Vielmehr wolle man sich mit Gewessler „politisch auseinandersetzen“, betont ÖVP-Generalsekretär Nico Marchetti in der Kronen Zeitung. Die nötige parlamentarische Mehrheit, um die Anklage einleiten zu können, ist somit außer Reichweite.
Offenbar ist man ÖVP-intern zur juristischen Bewertung gekommen, dass eine Ministeranklage wenig Erfolgschancen gehabt hätte.
Hintergrund: Gewesslers Straßenbaustopp
Die FPÖ wirft Gewessler vor, aus ideologischen Gründen als Ministerin mehrere Straßenbauprojekte wie den Lobautunnel gestoppt zu haben. Die gestrichenen Projekte seien aber Teil des Bundesstraßengesetzes, die frühere Ministerin habe also gegen geltendes Recht verstoßen.
Auch Brunner im Visier
Auch gegen den früheren ÖVP-Finanzminister Magnus Brunner will die FPÖ eine Ministeranklage einbringen. Dieser habe vor der Nationalratswahl „Wählertäuschung“ hinsichtlich der Verschuldung Österreichs betrieben. Zuletzt wurde der Antrag im zuständigen Ausschuss vertagt.
Obwohl immer wieder mit diesem Instrument zur Sanktionierung von Regierungsmitgliedern gedroht wird, ist in der Öffentlichkeit nur wenig darüber bekannt, was genau darunter zu verstehen ist. Was damit zu tun haben könnte, dass es in der Praxis sehr selten tatsächlich zum Einsatz kommt und noch seltener reale Konsequenzen nach sich zieht.
"Schuldhafte Rechtsverletzungen"
Mit einer Ministeranklage beim Verfassungsgerichtshof (VfGH) können die obersten Bundes- und Landesorgane „für die durch ihre Amtstätigkeit erfolgten schuldhaften Rechtsverletzungen“ belangt werden, wie es in Artikel 142 des Bundes-Verfassungsgesetzes (B-VG) heißt. Konkret betrifft das den Bundespräsidenten (durch Beschluss der Bundesversammlung), Landeshauptleute oder Mitglieder von Bundes- und Landesregierungen in verschiedenen Konstellationen.
Das B-VG sieht verschiedene Fälle vor, bei denen eine Ministeranklage eingebracht werden kann. Etwa gegen den Bundespräsidenten wegen Verletzung der Bundesverfassung, gegen Mitglieder der Bundesregierung (wie in den aktuellen Fällen) wegen Gesetzesverletzung. Oder etwa gegen einen österreichischen Vertreter im Rat der Europäischen Union wegen Gesetzesverletzung in Angelegenheiten, in denen die Gesetzgebung Bundessache wäre.
Amtsverlust droht
Bei einer Verurteilung ist als Sanktion der Amtsverlust vorgesehen, unter besonders erschwerenden Umständen auch auf zeitlichen Verlust der politischen Rechte. In geringfügigen Fällen kann vom VfGH auch nur eine Rechtsverletzung festgestellt werden.
Große Erfahrungen mit Ministeranklagen hat Österreich nicht - der ehemalige Präsident des VfGH, Gerhart Holzinger, nannte sie einmal aufgrund der nötigen Mehrheitserfordernisse „totes Recht“.
Der letzte Fall
In der Praxis musste sich nach 1945 lediglich der damalige Salzburger Landeshauptmann Wilfried Haslauer senior (ÖVP) deshalb vor dem VfGH verantworten. Er hatte eine Weisung des damaligen Sozialministers Alfred Dallinger (SPÖ) missachtet und die Geschäfte am 8. Dezember 1984 in Salzburg per Verordnung offenhalten lassen. In diesem Fall beschränkte sich jedoch der VfGH lediglich auf die Feststellung, dass eine Rechtsverletzung vorliege.
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