Häupl: Gebürtige Österreicher stehen nicht um 3 Uhr auf, um zu arbeiten

Michael Häupl
Wiens Altbürgermeister im KURIER-Podcast "Die Milchbar" über die Handschlagqualität von Erwin Pröll und wie die KI die Arbeitszeit beeinflussen wird.

Wiens langjähriger SPÖ-Chef Michael Häupl (76) über schlechte Umfragen, Gutes fürs Hirn und Spritzwein.

KURIER: Sie werden in Songs geehrt, es gibt Emojis fürs Handy, Ihr Sager „Man bringe den Spritzwein“ ist legendär. Sind Sie stolz darauf? Michael Häupl: Stolz ist einzu hoher Begriff, aber ich find's lustig. Stolz machte mich, als mich der VSStÖ im letzten Hochschülerschaftswahlkampf zu einer Veranstaltung eingeladen hat mit dem Titel „Spritzwein trinken mit dem Altbürgermeister“. Und da waren einige Hundert Leute auf der Rampe von der Wiener Universität. Die Gespräche waren sehr angenehm. Die meisten haben mich gefragt, „wie war denn das damals, als Sie in der Hochschülerschaft waren?“ Dann hat der rote Großvater erzählt.

Macht es Sie nachdenklich, dass Sie bei den Jungen weniger mit politischen Errungenschaften in Erinnerung bleiben, sondern als der „Typ mit dem Spritzwein“, um es salopp zu sagen?

Wenn man mit den jungen Leuten redet, ist das gar nicht so. Das war halt ein lustiger Sager damals. Der Schmäh gehört schon dazu, aber nur vom Schmäh kann man auch nicht leben.

Was soll aus Ihrer Politik-Zeit in Erinnerung bleiben? Ich war der Bürgermeister, der Wien in die Europäische Union geführt hat. Das war wahrscheinlich die größte Herausforderung. Es gibt jetzt multiple Krisen, die wirklich nicht leicht in den Griff zu kriegen sind. Aber ohne Krisen und Herausforderungen sind wir auch nicht ausgekommen. Etwa die Finanzkrise 2008.

Wie soll die SPÖ als Teil der Dreierkoalition die multiplen Krisen in den Griff bekommen?

Ich darf schon daran erinnern, dass die Devise „Koste es, was es wolle“ nicht von einem Sozialdemokraten gekommen ist. Die jetzige Dreierkoalition ist sozusagen ein bisschen der Arzt am Krankenbett des Kapitalismus.

Wie geht es Ihnen damit, dass die SPÖ bei Umfragen schon unter 20 Prozent ist?

Ich habe Umfragen nie besonders ernst genommen. Ich kenne die Methodik. Ich war mit Karl Blecha sehr befreundet, der mir einiges erzählt hat, was hinter Umfragen steht. Es sind noch viereinhalb Jahre bis zur nächsten Nationalratswahl. Wenn gute Arbeit geleistet wird und weiter ein korrektes Gesprächsverhältnis zwischen den drei Partnern besteht, kann das auch sehr gut ausgehen.

Michael Häupl

Michael Häupl mit den KURIER-Redakteuren Johanna Hager und Josef Gebhard

Wie soll man die Wirtschaft ankurbeln, wenn die Mittel fehlen?

Die wirkliche Kunst ist, das Budget zu sanieren und die Wirtschaft anzukurbeln. Das klingt fast wie die Quadratur des Kreises, muss aber sein, wir haben das 2008 auch geschafft. Also, es geht. Wir schaffen das.

Welche Versäumnisse gab es in Wien bei der Integration?

Wir haben in manchen Kindergärten nicht genau genug hingeschaut. Aber ansonsten ist vieles gut gelungen: Dass viele, viele Menschen, die zu uns gekommen sind, heute fest integriert sind. Etwa am Ottakringer Brunnenmarkt. Dort findet man keinen gebürtigen Österreicher, weil Dir keiner um drei Uhr früh aufsteht, um am Großgrünmarkt das Obst und Gemüse zu holen. Das ist auch eine Aufstiegsmöglichkeit. Das hat die ÖVP einmal als Slum bezeichnet. Aber gut, die Beurteilungskraft der ÖVP unterliegt nicht meiner Beurteilung.

Im Streit um die Gastpatienten aus Niederösterreich und dem Burgenland kündigt SPÖ-Stadtrat Peter Hacker getrennte Wartelisten an. Ist das geschickt? Er hat auf ein tatsächliches Problem aufmerksam gemacht. Das Thema ist nicht neu. Bevor Erwin Pröll und

ich Landeshauptleute wurden, hat es auch einen sogenannten Spitalskrieg gegeben, der war noch viel heftiger als jetzt. Zu lösen ist das Problem über den Finanzausgleich.

Gestritten wird in rauem Ton. Ist die Achse, die Sie und Pröll geschaffen haben, nicht mehr vorhanden?

Sie bestand auch mit Burgenlands Landeshauptmann Hans Niessl. Das grundsätzliche Problem ist, dass man zu wenig miteinander redet. Wir sind halt gelegentlich auf ein, zwei Spritzer gegangen. Und da ist auch Vertrauen aufgebaut worden. Der Erwin Pröll und ich haben uns um zwei in der Früh verständigt auf den Nationalpark Donauauen, was für einen ehemaligen Bauernbundfunktionär nicht gar so einfach gewesen ist.

Aktuell müssen alle Politiker auf den Sozialen Medien vertreten sein. Was halten Sie davon?

Ich habe es nicht so gehalten, aber das war auch noch eine andere Zeit, nicht so hektisch und gehässig wie heute. Ich hatte ein sehr gutes Verhältnis zu den Freunden von den „Seitenblicken“, habe aber vermieden, mehr als einmal die Woche dort vorzukommen. Dafür war ich mehr beim Heurigen und im Wirtshaus. Dort darf man sich aber nicht irgendwo hinten verstecken, sondern muss bei der Budel stehen bleiben sich mit den Leuten unterhalten.

Sie sind in der Wissenschaftsförderung tätig. Was denken Sie über die Wissenschaftsfeindlichkeit, die auch von der FPÖ geschürt wird?

Was die FPÖ sagt, klingt alles nach Trump. Nur der eine ist US-Präsident und der andere ist ein Möchtegernkanzler. Wir und viele andere versuchen zu vermitteln, wie nützlich die Wissenschaft ist. Dass zum Beispiel in der Pandemie die Impfung der Gamechanger war. Von meiner Arbeit im Wiener Wissenschafts-, und Technologiefonds habe ich nebenbei auch einen persönlichen Benefit. Ich habe den Ehrgeiz, die Projekte, die wir fördern, auch zu verstehen. Das hält mein Gehirn fit. Im Bereich der Life Sciences geht das noch ganz gut, bei KI-Projekten muss ich mich aber schon sehr bemühen.

Wird die KI viele Arbeitsplätze vernichten oder hat Sie überwiegend Vorteile?

Sie hat auch ihre Nachteile, wenn man etwa an KI-Fotos oder -Videos denkt, die nicht mehr von realen zu unterscheiden sind. Man wird diese Technologie wie andere auch Regeln unterwerfen müssen. Wenn es stimmt, dass die KI in besonderem Ausmaß produktivitätssteigernd ist, wonach es aussieht, wird man auf über die Arbeitszeit neu diskutieren müssen. Aber nur vor diesem Hintergrund und nicht vor einem einer quasi-moralischen Argumentation. So war es auch in der Vergangenheit.

SPÖ-Chef Andreas Babler hatte mit seiner Forderung nach Arbeitszeitverkürzung also recht, aber er war zu früh?

Ich hoffe, dass er sie im Zusammenhang mit der Produktivitätssteigerung gebracht hat, da würde ich ihm zustimmen, wenn nicht, müssen wir diskutieren. Ich habe ja Diskussionen in der Sozialdemokratie immer für supergut gefunden und nicht jede Diskussion ist Streit. Wenn die Sozialdemokratie über politische Fragen nicht mehr diskutiert, ist sie tot.

Zum Schluss zu etwas Persönlichem: Sie haben vor wenigen Monaten Ihre Parkinson-Erkrankung öffentlich gemacht. Was das rückblickend die richtige Entscheidung?

Zu 99 Prozent kamen extrem positive Reaktionen, vor allem von jenen Leuten, die selber im Parkinson leiden. Sie sagen, ich habe ihnen Hoffnung gegeben, weil ich  dazu gesagt habe, was man gegen die Krankheit machen kann. Wenn man sich in einem Frühstadium entdeckt, wie das bei mir der Fall war, kann man sie zwar auch nicht heilen, aber die Symptome bekämpfen. Ich kann schreiben, ich kann essen, ich kann eigentlich alles. Es ist natürlich nicht angenehm, so eine Diagnose, aber auf der anderen Seite ist es für mich auch kein psychisches Problem. Da war meine  Krebsdiagnose vor sechs Jahren ärger, das war schon ein Treffer.

Kommentare