Massen-Exodus der Kosovaren: "Kein Leben hier"

Bei eisiger Kälte durchqueren Asylwerber teils bloßfüßig Bäche, um in die EU zu kommen: Hier können sie aber meist nicht lange bleiben
Warum Zehntausende Kosovaren hauptsächlich nach Österreich und Deutschland flüchten.

Ich kann’s hier nicht mehr aushalten! Das ist doch kein Leben hier."

So wie ein zweifacher Familienvater der Zeitung Koha ditore begründete, warum er aus dem Kosovo weg will, argumentieren viele seiner Landsleute. Sie flüchten in die EU. In den vergangenen zweieinhalb Monaten dürften zwischen 30.000 und 50.000 Kosovaren ihre Heimat verlassen haben.

Ihre Reise beginnt meist auf dem Busbahnhof in Pristina. Nur mit kleinen Taschen und Rucksäcken bepackt, steigen Männer, Frauen und Kinder in einen der wartenden Busse. Täglich machen sich geschätzte 500 Leute auf den Weg in ein vermeintlich besseres Leben.

Massen-Exodus der Kosovaren: "Kein Leben hier"
A Kosovo woman covers her baby after she crossed illegally the Hungarian-Serbian border near the village of Asotthalom February 6, 2015. The European Union is experiencing a steep rise in the number of Kosovo citizens smuggling themselves into the affluent bloc, with 10,000 filing for asylum in Hungary in just one month this year compared to 6,000 for the whole of 2013. It follows a relaxation of travel rules allowing Kosovars to reach EU borders via Serbia and has coincided with political turmoil and street unrest in Kosovo fuelled by poverty, high unemployment and economically debilitating corruption. REUTERS/Laszlo Balogh (HUNGARY - Tags: SOCIETY IMMIGRATION POLITICS)
Von Pristina geht es quer durch Serbien in die Vojvodina. Dort haben Menschenschmuggler Hotels und Motels gemietet, um die Auswanderer vorübergehend unterzubringen – ehe die Familien über die Grenze nach Ungarn flüchten. Mit Kleinkindern auf dem Arm durchqueren sie Bäche. In Wäldern machen sie Feuer, um der Kälte zu trotzen.

Den Massenexodus bekommen vor allem Ungarn, Österreich und Deutschland zu spüren. Mehr als 1000 Asylwerber kamen im Jänner hierzulande an. Das heißt, jeder vierte Flüchtling war ein Kosovare. In Deutschland waren es fast jeder Dritte (10.500). Mehr als 10.000 wurden in Ungarn gezählt.

Strikte Schweiz

Innenministerin Johanna Mikl-Leitner will den Ansturm mit einem Asyl-Schnellverfahren bewältigen (siehe unten). Als Vorbild dient die Schweiz. Das Nachbarland ist von der Flüchtlingswelle nicht betroffen, "weil es hier diese 48-Stunden-Verfahren gibt", schildert Enver Robelli, gebürtiger Kosovare und Westbalkan-Korrespondent des Schweizer Tagesanzeiger.

Massen-Exodus der Kosovaren: "Kein Leben hier"
A Kosovar family warms up around an open fire after they crossed illegally the Hungarian-Serbian border near the village of Asotthalom February 6, 2015. The European Union is experiencing a steep rise in the number of Kosovo citizens smuggling themselves into the affluent bloc, with 10,000 filing for asylum in Hungary in just one month this year compared to 6,000 for the whole of 2013. It follows a relaxation of travel rules allowing Kosovars to reach EU borders via Serbia and has coincided with political turmoil and street unrest in Kosovo fuelled by poverty, high unemployment and economically debilitating corruption. REUTERS/Laszlo Balogh (HUNGARY - Tags: SOCIETY IMMIGRATION POLITICS)
Das heißt, Asylverfahren werden binnen zwei Tagen abgehandelt. In Österreich und Deutschland hoffen viele Kosovaren nach wie vor auf Asyl, obwohl sie keine Chance darauf haben (siehe unten). "Menschenhändler reden ihnen aber ein, sie würden hier ein Aufenthaltsrecht für ein halbes Jahr erhalten und Geld in die Hand gedrückt bekommen", weiß man im Innenministerium.

1,40 Euro pro Tag

Dass ein solches Versprechen reicht, um auszuwandern, verwundert nicht. Ein Drittel aller erwerbsfähigen Kosovaren ist arbeitslos, bei den 15- bis 24-Jährigen sind es 56 Prozent. Laut der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit leben 34 Prozent der knapp zwei Millionen Einwohner in "absoluter Armut". Das heißt, sie müssen mit 1,40 Euro pro Tag auskommen. Wird man schwer krank, ist man noch ärmer dran. "Wer eine Herzoperation oder eine Krebsbehandlung braucht, muss einen Arzt bestechen oder bei einem Politiker intervenieren", schildert Robelli.

Dass sich an all dem bald etwas ändert, glaubt kaum jemand. Im Vorjahr haben viele Kosovaren noch auf einen Polit-Wechsel gehofft. Doch dazu kam es nach der Wahl nicht. Robelli: "Viele Politiker sind hauptsächlich damit beschäftigt, Reichtum anzuhäufen oder zu bewahren – und ihren Verwandten Jobs im Staatsdienst zu verschaffen." Die Bürger seien daher "völlig desillusioniert".

Massen-Exodus der Kosovaren: "Kein Leben hier"

Die Zahl der Asylwerber aus dem Kosovo steigt massiv. Allein im Jänner 2015 wurden 1029 Personen registriert. Das ist ein Viertel aller Flüchtlinge. Da der Kosovo als sicherer Drittstaat gilt, haben dessen Bürger de facto keine Chance auf Asyl.

Die EU macht angesichts der Massenflucht Druck auf die Regierung in Pristina. Sie solle gegen jene "Busfirmen" vorgehen, die die Emigranten aus dem Land bringen, verlangen Diplomaten. Die Bürger sollen zudem über die Rechtslage in den Zielländern informiert werden – und der Grenzschutz müsse verstärkt werden. Das haben gestern zumindest die Serben zugesagt. Sie überwachen ihre Grenze zu Ungarn schärfer, wurde gestern bei einem Treffen von Polizei-Vertretern aus Serbien, Ungarn, Deutschland und Österreich angekündigt.

Innenministerin Johanna Mikl-Leitner wird kommende Woche auf den Balkan reisen. Die ÖVP-Ressortchefin drängt ja auf Schnellverfahren. Binnen zehn Tagen sollen Asylverfahren von Personen aus sicheren Drittstaaten (z. B. Kosovo) abgehandelt werden. FPÖ und Team Stronach haben gestern Unterstützung angeboten. Darauf dürfte Mikl-Leitner nicht angewiesen sein. Die SPÖ scheint nun auch für den Plan zu sein.

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