Mindestsicherung: Auch Tiroler ÖVP überlegt Deckelung

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ÖVP ist einer Kürzung wie in Nieder- und Oberösterreich offenbar nicht abgeneigt. FPÖ kündigte Unterstützung im Landtag an.

Die Tiroler ÖVP ist in Sachen Mindestsicherung einer Deckelung offenbar nicht abgeneigt. Klubobmann Jakob Wolf sehe "akuten Handlungsbedarf" und finde die Idee einer Kürzung wie in Nieder- und Oberösterreich gut, ließ er via Tiroler Tageszeitung wissen. Die FPÖ kündigte der ÖVP indes Unterstützung im Landtag an.

Tirol müsse reagieren, wenn es keine bundesweite Lösung gebe und zumindest eine mit Salzburg und Vorarlberg anstreben, meinte Wolf und brachte damit eine mögliche "Westachse" in Sachen Mindestsicherung ins Spiel. Wolf ortete bereits jetzt einen "Sozialtourismus". Flüchtlinge aus Deutschland und aus anderen Bundesländern würden durch die Höhe der Mindestsicherung in Tirol angezogen werden, sagte er zur TT.

FPÖ-Landesparteiobmann Markus Abwerzger forderte die ÖVP am Mittwoch in einer Aussendung auf, Farbe zu bekennen. "Ich und viele Tiroler fragen, wer eigentlich noch das Sagen in der Landesregierung hat, derzeit scheinen die Grünen die Verhinderer zu sein", meinte Abwerzger. Die ÖVP hätte jedenfalls eine Mehrheit im Tiroler Landtag, auch ohne den grünen Koalitionspartner, merkte der Landesparteiobmann an.

Grüne: "Kein akuter Handlungsbedarf"

Tirols Soziallandesrätin Christine Baur (Grüne) sehe hingegen keinen akuten Handlungsbedarf. Tirol habe bereits beim Vollzug der Mindestsicherung nachjustiert, meinte Baur gegenüber der "TT". Zuletzt hatte auch Tirols Wirtschaftskammerpräsident Jürgen Bodenseer (ÖVP) in Sachen Mindestsicherung die niederösterreichische Lösung für Tirol ins Spiel gebracht. Und auch Tirols ÖVP-Wirtschaftsbund-Chef Franz Hörl hatte eine Tiroler Lösung eingemahnt. Für ihn komme entweder das oberösterreichische Modell oder das Konzept des ÖAAB infrage, hatte Hörl kommentiert.

Die schwarz-grüne Tiroler Koalition hatte bisher stets auf eine einheitliche Bundes-Regelung gedrängt und angekündigt, eine solche jedenfalls für das Bundesland zu akzeptieren. Einen 1.500 Euro-Deckel lehnten die Tiroler Grünen vehement ab.

Wieviel gibt Österreich für die Mindestsicherung aus?

Seit 2010 gibt es die "Bedarfsorientierte Mindestsicherung" in Österreich. In absoluten Zahlen wurden vergangenes Jahr 870 Millionen Euro dafür aufgewandt, 2013 waren es noch knapp 600 Milionen Euro. Der Betrag entspricht 0,79 Prozent der gesamten Sozialausgaben, 2014 betrug der Anteil noch 0,71 Prozent. Wobei dies sowohl 2014 als auch 2015 jeweils 0,4 Prozent des gesamten Budgets entspricht. Zum Vergleich: 2015 gab Österreich fast 1,8 Milliarden Euro für den Bereich "Freizeitgestaltung, Sport, Kultur, Religion" aus.



Wie hoch ist die Mindestsicherung?

Die Bedarfsorientierte Mindestsicherung besteht grundsätzlich aus zwei Teilen: 628,32 Euro Grundbetrag und 209,44 Euro Wohnkostenanteil pro Monat. Zusammen sind das 837,76 Euro. Personen in Lebensgemeinschaften bekommen gemeinsam den 1,5 fachen Betrag: 1.256,64 Euro. Für Kinder gibt es aktuell jeweils 150,80 Euro dazu. Wobei die ersten drei Kinder in der Regel die Leistung stärker erhöhen, als weitere Kinder. (Bei der Familienbeihilfe gilt das umgekehrte Prinzip - für das zweite Kind wird mehr Familienbeihilfe ausgezahlt als für das erste usw.)

Die tatsächliche Höhe der Mindestsicherung ist aber von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich (mehr dazu unten). Unterschiede entstehen beispielsweise dadurch, dass Wien, die Steiermark, Salzburg, Tirol und Vorarlberg zusätzliche Leistungen für das Wohnen gewähren.



Wer hat Anspruch auf die Mindestsicherung?

Die Mindestsicherung ist eine Sozial-, keine Versicherungsleistung. Anspruch auf die sogenannte "bedarfsorientierte Mindestsicherung" hat nur, wer das eigene Vermögen (bis maximal 4139,13 Euro) aufgebraucht hat, seine Lebenshaltungskosten nicht selbst bezahlen kann und arbeitswillig ist.

Neben österreichischen Staatsbürger sind ebenfalls anspruchsberechtigt: EU- bzw. EWR-Bürger, die sich als Arbeitnehmer in Österreich befinden oder schon länger als fünf Jahre in Österreich wohnen; Drittstaatsangehörige, die bereits länger als fünf Jahre rechtmäßig in Österreich leben; und anerkannte Flüchtlinge. Asylwerber haben keinen Anspruch auf Mindestsicherung.



Und wie viele Menschen haben sie nun tatsächlich erhalten?

2015 haben 284.374 Personen die Mindestsicherung bezogen, das ist gegenüber dem Jahr davor ein Anstieg um 10,9 Prozent. 38 Prozent der Personen, die Mindestsicherung bezogen, waren Frauen, 35 Prozent Männer, 27 Prozent (minderjährige) Kinder. Paare mit Kindern machten rund ein Drittel aus, Alleinerziehende 15,5 Prozent.



Wieviele davon waren Asylberechtigte?

Erst bei einem positiven Asylbescheid sind Flüchtlinge bezugsberechtigt. Wieviele Asylberechtigte die Mindestsicherung in Österreich beziehen, dazu gibt es jedoch nach wie vor keine offiziellen Zahlen aus dem Sozialministerium. In Wien waren 2015 17 Prozent aller Mindestsicherungsempfänger Asylberechtigte (31.505 Personen). Im ersten Halbjahr 2016 gab es bereits 6.420 sogenannte Neuanfälle aus dieser Gruppe.



Wo leben die meisten Mindestsicherungsbezieher?

Mindestsicherung: Auch Tiroler ÖVP überlegt Deckelung
Anteil an Beziehern nach Bundesländern, durchschnittliche Bezugshöhe - Tortengrafik, Landkarte GRAFIK 1032-16, 88 x 76 mm


Wie lange kann man die Mindestsicherung beziehen?

Grundsätzlich ist der Bezug der Mindestsicherung nicht begrenzt. Die durchschnittliche sogenannte Verweildauer - also, wie lange jemand Mindestsicherung bezog - betrug 2015 pro Haushalt acht Monate. 16.000 Personen (12 Prozent) erhielten nach den Zahlen des Sozialministeriums Mindestsicherung zusätzlich zu einem (zu niedrigen) Einkommen.



Kann man den Anspruch auf Mindestsicherung auch verlieren?

Im Gegensatz zur bis 2010 geltenden Sozialhilfe müssen arbeitsfähige Bezieher zur Aufnahme einer Arbeit bereit sein. Hier gelten die Zumutbarkeitsbestimmungen wie bei Beziehern von Arbeitslosengeld und Notstandshilfe. Wird eine zumutbare Arbeit nicht angenommen, kann die Mindestsicherung von der gewährenden Stelle bis zur Hälfte gestrichen werden.

Ausnahmen betreffen: Menschen, die das ASVG-Regelpensionsalter erreicht haben (Frauen: 60 Jahre, Männer: 65 Jahre); Betreuungspflichtige von Kindern, die das dritte Lebensjahr noch nicht erreicht haben; Menschen, die pflegebedürftige Angehörige ab Pflegestufe 3 betreuen; Bezieher, die Sterbebegleitung oder Begleitung von schwerstkranken Kindern leisten; Bezieher, die einer Ausbildung nachgehen, die vor dem 18. Lebensjahr begonnen wurde (gilt nicht für Studium).

Die Entscheidung, ob eine Bedarfsorientierte Mindestsicherung gewährt wird, trifft die jeweilige Bezirksverwaltungsbehörde (z.B. Bezirkshauptmannschaft, Magistrat). Diese nimmt auch die Auszahlung vor.



Was ist der Unterschied zum Arbeitslosengeld und zur Notstandshilfe?

Die Mindestsicherung ist die letzte Sicherungsstufe im Sozialstaat Österreich. Anspruch auf Arbeitslosengeld hat, wer innerhalb von zwei Jahren 52 Wochen einer Beschäftigung, die arbeitslosenversicherungspflichtig ist, nachgegangen ist. Unter 25-Jährige können Arbeitslosengeld beanspruchen, wenn sie innerhalb eines Jahres 26 Wochen beschäftigt waren. Die Höhe des Arbeitslosengeldes bemisst sich am letzten Einkommen. Der Grundbetrag beläuft sich auf 55 Prozent des letzten Nettoeinkommens. Beträgt das Arbeitslosengeld weniger als 872,31 Euro erhält man zusätzlich Ergänzungsbeiträge; Arbeitslose mit Kindern erhalten Familienzuschläge. Die Anspruchsdauer ist befristet. Grundsätzlich 20 Wochen, maximal aber für ein Jahr.

Die Notstandshilfe kann nach Ende des Arbeitslosengeld-Bezugs beantragt werden und wird jeweils für maximal 52 Wochen bewilligt. Liegt das Arbeitslosengeld (ohne Familienzuschläge) über dem Ausgleichszulagenrichtsatz von monatlich 872,31 Euro, beträgt die Notstandshilfe 92 Prozent des vorher bezogenen Arbeitslosengeldes.



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