Die großen Hürden warten auf Gewessler erst danach. Nach dem fulminanten Comeback in den Nationalrat und den Regierungseintritt 2019 waren zuletzt die grünen Aktien im Sinkflug: Nach der Nationalratswahl 2024 fand man sich mit einem herben Minus von 5,6 % in der Opposition wieder, mit Ausnahme des Burgenlands ist man auch in keiner Landesregierung mehr vertreten. Und angesichts der Wirtschaftskrise hat das grüne Kernthema Klimaschutz massiv an Zugkraft verloren.
Nicht zuletzt deshalb hat Kogler bereits gemahnt, die Grünen müssten sich inhaltlich breiter aufstellen. Doch ist ausgerechnet Gewessler, die sich noch vor wenigen Monaten in Sachen Klimaschutz mit der ÖVP erbitterte Kämpfe bis an den Rand des Koalitionsbruchs geliefert hatte, die richtige dafür?
Wirtschaft und Soziales
Auf jeden Fall, sagt ein langjähriger Funktionär und Gewessler-Unterstützer zum KURIER. „Sie verfügt auch über sehr viel wirtschaftspolitisches Verständnis – gerade wenn es um die Frage geht, wie wir unsere Wirtschaft in Richtung mehr Nachhaltigkeit transformieren können.“ Hier könnte Österreich Vorreiter werden und somit auch viele neue Arbeitsplätze schaffen.
Sozialpolitik werde ein weiterer Schwerpunkt der neuen grünen Chefin werden, ist ihr Mitstreiter überzeugt. „Viele SPÖ-Unterstützer sind enttäuscht, dass das Sparprogramm zu wenig Rücksicht auf die zehn Prozent der Bevölkerung mit dem niedrigsten Einkommen nimmt.“ Um sie würden sich jetzt die Grünen kümmern – etwa mit der Forderung nach vermögensbezogenen Steuern.
"Auf ein Bier mit Leonore"
Unter dem Motto „Auf ein Bier mit Leonore“ absolviert Gewessler gerade eine Wirtshaus-Tour durch ganz Österreich. Damit will sie sich und die Grünen von dem Image befreien, kein Ohr für die Sorgen breiterer Bevölkerungsgruppe zu haben.
„Wir haben uns zu sehr im eigenen Biotop bewegt. Es ist wichtig, aus der grünen Komfortzone auszubrechen und auch das Gespräch mit Unternehmen, Gastronomen oder Landwirten zu suchen“, sagt der Funktionär, der davon überzeugt ist, dass dies auch gelungen sei. „Auch viele Nicht-Grünwähler attestieren Gewessler hohe Glaubwürdigkeit und respektieren, dass sie dem Koalitionspartner die Stirn geboten hat.“
Doch reicht das, damit die Grünen ihr Wählerspektrum erweitern können? „Es hilft bereits, wenn man einen ÖVP-Wähler davon überzeugen kann, dass eine Zusammenarbeit mit den Grünen möglich ist.“
Gekränkte Eitelkeiten
Dorthin ist es freilich noch ein langer Weg. Besonders die ÖVP will nach den Erfahrungen der vergangenen fünf Jahre nichts von einer Koalition mit den Grünen wissen. Wobei es hier weniger um die sachpolitischen Differenzen mit Gewessler gehen würde, sondern um gekränkte Eitelkeiten. „Viele Funktionäre, die Sebastian Kurz ihren Aufstieg verdanken, geben immer noch den Grünen die Schuld, dass er die Politik verlassen musste“, sagt der Funktionär.
Somit bleibt den Grünen fürs erste die Oppositionsrolle. Eine Gratwanderung zwischen konstruktiver Kooperation mit der Regierung (etwa bei Gesetzen, für die eine Zweidrittelmehrheit nötig ist) und Frontalangriffen auf die Regierung im Gleichschritt mit der FPÖ. So will man die Blauen in ihrem U-Ausschuss zumindest bei der Aufklärung möglicher Ermittlungsfehler in der Causa Pilnacek unterstützen. „Man kann nicht automatisch bei allem dagegen sein, nur weil die FPÖ dafür ist, sagt der Grüne.
Scharf werde man – trotz aller Verbreiterung - auch weiterhin in Sachen Klimaschutz auftreten. „Das ist einfach die DNA der Grünen. Und es ist schlichtweg ein Wahnsinn, dass hier die Regierung alles zusammengestrichen hat.“
Olga Voglauer muss ihr Amt räumen
Ihr Amt als Generalsekretärin räumen muss indes Olga Voglauer. Für den Neubeginn in der Opposition sei kein Generalsekretariat mehr vorgesehen, heißt es seitens der Partei. Voglauer werde sich künftig ganz auf Kärnten, wo sie Parteichefin ist, und ihre Aufgaben als Nationalratsabgeordnete konzentrieren.
Die Generalsekretärin managt die bis März regierende Ökopartei seit 2023. Für Kritik auch innerhalb der Partei sorgte Voglauer mit ihrem Krisenmanagement im EU-Wahlkampf nach Vorwürfen gegen Spitzenkandidatin Lena Schilling, als sie der SPÖ „Silberstein-Methoden“ unterstellte. Mit ihrem Abgang wird das vor zwei Jahren eingerichtete Generalsekretariat wieder abgeschafft.
Gewählt werden beim Grünen Bundeskongress neben der Parteispitze für die nächsten drei Jahre auch sechs neue Mitglieder des Bundesvorstands - darunter der Finanzreferent. Für den Bundesvorstand kandidieren Ex-Justizministerin Alma Zadic, Barbara Neßler, Franz Klug, Helga Krismer, Peter Kraus, Stefan Kaineder sowie für die Funktion als Finanzreferent Bernhard Seitz. Auch diese Funktionen werden für drei Jahre gewählt.
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