Neuwahl: Stresstest für die Sozialpartner

WKÖ-Präsident Christoph Leitl und ÖGB-Präsident Erich Foglar
Wenn sich SPÖ und ÖVP im Herbst scheiden lassen, droht den Sozialpartnern eine Beziehungskrise.

Manchmal lohnt es sich, in alten Sachen zu kramen und Schätze aus vergangenen Tagen auszugraben.

SPÖ und ÖVP befinden sich auf dem Scheidungsweg aus der rot-schwarzen Dauerkoalition. Ob die Trennung im Herbst tatsächlich vollzogen wird, kann man jetzt noch nicht wissen. Ein Blick in die Berichterstattung jener Tage, als SPÖ und ÖVP das letzte Mal getrennte Wege gingen, zeigt aber, was damit verbunden wäre: ein Stresstest für die Sozialpartner.

Über eine Zerreißprobe für die Sozialpartner berichtete der KURIER nach Gründung der schwarz-blauen Koalition im Februar 2000. Martin Bartenstein verwahrt sich gegen eine Kürzung der Arbeiterkammerbeiträge meldete die APA. Jörg Haider hatte zuvor eine Reduktion der Arbeiterkammerbeiträge von 0,5 auf 0,3 Prozent des Bruttolohns verlangt. Ist die Sozialpartnerschaft am Ende?, lautete der Titel der Sonntagabend-Diskussion im ORF. Der damalige rote Chefgewerkschafter, Rudolf Nürnberger, drohte mit Streik, sollte die schwarz-blaue Regierung die Selbstverwaltung in der Sozialversicherung antasten.

Die heutigen Sozialpartner-Präsidenten benötigen kein Archiv, um sich zu erinnern. Sie wissen genau, was sich zwischen 2000 und 2006 abspielte. Christoph Leitl war damals bereits Wirtschaftskammer-Boss und befand sich höchstpersönlich im Zwiespalt zwischen Loyalität gegenüber den Sozialpartnern und Loyalität gegenüber seiner Partei, die eben diese Sozialpartnerschaft – unter Druck der FPÖ – abmontieren wollte. ÖGB-Boss Erich Foglar wiederum war als damaliger Zentralsekretär der Metallergewerkschaft der engste Mitarbeiter jenes Rudolf Nürnberger, der die Selbstverwaltung notfalls mit Streik zu verteidigen bereit war.

Angesichts dieser persönlichen Erfahrungen ist nicht viel Fantasie nötig, um sich auszumalen, worüber Foglar und Leitl dieser Tage unter vier Augen reden. Die beiden Präsidenten müssen entscheiden, ob sie die Verhandlungen über einen Mindestlohn von 1500 € und eine weitere Flexibilisierung der Arbeitszeit zum Erfolg führen. Eine Arbeitswoche noch haben sie Zeit. Bis 30. Juni, so haben sie es der Regierung versprochen, werden sie einen Kompromiss bringen.

In der Gewerkschaft gibt es eine starke Strömung gegen einen Kompromiss. Wozu sich dieses schöne Wahlkampf-Mobilisierungsthema gegen einen 12-Stunden-Tag wegverhandeln?, argumentieren prominente Fachgewerkschafter.

Auch für den Wirtschaftskammer-Boss ist ein Kompromiss ein Risiko, denn die Industriellenvereinigung, Hüterin der reinen Lehre, wird damit kaum zufrieden sein.

Doch aus der Perspektive von Leitl und Foglar geht es um mehr als Arbeitszeitregeln und Mindestlohn. Es geht – angesichts der drohenden rot-schwarzen Scheidung – um das Absichern der Sozialpartnerschaft. Die beiden Präsidenten wollen ihre Daseinsberechtigung beweisen, sie wollen es einer künftigen Regierung mit FPÖ-Beteiligung möglichst schwer machen, zu behaupten, man könne die Sozialpartner ruhig entsorgen, "weil sie eh nix zusammenbringen".

Leitl ist gerade dabei, "seine" Wirtschaftskammer gegen zu erwartende FPÖ-Angriffe abzusichern. Zum zweiten Mal in seiner Amtszeit senkt Leitl die Kammerbeiträge und stimmt darüber hinaus einer weitgehenden Liberalisierung der Gewerbeordnung zu.

Die Arbeiterkammer wappnet sich ebenfalls. Sie kündigte an, ihre Mitglieder über die Pflichtmitgliedschaft abstimmen zu lassen – wissend, dass die Arbeitnehmer mehrheitlich zugunsten der Pflichtmitgliedschaft votieren würden. Damit wäre der FPÖ-Forderung nach Abschaffung der Boden entzogen. Allerdings könnte die Höhe der Arbeiterkammer-Beiträge ein politisches Thema werden. Nachdem die Wirtschaftskammer ihre Beiträge senkt, könnten auch die Arbeitnehmervertreter nachziehen müssen.

Programmiert ist ein Aufeinanderprallen zwischen Politik und Sozialpartnern bei einer allfälligen Zusammenlegung von Sozialversicherungsträgern. Das würde kaum ohne politischen Eingriff in die Selbstverwaltung nötig sein.

Leitl stellte im Zweifel stets die Sozialpartnerschaft über die Partei. Das wissen die Gewerkschafter aus Erfahrung. Dennoch sind viele Gewerkschafter verunsichert: Würde sich Leitl in der ÖVP eines Sebastian Kurz ebenso durchsetzen können wie damals unter Wolfgang Schüssel? Und was kommt nach Leitl (er ist 68)? Daher gibt es in der Gewerkschaft etliche, die es besser fänden, weiterzuregieren, und sei es als Juniorpartner unter einem Kanzler Kurz.

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