Mütter im Kampf gegen Radikalisierung in Wien

Mütter im Kampf gegen Radikalisierung in Wien
Im Projekt "MotherSchools" der NGO "Frauen ohne Grenzen" werden Mütter aus gefährdeten Communities angesprochen und geschult.

Nicht zuletzt seit der Wiener Studie über Heranwachsende in der offenen Jugendarbeit, in der von einer Gruppe "latent gefährdeter" muslimischer Jugendlicher die Rede ist, sind die Wörter Prävention und Anti-Radikalisierung in aller Munde. Nur wie rankommen an die Jugendlichen? Wie Kontakt halten in den betroffenen Communities?

Ein Projekt, das es seit einem Jahr in Wien versucht, sind die sogenannten "MotherSchools", Schulen für Mütter, von der NGO "Frauen ohne Grenzen". Im Ausland ist das Team von "Frauen ohne Grenzen" seit mehreren Jahren aktiv, darunter in Indonesien und Pakistan.

Draht in die Familie

Mit den Schulen sollen vor allem Mütter geschult und sensibilisiert werden, erklären die Organisatorinnen der Initiative. Gearbeitet wird bislang in drei Gruppen, es werden tschetschenische, türkische und kurdische Mütter betreut. Pro Treffen werden zehn bis 15 Frauen sensibilisiert für die Probleme von Jugendlichen und Anzeichen für Radikalisierung. Es geht um Kontaktaufnahme mit den Kindern und Dialogführung in schwierigen Situationen.

Neue Herausforderungen in der Erziehung

In den Schulungseinheiten geht es um die ersten Anzeichen einer Radikalisierung, aber auch um die Herausforderungen in der Pubertät generell. Die Mütter müssen lernen, "die Fähigkeiten der Rekrutierer zurückzuholen". Sie müssen Zeit investieren, zuhören, Interesse zeigen und den Kontakt zu den Kindern nicht abbrechen. Nicht zuletzt müssen sie Vertrauen aufbauen, auch in die eigenen Fähigkeiten. "Die emotionale Bindung ist die größte Ressource" der Mütter, sind die Gründerinnen überzeugt. Im Rahmen ihrer Forschungstätigkeit haben die Soziologinnen aber erkannt, dass oft das Wissen über den richtigen Umgang mit den Kindern in diesen schwierigen Situationen fehlt: "Die Frauen brauchen Expertise und Selbstvertrauen." Durch das Training findet außerdem ein intensiver Austausch mit anderen Müttern statt.

Über drei Monate hinweg kommen sie einmal in der Woche zum Austausch zusammen. Am Ende steht ein Abschlusszertifikat, ein Zeugnis für geleistete Arbeit. Gegenüber Kurier.at zeigen sich die Organisatorinnen überzeugt: "Das ist ein unglaublicher Motivationsschub und auch ein Integrationselement."

Nach den ersten 50 Wiener Absolventinnen ist eine Ausdehnung auf Bosnierinnen und Afghaninnen angedacht. Finanziert wird das Projekt vom Sozialministerium und vom Integrationsministerium. Das Projekt soll auch in die Bundesländer getragen werden, ein Projekt in Klagenfurt wird bereits organisiert.

Thema wird enttabuisiert

Nach einem Jahr wird eine positive Bilanz gezogen. Viele Frauen treffen sich weiterhin, dadurch entstehen neue Netzwerke und die Diskussion wird in die Familien und Communities getragen. Das Thema Radikalisierung werde enttabuisiert, ein Klima der Offenheit geschaffen.

Frauen sichtbar machen

Die NGO wollte Frauen und ihre Fähigkeiten zur Konfliktlösung sichtbar machen. Im Bereich der Sicherheitspolitik seien Frauen bislang "unsichtbar" gewesen. Ihr Potential wurde nicht wahrgenommen, das soll sich ändern.

Projekt gründet auf viel Forschungsarbeit

Am Anfang standen Interviews mit Müttern von Selbstmordattentätern aus Palästina, daraus entstand 2008 ein Forschungsprojekt in Ländern, die traditionell von Gewalt und Terror betroffen sind - in Pakistan, Israel, Palästina, Nigeria, Nordirland - zu dem Thema: "Können sich Mütter dem gewalttätigen Extremismus in ihren Familien stellen?"

Daraus entstanden die sogenannten "MotherSchools - parenting for peace", zu deutsch Schulen für Mütter. Ein Bildungsangebot für Mütter, um über die Gefahren des gewalttätigen Extremismus aufzuklären.

Die langfristige Planung hat sich ausgezahlt. Bis jetzt haben über 1500 Mütter eine Mutterschule abgeschlossen, in Indonesien, Pakistan, Kaschmir, Indien, Nigeria, Sansibar, Belgien, England und Österreich. Viele Absolventinnen sind inzwischen Trainerinnen geworden.

Neue Projekte

Neue Projekte sollen in Mazedonien und im Kosovo entstehen, auch in einem Flüchtlingslager in Jordanien wollen "Frauen ohne Grenzen" aktiv werden.

Der größte Unterschied zwischen den Projekten in Europa und außerhalb?

Die Gruppe der Migranten in Europa habe es nach Ansicht der Forscherinnen von "Frauen ohne Grenzen" schwerer. Die erweiterte Familie fehle, die Isolation sei größer. Deswegen sei es umso wichtiger neue Netzwerke aufzubauen, die über die Familien hinausgehen. Insofern leisten die "MotherSchools" wohl auch einen wichtigen Betrag zur Integration.

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