Nehammer sagt "befreundeter" Schweiz Hilfe bei EU-Verhandlungen zu
Der Bereich rund um den Niklaus-Thut-Platz in Zofingen im Schweizer Kanton Aargau ist weiträumig abgesperrt. Die Schweizer wollten Impfgegner fernhalten, die Proteste angekündigt hatten. Störaktionen blieben dann aber aus.
Hinter einer Absperrung wartet eine Schulklasse auf dem ansonsten leeren Platz. Die Kinder sind hier, um sich den Besuch aus dem Nachbarland Österreich anzuschauen.
Als die Hymnen gespielt, die Ehrenformation abgeschritten und die Delegationen begrüßt sind, marschiert Kanzler Karl Nehammer gemeinsam mit dem Schweizer Bundespräsidenten Ignazio Cassis auf die Absperrung zu. Die Schüler halten Zettel hoch - sie wollen ein Autogramm vom österreichischen Kanzler. Der ist über den Andrang selbst überrascht: "Hat eure Lehrerin euch geschickt, um Unterschriften zu sammeln?", scherzt Nehammer.
Der Besuch in der Schweiz ist auch für Nehammer etwas Besonderes: Es ist sein erster bilateraler Staatsbesuch seit seinem Amtsantritt im Dezember.
Inhaltlich geht es um zwei Themen: Den Ukraine-Konflikt und die Verhandlungen zwischen Schweiz und EU.
Schweiz und EU: Es ist kompliziert
Was letzteres betrifft, zeigte Nehammer Verständnis für den Schweizer Abbruch der Verhandlungen über ein Rahmenabkommen. "Die EU-Kommission hat auch die Aufgaben und die Besonderheiten in den Mitgliedstaaten, aber auch in den Nachbarstaaten zu berücksichtigen", so Nehammer bei einer gemeinsamer Pressekonferenz mit dem Schweizer Bundespräsidenten Cassis in Zofingen.
Österreich werde sich in Brüssel weiterhin für möglichst enge und gute Beziehungen der EU zur Schweiz einsetzen, so der Bundeskanzler. "Wir wollen eine Brücke bauen, dass wir aus dieser Pattsituation wieder herauskommen", sagte er. Es sei wichtig, einen gemeinsamen Weg zu finden, damit es nicht dazu komme, dass sich die Schweiz weit über Europa hinaus orientieren müsse. Die Schweiz sei ein wichtiger "geostrategischer Partner".
Wenn das Rahmenabkommen schließlich bei einer Volksabstimmung in der Schweiz abgelehnt worden wäre, hätte die EU auch nichts davon gehabt, gab der Bundeskanzler zu Bedenken.
In Bezug auf das EU-Forschungsrahmenprogramm "Horizon Europe", an dem die Schweiz nach dem gescheiterten Rahmenabkommen nur mehr eingeschränkt am teilnehmen kann, meinte Nehammer: "Ich finde es falsch, dass wir die Schweiz als Forschungspartner verlieren." Mit Blick auf die EU-Kommission kritisierte er, es sei "wichtig, nicht an der falschen Stelle einen Justament-Standpunkt einzunehmen".
Auch Cassis sprach in Bezug auf die Forschungskooperation von einer Lose-Lose-Situation, "das zeugt nicht gerade von Weitsicht", so Cassis wohl mit Blick auf die EU-Kommission. Dass die EU mit dem Forschungsprogramm versuche, Druck auf die Schweiz auszuüben, kritisiert er: "Das ist falsch und das schafft in der Schweiz Reaktionen, die schädlich sind."
Der amtierende Schweizer Bundespräsident dankte Österreich, dass sie Schweiz in diesem "nicht ganz einfachen Prozess" helfe, einen Schritt weiterzukommen. Die Tür der Schweiz für die EU sei offen, betonte Cassis.
Die EU und die Schweiz versuchen seit Jahren, ein neues institutionelles Rahmenabkommen zur Regelung ihrer Beziehungen zustande zu bringen. Das hat bisher nicht geklappt - vor allem aufgrund offener Fragen beim Lohnschutz und der Personenfreizügigkeit. Der Schweizer Bundesrat (Regierung) beendete im Mai des vergangenen Jahres offiziell die Verhandlungen der EU über ein Rahmenabkommen.
Seitdem herrscht zwischen Bern und Brüssel Eiszeit. Das rechtliche Verhältnis der Schweiz mit der EU funktioniert derzeit nur auf Basis von bilateralen Verträgen. Sie sind befristet und können derzeit von der EU verlängert oder eben nicht. Daher herrscht ein gewisser Zeitdruck.
Habsburger-Stadt
Warum die Kleinstadt Zofingen im Kanton Aargau Schauplatz des Treffens ist, hatte im Vorfeld für einiges Kopfzerbrechen bei Schweizer Medien gesorgt. Das Schweizer Außenministerium begründete die Ortswahl gegenüber der APA damit, dass der amtierende Bundespräsident und Außenminister Cassis die Außenpolitik in die verschiedenen Teile der Schweiz bringen wolle, und mit der historischen Verbundenheit von Zofingen mit Österreich.
Die Stadt stand im 14. Jahrhundert unter der Herrschaft der Habsburger. Daher sei auch das Zofinger Wappen vom österreichischen Wappen abgeleitet, hieß es. Das Zofinger Wappen besteht aus vier Querstreifen in rot-weiß-rot-weiß.
Der Stadtheld von Zofingen, Niklaus Tuth, hielt als Schultheiß (veraltet für Gemeindevorsteher) treu zu den Habsburgern und fiel 1386 in einer Schlacht gegen die Eidgenossen um die Stadt. Der Legende nach soll er kurz vor seinem Tod das Zofinger Banner vom Stock gerissen und heruntergeschluckt haben, um es dem Zugriff der Eidgenossen zu entziehen und der Stadt eine Schmach zu ersparen.
Eine halbe Stunde von Zofingen entfernt befindet sich die Stammburg der Habsburger. Im Jahr 1415 wurde das mittlerweile in Wien mächtig gewordene Herrscherhaus von den Bernern aus der Stadt vertrieben.
Nachgeholtes Gespräch
Nehammer hätte Cassis eigentlich schon bei dessen Wien-Besuch am 13. Jänner persönlich treffen sollen. Die Begegnung kam aber wegen der damaligen Corona-Infektion des Kanzlers nicht zustande; stattdessen gab es ein Telefonat und die Vereinbarung, das Treffen bald nachzuholen.
An den Gesprächen im Rathaus von Zofingen nahmen auch die Schweizer Innenministerin Karin Keller-Sutter, sowie der Vorarlberger Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP) und der Landammann des Kanton Aargau Alex Hürzeler teil.
Nach dem offiziellen Programm in Zofingen reist Nehammer weiter nach Zürich, wo er den Schweizer Medienmanager und Präsident des Verbandes Schweizer Medien, Pietro Supino, sowie Vertreter der Schweizer Wirtschaft trifft. Thema des Gesprächs mit Supino wird auch der Ausgang der Volksabstimmung über den Ausbau der staatlichen Medienförderung sein.
Die Eidgenossen haben am Sonntag das auch von Supino unterstützte Medienpaket der Schweizer Regierung zur Unterstützung von Zeitungs- und Zeitschriftenverlagen mehrheitlich abgelehnt.
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