer (l./FPÖ) und Gernot Blümel (ÖVP) während einer PK im Rahmen einer Verhandlungsrunde der Steuerungsgruppe in den Koalitionsverhandlungen zwischen ÖVP und FPÖ am Donnerstag, 30. November 2017, in Wien. - FOTO: APA/ROLAND SCHLAGER

"Natürlich respektiert die Bundesregierung die Entscheidung des VfGH zur Mindestsicherung in Niederösterreich", betonten die Regierungskoordinatoren Gernot Blümel ( ÖVP) und Norbert Hofer (FPÖ) in einer gemeinsamen schriftlichen Stellungnahme gegenüber der APA. "Wir halten aber an unserem Ziel fest, eine bundesweit einheitliche Lösung zu erarbeiten, die differenziert zwischen denjenigen Personen, die schon länger in das Sozialsystem eingezahlt haben und jenen Nicht-Österreichern, die neu in das Sozialsystem dazu gekommen sind." Einen entsprechenden Vorschlag soll es bis Ende des Jahres geben.

"Wer arbeiten geht, darf nicht der Dumme sein"

"Die vom Verfassungsgerichtshof heute getroffene Entscheidung nehmen wir selbstverständlich zur Kenntnis", reagierte Klaus Schneeberger, Klubobmann der ÖVP im NÖ Landtag. Gleichzeitig kündigte er an, dass sich das Landesparlament mit den notwendigen Änderungen des NÖ Mindestsicherungsgesetzes "so rasch wie möglich" befassen werde. Dabei wolle man aber jedenfalls den Grundsätzen treu bleiben, "die wir mit den bisherigen Maßnahmen verfolgt haben", betonte Schneeberger: "Wer arbeiten geht, darf nicht der Dumme sein."

Helga Krismer, Klubobfrau der Grünen im NÖ Landtag, fühlt sich durch die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes zur niederösterreichischen Mindestsicherung in ihrer langjährigen Kritik an dieser Regelung bestätigt. "Wir haben vom Anfang an die Verfassungswidrigkeit aufgezeigt", stellte sie fest. Die Grünen hätten seit mehr als einem Jahr darauf hingewiesen, "dass die ÖVP hier ein Gesetz schlampig erstellt und beschlossen hat, die Verschärfungen existenzbedrohend sind und durch die Kürzungen der Sozialleistungen mehr Armut bei Kindern, Alleinerziehern, Familien, Senioren und Behinderten bedeutet". Die Landesregierung sei nun aufgefordert, das Gesetz so zu "reparieren, dass einerseits die Deckelung fällt und die Existenz der Menschen gesichert bleibt".

Keine Reparaturfrist

Die Aufhebung der Mindestsicherungsregelung in Niederösterreich erfolgte laut Verfassungsgerichtshof (VfGH) ohne Reparaturfrist. Die aufgehobenen Bestimmungen seien nicht mehr anzuwenden. Die niederösterreichische Mindestsicherung (NÖ MSG) hatte den VfGH aufgrund von mehr als 160 Anträgen des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich beschäftigt. Dahinter stehen jeweils Beschwerden von Personen, die nach der seit 1. Jänner 2017 geltenden Rechtslage eine geringere Mindestsicherung zugestanden bekommen haben.

NÖ: VfGH hebt Mindestsicherungsregelung auf

Zur Frage der Deckelung verwies der Gerichtshof auf seine bisherige Rechtsprechung: "Auch wenn die Lebenshaltungskosten pro Person bei zunehmender Größe der Haushaltsgemeinschaft abnehmen mögen, so ist doch immer noch je weitere Person ein Aufwand in einiger Höhe erforderlich." Es gebe also keinen sachlichen Grund, richtsatzmäßige Geldleistungen für eine Haushaltsgemeinschaft ab einer bestimmten Anzahl von Haushaltsangehörigen abrupt zu kürzen.

Deckelung und Wartefrist

Der Gerichtshof habe sich "nicht veranlasst" gesehen, von dieser Rechtsprechung abzugehen. Das System der niederösterreichischen Mindestsicherung stellt grundsätzlich auf den konkreten Bedarf der betroffenen Personen ab. Die Deckelung hingegen begrenzt den Anspruch "in Abkehr" von diesem System unabhängig von der Zahl der Personen mit einem fixen Betrag. Wörtlich heißt es in dem Erkenntnis: "Damit hat der niederösterreichische Gesetzgeber eine unsachliche Regelung geschaffen: Wenngleich 1.500 Euro für bestimmte Haushaltskonstellationen ausreichend sein können, verhindert das NÖ MSG eine einzelfallbezogene und damit sachliche Bedarfsprüfung."

Neben der Deckelung betrafen die Anträge des Landesverwaltungsgerichts auch die Wartefrist (§ 11a NÖ MSG). Wer sich nicht mindestens fünf der vergangenen sechs Jahre in Österreich aufgehalten hat, kann unabhängig von der Staatsbürgerschaft statt der Mindestsicherung nur eine geringere Leistung gemäß den "Mindeststandards - Integration" beziehen. Ausnahmen gelten für in Österreich geborene Kinder von voll Anspruchsberechtigten und für Personen, die Österreich für Ausbildungszwecke oder aus beruflichen Gründen verlassen haben.

Ungleichbehandlung

Die niederösterreichische Landesregierung begründe die Wartefrist mit dem Erfordernis der Integration sowie der Setzung eines Anreizes zur Arbeitsaufnahme. Dem hält der VfGH entgegen, dass die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft eine vorhandene Integration bereits voraussetze.

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Die Differenzierung nach der Aufenthaltsdauer könne auch nicht mit einem Anreiz zur Arbeitsaufnahme begründet werden: "Für den Verfassungsgerichtshof ist nicht erkennbar, weshalb österreichische Staatsbürger, die innerhalb der letzten sechs Jahre weniger als fünf Jahre in Österreich aufhältig waren, einen stärkeren Arbeitsanreiz benötigten, zumal der bloße Aufenthalt im In- oder Ausland keinerlei Rückschluss auf die Arbeitswilligkeit der Person zulässt."

Die Regelung führe daher zu einer sachlich nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung österreichischer Staatsbürger untereinander je nach Aufenthaltsdauer in Österreich innerhalb der letzten sechs Jahre. Die Anknüpfung an die Aufenthaltsdauer in Österreich sei zudem im Hinblick auf Asylberechtigte (Personen, denen internationaler Schutz bereits zuerkannt wurde) unsachlich: "Asylberechtigte mussten ihr Herkunftsland wegen 'wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden' verlassen und können aus denselben Gründen (derzeit) nicht dorthin zurückkehren. Asylberechtigte können daher im vorliegenden Zusammenhang nicht mit anderen Fremden (Unionsbürgern und Drittstaatsangehörigen), denen es frei steht, in ihren Herkunftsstaat zurückzukehren, gleichgestellt werden", so der VfGH.

Wien

Aufgrund des Widerstandes von ÖVP und FPÖ wurde die neue Regelung der Mindestsicherung in Wien einen Tag später als geplant im Gemeinderat beschlossen. Weitreichende Eingriffe wurden dabei am Freitag nicht vorgenommen: Eine generelle Kürzung wird nicht vorgenommen, auch eine Unterscheidung zwischen Zuwanderern und Staatsbürgern gibt es nicht. Die maximale Höhe für einen alleinstehenden Bezieher liegt bei 844 Euro monatlich. Verschärft wurden allerdings die Bedingungen, um diese Summe auch in dieser Höhe überwiesen zu bekommen: Wer AMS-Kurse nicht besucht oder Beschäftigungsangebote ablehnt, muss im rot-grünen Wien nun mit Kürzungen rechnen. In Kraft tritt die neue Regelung im Februar 2018.

Burgenland

Obwohl im Burgenland mit Hans Niessl ebenfalls ein Sozialdemokrat an der Spitze des Landes steht, geht man mit Mindestsicherungsbeziehern deutlich härter um als in Wien. Heuer einigte sich die rot-blaue Koalition darauf, einen "Deckel" für Familien bei 1.500 Euro pro Monat einzuführen und die Mindestsicherung für Zuwanderer zu kürzen. Für diese gilt eine fünfjährige Wartefrist. In dieser Zeitspanne bekommen Nicht-Österreicher nur 584 Euro pro Monat - statt der grundsätzlich vorgesehenen 838 Euro.

Oberösterreich

Gekürzt wurde auch in Oberösterreich. Inklusive Integrationsbonus bekommen Flüchtlinge hier 520 Euro monatlich - statt der eigentlich vorgesehenen 914 Euro. Wer den Integrationsbonus haben will, muss eine Vereinbarung unterzeichnen, die Deutsch-Kurse und Werteschulungen beinhaltet. Auch einen "Deckel" für Familien hat man eingeführt, und zwar bei 1512 Euro pro Monat.

Kärnten

Im SPÖ-regierten Bundesland wurde bisher nicht gekürzt, die Obergrenze von 844 Euro pro Monat gilt für alle Bezieher der Mindestsicherung.

Steiermark

Bei den steirischen Nachbarn wurde zwar nicht massiv eingegriffen, dennoch bekommen Zuwanderer hier weniger Geld als einheimische Bezieher der Mindestsicherung. Statt der üblichen 837 Euro pro Monat beziehen Zuwanderer in der Steiermark eine sogenannte "Integrationshilfe" über 628 Euro pro Monat. Einen Deckel für Familienbezüge gibt es nicht, Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer (ÖVP) sprach sich in der Vergangenheit mehrmals dagegen aus.

Tirol und Vorarlberg

Die beiden westlichsten Bundesländer teilen sich ein Mindestsicherungs-Modell: Ein Deckel kommt darin nicht vor, allerdings wurde eine Kürzung für Bezieher in Wohngemeinschaften vorgenommen. Dies soll auch und vor allem Flüchtlinge treffen. Wer in einer Wohngemeinschaft lebt, bekommt in Tirol und Vorarlberg nur 473 statt der üblichen 633 Euro pro Monat.

Salzburg

Im von der ÖVP und den Grünen regierten Salzburg scheiterten bisher die Kürzungsversuche. Inklusive Wohnkosten-Zuschuss können Alleinstehende in Salzburg rund 1000 Euro an Mindestsicherung erhalten.

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