Mödlhammer: "Verordnete Integration funktioniert nicht"
Ob Flüchtlingskrise, Integration oder die Kosten der Bundespräsidentenwahl: Für die österreichischen Gemeinden war das Jahr 2016 außergewöhnlich belastend. Was die Flüchtlingsintegration anbelangt, wird das auch in Zukunft so sein, sagt Helmut Mödlhammer, seit 1999 der Präsident des Österreichischen Gemeindebunds, der Interessensvertretung der Gemeinden.
Für Mödlhammer hängt die Lösung vieler Probleme in Österreich vor allem davon ab, ob die Bürger auf Gemeindeebene mit ins Boot geholt werden. Im Interview mit kurier.at erklärt er, wie Gemeinden die Flüchtlingskrise bewältigen und was die "hohe Politik" von den Bürgermeistern lernen kann.
KURIER: 2016 war kein leichtes Jahr, wie geht es den österreichischen Gemeinden?
Helmut Mödlhammer: Wir wissen aus Umfragen, dass den Bürgerinnen und Bürgern die Gemeinden am Herzen liegen. Die Gemeinde ist jene Einrichtung, die mit Abstand das höchste Vertrauen genießt bei den Menschen – im Gegensatz zu den anderen Gebietskörperschaften Bund, Länder und Europäische Union. Die Leute wollen klare und einfache Spielregeln. Aber es gibt überall zu wenig Geld, zuviel Bürokratie, zuviel Verwaltung und Einschränkungen der Freiheit. Wir leben also in einer Zeit, die Gemeindevertreter massiv fordert.
Warum sind die Gemeinden vergleichsweise beliebt?
Ein maßgeblicher Grund ist, dass Parteipolitik auf der Gemeindeebene keine so große Rolle spielt. Der Bürgermeister, die Bürgermeisterin muss zunächst einmal schauen, dass es den Leuten gut geht. Zuerst geht darum, dass die Sache funktioniert, dann erst um Parteipolitik. Spannend ist, dass sie eine größere Rolle spielt, je östlicher in Österreich sich eine Gemeinde befindet. In Vorarlberg und Tirol ist es ganz anders.
Spielt da die Unbeliebtheit der Parteien im Allgemeinen hinein?
Im Grunde genommen will der Gemeindebürger, dass sein Lebensumfeld so gestaltet ist, dass er sich wohl fühlt. Es interessiert ihn kaum mehr, ob ein Bürgermeister aus dieser oder jener Partei ist. Es gibt aber beim Wahlverhalten einen Riesenunterschied zwischen Bürgermeisterwahl, Gemeindevertretungswahl, Landes- oder Bundeswahlen. Da liegen Welten dazwischen. Das zeichnet auch das Demokratieverständnis aus.
Kann die Gemeindepolitik ein Vorbild für die Bundespolitik sein?
Das wäre das Vorbild, das sage ich sehr offen. Das Vertrauen in die Politik nimmt ab, je größer die Einheit ist. Die Leute akzeptieren unterschiedliche Meinungen, aber in der Sache erwarten sie ein gemeinsames Vorgehen.
Aber herrschen auf den höheren Ebenen nicht auch ganz andere Zwänge? Kann man einen Staat wie eine Gemeinde regieren?
Im Grunde wäre das Verhalten auf allen Ebenen gleich anzusetzen, nämlich: Lösungen gemeinsam zu erarbeiten, zu präsentieren, mit den Bürgern zu diskutieren und umzusetzen. Es ist natürlich schwieriger, das im Staat Österreich zu machen, als in einer 300-Einwohner-Gemeinde. Aber im Grunde ist das Strickmuster immer das gleiche.
Was steht dem auf Landes- oder Bundesebene im Weg?
Dass man eher an den Schaden des Partners denkt, als an die Lösungen. Im Grunde müssten alle bestrebt sein, ein Problem gemeinsam zu lösen und einen Kompromiss zu finden, auch wenn der im Nachhinein kritisiert wird. Das erwarten sich die Österreicher und nicht, dass die Dinge auf die lange Bank geschoben werden. Die Energie in positive Dinge zu stecken, nicht in negative, darum geht es.
Wie ist Ihrer Wahrnehmung nach gerade die Stimmung in den Gemeinden?
Die Stimmung ist von Unsicherheit geprägt, auf der Ebene der Welt, aber auch auf österreichischer Ebene. Die Leute sind politisch enttäuscht, das ist an den Wahlergebnissen abzulesen. Sie wenden sich von der klassischen Politik ab und hin zu Propheten, die Verbesserungen versprechen. Das ist eine Riesengefahr, das sage ich auch ganz offen. Denn das ermöglicht diesen Leuten, in ein Machtvakuum vorzustoßen.
Welche Rolle spielt derzeit das Flüchtlingsthema?
Das wird das künftige Hauptthema sein. Mit der Integration der Menschen wird es schwierig werden. Das muss in den Gemeinden verankert sein, sonst geht es nicht. Verordnete Integration funktioniert nicht. Man muss schauen, dass die Menschen vor Ort Beschäftigung und Betreuung haben, dass sie Deutsch lernen und an den Arbeitsmarkt herangeführt werden. Das wird nur in den Gemeinden möglich sein. Man kann die größten Gesetze verabschieden – wenn die Leute unten das nicht umsetzen, wird es nicht funktionieren.
Haben sie das Gefühl, dass das auf Bundesebene auch so angekommen ist?
Man hat bei der Unterbringung der Flüchtlinge gesehen, dass es ohne die Gemeinden nichts geht. Dass ein Durchgriffsrecht nur dann etwas bringt, wenn die Gemeinden mitgehen und überzeugt sind. Wenn die Menschen vor Ort sagen „Wir machen das“. Da ist Großartiges passiert. Bürgermeister haben die Bürger informiert, überzeugt und als Partner gewonnen, das ist ganz entscheidend. Es gibt tolle Beispiele: Pensionierte Lehrer, die Unterricht geben. Flüchtlinge, die in Feuerwehr und Kapelle integriert wurden. Das ist es, warum das Leben in Österreich noch funktioniert. Es gibt unwahrscheinlich viel Engagement seitens der Bürger.
Aber oft funktioniert es nicht.
Je größer die Einheit, desto schwieriger ist es. Wenn die Bevölkerung nicht eingebunden ist und nicht überzeugt ist, dass die Notwendigkeit besteht, dann wird es nicht funktionieren.
Was ist die Alternative, wenn die Stimmung schon gekippt ist?
Aus positiven Beispielen lernen. Wir wissen aus Umfragen, dass sich die Menschen dort, wo es funktioniert, auch dazu bekennen. Die Ablehnung ist in jenen Gemeinden, wo es keine Flüchtlinge gibt, wesentlich größer. Und große, unüberschaubare Einheiten sind das Schlimmste. Überall, wo der Asylwerber oder der Mindestsicherungsbezieher ein Gesicht hat, gibt es weniger Probleme. Dort, wo Anonymität herrscht, wo die Menschen einander nicht begegnen und nicht mehr miteinander kommunizieren – dort sind die Probleme.
Kommentare