Mindestsicherung: Was die Regierung lobt - warum die SPÖ tobt
Die Regierung hat am Mittwoch die Details ihrer reformierten Mindestsicherung angekündigt. Auf Familien mit Kindern und Personen mit schlechten Deutschkenntnissen kommen teilweise starke Kürzungen zu. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Vizekanzler Heinz-Chrisitan Strache (FPÖ) lobten das Modell als fair und gerecht und strichen insbesondere Arbeitsanreize für Bezieher hervor.
Türkis-Blau ersetzt mit einem Rahmengesetz die Bund-Länder-Vereinbarung, die 2016 ausgelaufen ist. Der Rahmen: Für Einzelpersonen sieht man einen Höchstbetrag von 863 Euro vor, bei Paaren maximal 1.208 Euro. Bezieher mit schlechten Deutschkenntnissen sollen ein Drittel weniger bekommen. In besonders teuren Städten sind zusätzliche Sachleistungen möglich, die aber mit 30 Prozent der Mindestsicherung gedeckelt werden.
Kurz sprach von einer dringend notwendigen Reform. Österreich habe bereits mehr Mindestsicherungs-Bezieher als das Burgenland Einwohner und jeder zweite sei Ausländer. "Wir haben eine massive Zuwanderung in das System der Mindestsicherung", befand Kurz, der dies bereits 2017 zu einem Wahlkampfthema gemacht hatte. Nun schaffe man deutlich stärkere Arbeitsanreize. Auch der "Fleckerlteppich" der unterschiedlichen Länderregelungen werde damit Geschichte.
Regierung präsentiert Mindestsicherung neu
Strache sagte, man habe von der SPÖ ein ungerechtes Modell übernommen, das nun treffsicherer und fairer werde. Er lobte insbesondere die fünfjährige Wartefrist für EU-Ausländer. Aber: "Die Mindestsicherung darf auch nicht zu einer sozialen Hängematte verkommen. Für niemanden - auch nicht für Österreicher."
Einschnitte bei mehreren Kindern
Besonders starke Einschnitte bedeuten die Regierungs-Pläne für Familien mit Kindern. 2017 waren laut Statistik Austria mehr als 81.000 von rund 231.000 Mindestsicherungsbeziehern Kinder. Für das erste Kind gibt es künftig rund 216 Euro monatlich, für das zweite 130 und ab dem dritten nur noch 43 Euro.
Die Bezieher der Mindestsicherung dürfen den Kinderabsetzbetrag anders als ursprünglich angekündigt doch behalten. In den Unterlagen zur Mindestsicherungs-Reform ist davon die Rede, dass die 58,40 Euro pro Kind ab Herbst 2019 von der Mindestsicherung abgezogen werden. Das Sozialministerium bezeichnete das nun als "Fehler in der Unterlage".
Kurz und Strache sagten unisono, dass die SPÖ die Bevölkerung falsch über die Pläne zu Mindestsicherung, Notstandshilfe und Arbeitslosengeld informiert habe.
Kurz nimmt Stellung zu Notstandshilfe
Für vehemente Empörung bei SPÖ, Grünen, aber auch NGOs hatte im Frühjahr gesorgt, dass die Regierung das Arbeitslosengeld so reformieren könnte, dass die Notstandshilfe abgeschafft werde. Bei dieser gibt es keinen Zugriff auf Vermögen. Arbeitslose würden damit nach Auslaufen ihres Anspruchs auf Arbeitslosengeld in die Mindestsicherung fallen.
Kurz und Strache dementierten am Mittwoch, dass die für 2019 geplante Reform des Arbeitslosengeldes für Langzeitarbeitslose künftig automatisch den Gang in die Mindestsicherung bedeutet. Für lange erwerbstätige Personen werde es weiterhin eine Art unbefristete Notstandhilfe geben.
Es bleibt aber dabei, dass die Regierung die Notstandhilfe in das "Arbeitslosengeld Neu" überführen will. Vorgestellt soll die Reform bis Herbst 2019 werden. Befürchtungen, dass Notstandshilfe-Bezieher automatisch in die Mindestsicherung rutschen und dann ihr Vermögen schmilzt, wiesen Kurz und Strache dennoch zurück.
Stärkere Unterscheidung nach Arbeitsdauer
Gefragt, ob es für zuvor lange Jahre beschäftigte Arbeitslose weiterhin die Möglichkeit des unbefristeten Bezugs der Notstandshilfe geben wird, sagte Kurz: "Natürlich. Wer eingezahlt hat, hat ein Recht auf die Versicherungsleistung." Wer jahrelang gearbeitet hat und mit 40 Jahren seinen Job verliert, werde im Arbeitslosenmodell bleiben - und es werde auch "keinen Vermögenszugriff geben". Für kürzer Beschäftigte will die Regierung aber nicht automatisch eine unbegrenzte Verlängerung der Notstandshilfe: Wer nur "ganz kurz" gearbeitet hat und Vermögen besitzt, für den könne es "nicht Job der Allgemeinheit sein, ihn zu erhalten", sagte der Bundeskanzler.
Konkrete Angaben zu den Voraussetzungen für einen unbefristeten Verbleib in der Notstandshilfe konnte die Regierungsspitze am Mittwoch noch nicht machen. Auf die Frage, ob etwa jemand, der zehn bis 15 Jahre gearbeitet hat, und mit 40 Jahren arbeitslos wird, dann unbefristet die Notstandhilfe beziehen kann, sagte Strache allerdings: "So ist es." Wichtig sei es aber, einen Unterschied zwischen Kurz- und Langzeitbeschäftigten herzustellen.
Der Vizekanzler betonte ebenfalls: Die Notstandshilfe wird eine Versicherungsleistung bleiben. Die Warnrufe der SPÖ seien unredlich.
SPÖ-Sozialsprecher Josef Muchitsch übte davon unbeeindruckt Kritik. Es gebe widersprüchliche Aussagen von ÖVP und FPÖ. Klar sei durch die Mindestsicherung neu die Benachteiligung von Kindern in ärmeren Haushalten - auch wegen der Streichung des Kinderabsetzbetrags ab Herbst 2019. Auch dass Türkis-Blau nicht den Mut besitze, ein Gesamtkonzept inklusive ihrer Pläne zur Notstandshilfe vorzulegen, stört Muchitsch.
So reagieren die Länder
Bei den Koalitionsparteien in Wien, SPÖ und Grünen, ist der Entwurf mit durchaus unterschiedlicher Heftigkeit aufgeschlagen. Während sich Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) abwartend zeigte, zeigte sich die neue Grünen-Frontfrau Birgit Hebein, erbost. Ludwig drängt aber auf Gespräche mit den Ländern.
Angesichts der geplanten Übergangsfrist für die Bundesländer bis Ende 2019, ortet Ludwig "keinen übermäßigen Zeitdruck". Er habe immer für eine bundesweite Regelung bei der Mindestsicherung plädiert - "allerdings schon auch berücksichtigend, dass es in den Bundesländern unterschiedliche Auffassungen gibt". Insofern warte er auf ein Gesprächsangebot des Bundes.
Hebein sagte, das Gesetz werde "zu dramatischen Auswirkungen für Menschen in Notsituationen führen". "Die Kürzungen, die jetzt auf dem Tisch liegen, betreffen Kinder, alte Menschen, kranke Menschen und behinderte Menschen", stellte sie fest.
Unzufrieden mit der Vorgangsweise der Regierung beim Mindestsicherungsgesetz zeigte sich auch Burgenlands Soziallandesrat Norbert Darabos (SPÖ): Die nun vorgelegte Punktation komme "sehr spät, aber wenigstens noch heuer", teilte Darabos mit. Für den Fall, dass es zu einer Abschaffung der Notstandshilfe kommen sollte, kündigte der Landesrat "massiven Widerstand" an.
Es seien keine Gespräche geführt worden, "obwohl die Länder für den Vollzug des Gesetzes zuständig sind und auch für die Finanzierung der Mindestsicherung weiterhin aufkommen werden", sagte Darabos in Richtung Kurz. Dieser zerstöre "die bewährte Praxis einer Politik auf Augenhöhe und des Dialogs zwischen Bund und Ländern und etabliert ein System des Drüberfahrens".
Zufrieden zeigte sich naturgemäß die burgenländischen Landes-FPÖ. Auch die FPÖ in Niederösterreich lobte den Entwurf der Bundesregierung.
Geteilt – nach Parteizugehörigkeit – fällt die Reaktion in Oberösterreich aus. Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP) sieht einen „guten Entwurf“. Soziallandesrätin Birgit Gerstorfer (SPÖ) sah vor allem Verschlechterungen für Kinder. Sie sieht einen "echten Malus für Familien und für die Chancengerechtigkeit".
Auch die Soziallandesrätin Beate Prettner (SPÖ) in Kärnten zeigte sich von Vorwürfen gegen die Opposition nicht beeindruckt. Sie warnt vor zahlreichen neuen Armutsfällen durch die Neuregelung der Mindestsicherung.
Der Teil etwa, der die Kinderzahl betrifft, ist Prettner ein Dorn im Auge: „Ist man das dritte Kind einer armutsgefährdeten Familie, bekommt man nur noch fünf Prozent von 863 Euro, also 43,15 Euro.“ Hier würden Kinder und Jugendliche bestraft, die ohnehin schon massive Nachteile in ihrem Leben hätten.
"43,15 Euro pro Monat reichen ja nicht einmal für ein nahrhaftes, gesundes Essen, geschweige denn für Ausgaben, die einfach zu einem normalen Kind- und Jugendlichsein gehören", sagt die Landesrätin.
Grundsätzlich merkt Prettner an, die Ausgaben für die Mindestsicherung würden nur 0,9 Prozent der gesamten Sozialausgaben betragen: „Die Bundesregierung tut aber so, als würden wir vor einer Kostenexplosion stehen und als würde Österreich Unsummen bezahlen.“ Und weiter: „Zu meinen, dass man bei 0,9 Prozent der jährlichen Sozialausgaben noch weiter einsparen kann, ist verwegen.“
In Vorarlberg sorgen die neuen Vorgaben aus Wien für Uneinigkeit in der Koalition von Schwarz und Grün. Für den Gesetzesentwurf der Bundesregierung fand Katharina Wiesflecker von den Grünen kritische Worte, wurde der Entwurf von ÖVP-Sozialsprecher Matthias Kucera positiv beurteilt. Mitglieder der Vorarlberger ÖVP-Regierungsmannschaft äußerten sich nicht.
Je nach Parteifarbe fällt die Reaktion aus der Steiermark aus. Landeshauptmann Hermann Schützenhofer (ÖVP) will den Entwurf noch nicht abschließend beurteilen, denkt aber, er sei ein "Schritt in die richtige Richtung". Besorgnis war aus dem Büro der steirischen Soziallandesrätin Doris Kampus (SPÖ) zu hören.
Die steirischen Grünen kritisierten, die Bundesregierung würde Kinderarmut forcieren. Auch die KPÖ-Klubobrau Claudia Klimt-Weithaler hält die Pläne für "kinderfeindlich."
Mit scharfer Kritik haben die Tiroler Grünen, Regierungspartei im Bundesland, auf den von der Bundesregierung vorgelegte Entwurf zur neuen Mindestsicherung reagiert. Die Sätze für Kinder und Lebenserhaltungskosten seien nach wie vor lebensfremd, meinte Sozialsprecher LAbg. Michael Mingler am Mittwoch in einer Aussendung. Die Bundesregierung würde mit dem Entwurf Armut ganz bewusst in Kauf nehmen.
Die Tiroler ÖVP reagierte vorsichtig positiv. Klubobmann Jakob Wolf hob in einer Stellungnahme hervor, dass sich die "Westachsenforderung" nach flexiblen Wohnkosten durchgesetzt habe. Positiv sei auch, dass die Notstandshilfe nicht in der Mindestsicherung aufgehe, so Wolf am Mittwoch.
Als "großen Erfolg" titulierte die Tiroler FPÖ den Entwurf. "Dies ist ein sozialpolitischer Meilenstein, und beweist, dass die Mindestsicherung Neu die echte soziale und gerechte Antwort der türkis-blauen Bundesregierung auf die unsoziale Kälte der SPÖ ist, welche die bisherige Regelung ja zu verantworten hatte", erklärte Landesparteiobmann Markus Abwerzger.
Die Salzburger ÖVP hat den Ministerratsbeschluss zur Mindestsicherung gut geheißen: "Ich begrüße es ausdrücklich, dass es künftig wieder österreichweit einheitliche Regelungen in der Mindestsicherung geben wird. Der derzeitige Zustand mit unterschiedlichsten Modellen in den einzelnen Bundesländern ist ausgesprochen unbefriedigend", teilte ÖVP-Klubobfrau und Sozialsprecherin Daniela Gutschi mit.
Eine Meinung, die auch Landeshauptmann Wilfried Haslauer vertrete.
Kommentare