Die Mindestsicherung im KURIER-Faktencheck

Die Mindestsicherung im KURIER-Faktencheck
Warum in Einzelfällen Tausende Euro, im Durchschnitt in Wien aber nur 311 Euro im Monat fließen.

Kommt der Vorstoß von Niederösterreichs Landeshauptmann Pröll zur Deckelung der Mindestsicherung bei 1500 Euro überraschend?

Nein, nicht wirklich. Die NÖ-Volkspartei fordert das schon länger und kampagnisiert ganz generell für eine Reform der Mindestsicherung. Neu ist, dass Pröll einen Alleingang Niederösterreichs ankündigt, sollte kein bundesweiter Deckel bei 1500 Euro kommen. Derzeit ist so ein Deckel unwahrscheinlich. SPÖ und Grüne sind dagegen, aber auch einzelne ÖVP-geführte Länder wie z. B. Vorarlberg.

Was stört die ÖVP an der Mindestsicherung?

Der Vorwurf ist: Die Mindestsicherung sei "unsozial", weil die Bezieher "oftmals mehr bekommen als Menschen, die arbeiten gehen und Steuern zahlen." Soll heißen: "Wer arbeiten geht, darf nicht der Dumme sein."

Gibt es für diese Sicht der Dinge eindeutige Belege?

Je nach Sichtweise kann man auf so gut wie jedes Beispiel kommen – die NÖ-Volkspartei stellt zwei gegenüber: Hier ein Haushalt mit zwei Kindern, der auf 1642 Euro netto aus der Mindestsicherung kommt. Zusätzlich bekomme diese Familie etliche Begünstigungen (z. B. bei Rezeptgebühren) und 389 Euro an Familienbeihilfe.

Demgegenüber stellt die ÖVP den Fall eines Tischler-Gesellen und dessen Familie mit zwei Kindern, der arbeiten geht, aber nur 1589 netto verdient. Er erhält zwar auch die Familienbeihilfe von 389 Euro, aber sonst keine Begünstigungen und steige daher finanziell schlechter aus.

Martin Schenk, Sozialexperte der Armutskonferenz, kommt in genau diesem Fall aber zum gegenteiligen Ergebnis: Beim Tischler seien etliche Ansprüche eines Erwerbstätigen in der Rechnung unterschlagen worden, z. B. Urlaubs- und Weihnachtsgeld, steuerlich absetzbare Sonderzahlungen, das Pendlerpauschale und einiges mehr. Rechne man also "fair", so Schenk, bekomme die Familie des Tischler-Gesellen im Monat um 770 Euro mehr als die Familie, die Mindestsicherung bezieht.

Aber wer hat jetzt recht?

Faktum ist: Wer eine hohe Mindestsicherung einer Mehrkindfamilie mit einem niedrigen Einkommen eines Alleinverdieners vergleicht, kommt auf seltsam anmutende Fälle. Gerade im Niedriglohnsektor ist der Abstand zwischen Arbeitseinkommen und der Mindestsicherung oft kaum vorhanden. Die ÖVP hält hier einen Mindestabstand von 25 Prozent für sinnvoll und ist deshalb für den Deckel bei 1500 Euro. SPÖ und ÖGB forcieren hingegen die Anhebung der Mindestlöhne auf 1700 Euro. Eine Idee wäre auch den Zuschlag, ab einer gewissen Anzahl von Kindern, für jedes weitere Kind stark zu kürzen. Das würde auf eine Art Deckelung hinauslaufen.

Ist eine Reform der Mindestsicherung in Sicht?

Die Politik ist noch relativ weit entfernt von einer Lösung, denn jeder rechnet anders: So sorgte jüngst der Salzburger Neos-Abgeordnete und Hotelier Sepp Schellhorn mit seinem Hausmeister – ein ehemaliger Flüchtling – für Aufsehen. Dieser habe gekündigt und sei nur wegen der Mindestsicherung nach Wien gezogen. Schellhorn behauptete, dass sein Ex-Hausmeister so auf 35.000 Euro im Jahr komme. Wiens Sozialstadträtin Sonja Wehsely rechnete vor, dass die Hausmeister-Familie nur Anspruch auf eine Mindestsicherung von jährlich 20.200 Euro habe. Schellhorn ließ nicht locker und legte eine Rechnung vor, in der eine Familie mit vier Kindern auf 36.343,20 Euro Mindestsicherung kommt. Wehsely konterte, Schellhorn habe den Zuschuss zum Wohnbedarf doppelt gezählt. Eine sechsköpfige Familie komme allein durch die Mindestsicherung auf maximal 2135,78 Euro im Monat oder 25.629,36 Euro im Jahr.

Gibt es auch von allen Seiten unbestrittene Fakten?

Einige wenige, ja. Durch den Flüchtlingszustrom 2015 war klar, dass die Zahl der Mindestsicherungs-Bezieher und die Kosten dafür stark steigen. Aber, noch immer ist die Mindestsicherung für zwei Drittel aller Bezieher nur eine Aufstockung ihres geringen Einkommens. Und selbst in Wien liegt die durchschnittliche Bezugshöhe nur bei 311 Euro.

Kommentare