Sie sprechen den Passus im Regierungsprogramm an, der für den Bereich Migration und Asyl eine Art koalitionsfreien Raum vorsieht. Wird das also jetzt die Bewährungsprobe dafür?
Natürlich ist das ein Testfall für die Frage, ob eine Regierung aus einer rechtskonservativen und einer Mitte-links-Partei funktionieren kann. Man kann hier auch den Streit um das EU-Budget heranziehen: Wenn ich mir anschaue, wie die ÖVP dem Regierungspartner ausrichtet: das ist unsere Angelegenheit, eure Meinung zählt hier nicht, dann ist das eine ganz schwierige Situation für diese Regierung. Die Grünen müssten etwa beim EU-Budget sehr viel lauter sagen: Wer will, dass Europa funktioniert, der kann nicht mit dem Rotstift durch dieses Budget marschieren, der kann nicht gerade in den Bereichen Migration und Sicherheit die größten Einschnitte vornehmen.
Was genau fordern Sie von der österreichischen Regierung beim Thema Flüchtlinge/Migranten? Das Konzept der Verteilung ist ja offenbar obsolet …
Österreich hätte im Rahmen seiner Ratspräsidentschaft unter dem Vorsitz des damaligen wie des jetzigen Bundeskanzlers, wie ursprünglich angekündigt, das Thema Migration wirklich ernsthaft angehen können – ist nicht passiert. Aber wenigstens jetzt müsste Österreich seine sehr nationale Haltung aufgeben und Verantwortung in Europa übernehmen. Wir müssen die Fragen, die wir nur gemeinsam lösen können, auch gemeinsam diskutieren: gemeinsame Asylverfahren, Grenzschutz – Frontex hat lange nicht die Mittel, die es braucht; und es geht auch um den richtigen Umgang mit den Nachbarn – und die Türkei ist einer der geopolitisch wichtigsten Nachbarn.
Was hat sich für Neos eigentlich unter Türkis-Grün geändert – im Vergleich zu Türkis-Blau?
Wir haben fünf Abgeordnete mehr, das sind 50 Prozent mehr, und das bedeutet mehr Kraft in der Opposition. Ansonsten geht es uns, glaube ich, wie vielen Österreichern: Wir sind überrascht, dass sich inhaltlich gar nicht so viel geändert hat, dass wir vieles sehen, was wir schon von Türkis-Blau kennen – was uns naturgemäß nicht besonders glücklich macht: dass es im Bildungsbereich nach wie vor einen sehr konservativen Ansatz gibt, dass bei der Entlastung viel versprochen aber wenig umgesetzt wurde, dass wir in Europa – wie gerade erwähnt – nicht die Rolle spielen, die wir spielen sollten. Wir sehen, dass auch diese Regierung eine starke Opposition braucht – auch im Bereich der Rechtsstaatlichkeit, wo es eigentlich die Erwartung gab, dass sich da mit einer grünen Regierungsbeteiligung einiges verbessern würde.
Sie sind die kleinste Oppositionspartei – die beiden anderen, SPÖ und FPÖ, sind allerdings beide sehr mit sich selbst beschäftigt: Wie funktioniert eigentlich die Zusammenarbeit innerhalb der Opposition?
Wir sind die Oppositionspartei mit dem konstruktiv-kritischen Ansatz. Die Zusammenarbeit funktioniert punktuell ganz gut. Wenn Sie etwa an den Ibiza-U-Ausschuss denken, wo VP und Grüne verhindert haben, dass man all das untersucht, was auf den Tisch gehört, und nicht nur Teile davon. Prinzipiell sind wir an einer starken Opposition interessiert und würden uns wünschen, dass auch die anderen beiden Parteien ihre Rolle wahrnehmen, was allerdings aus unterschiedlichen Gründen nur bedingt der Fall ist.
Sind Sie noch ein bisschen gekränkt, dass man Sie nicht mit an Bord genommen hat für eine Dreierkoalition?
Nein, wir waren nie und sind nicht gekränkt – das Wahlergebnis hat eine Zweierkoalition ermöglicht. Man hätte natürlich überlegen können, ob eine Dreierkoaliton zwar nicht nötig, aber vielleicht ein sehr innovatives, progressives Signal gewesen wäre – in vielen anderen Ländern sind ja Mehrparteienkoalitionen durchaus üblich. Angesichts der Situation, wie wir sie jetzt haben, wo uns das „Beste aus beiden Welten“ versprochen wird und dabei wenig Fortschrittliches herauskommt, wäre das vielleicht nicht so schlecht gewesen. Dieses Regierungsprogramm hätte es mit uns jedenfalls nicht gegeben – das hätten wir nicht unterschrieben, und das hätten unsere Mitglieder auch nicht mitgetragen. Das betrifft einerseits die Rechtsstaatlichkeit: jemanden auf Verdacht einzusperren – das ist eine rote Linie für uns, die wir nicht überschritten hätten; oder das Pensionsthema: wenn man in ein Regierungsprogramm hineinschreibt, es ist eigentlich alles eh nicht so schlimm, das wäre mit uns auch nicht möglich gewesen.
Wieviel Matthias Strolz steckt eigentlich noch in den Neos?
Soviel wie Beate Meinl-Reisinger, Nikolaus Scherak, Sepp Schellhorn – das sind alles Personen, die Neos geprägt haben; Strolz als Mitgründer und langjähriger Vorsitzender. Von ihm ist beispielsweise sicher sein Spruch zum Thema Bildung „jedem Kind die Flügel heben“ geblieben, das ist ganz tief in den Neos verankert.
Apropos „die Flügel heben“: Sie waren bei den letzten Wahlen durchwegs erfolgreich, aber so richtig abgehoben haben Sie nicht, Ihre Bäume sind nicht in den Himmel gewachsen. Könnte es sein, dass die Neos letztlich zwischen allen Stühlen sitzen bleiben, wie schon dereinst das Liberale Forum?
Wir sind auf einem richtigen Weg und wachsen stetig. Aber es stimmt, wir explodieren nicht. Mir ist aber lieber, wir wachsen langsam, als wir sind eine Jojo-Partei, die einmal ganz oben und dann wieder unten ist. Die Freiheitlichen haben das erlebt, die Grünen – und auch die ÖVP ist plötzlich durch einen Vorsitzwechsel wieder emporgeschnellt. Mit ist das beständige und solide Wachstum lieber.
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