Martin Puntigam: „Keiner kennt das Warum“

Martin Puntigam: „Keiner kennt das Warum“
Der Kabarettist der „Science Busters“ erklärt, warum Kilogramm neu definiert wird und Zukunftsangst kein neues Phänomen ist.

KURIER: Herr Puntigam, am Wochenende  findet in Versailles die Generalkonferenz für Maße und Gewichte statt, wo sich Physiker aus aller Welt alle vier Jahre treffen, um die Einheiten wie Meter, Ampere & Co. neu zu definieren. Das Urkilo verliert derzeit an Gewicht.  Können Sie uns als Science Buster erklären, wie das Urkilo überhaupt leichter werden kann?

Martin Puntigam: Leider können wir das nicht, so gerne wir würden. Aber weil es niemand kann, würden wir mit der Behauptung des Gegenteils als Schwindler nicht lange unenttarnt bleiben. Es gibt in einem Pariser Tresor das Urkilo. Das wird leichter. Davon existieren sechs Duplikate. Für die gilt das nicht. Kein Mensch kann verlässlich sagen, warum. Nicht einmal, ob das eine leichter wird oder die anderen relativ dazu schwerer. Das ist schade, aber nicht so wichtig. Viel  bedeutender ist, dass das Kilo nach vielen Jahren neu bestimmt wird. Das hat für solche wie uns, also Sie und mich und die meisten Leserinnen und Leser des Sonntagskurier zwar praktisch keine Auswirkungen, aber für die Forschung. Die Arbeit allerdings, die zur Neudefinition geführt hat, ist außerordentlich faszinierend. Und zeigt, wie weit sich die Naturwissenschaften in den letzten paar Jahrhunderten entwickelt und damit die Welt verändert haben. Was sehr wohl deutliche praktische Auswirkungen für solche wie uns, also Sie und mich und die meisten Leserinnen und Leser des Sonntagskurier hat.

Nicht nur physikalisch scheint auf der Welt einiges in Bewegung zu sein. Veränderung und Wandel gehören zwar zum Lauf der Geschichte, aber wo sehen Sie als Kabarettist und Schauspieler die gefährlichsten Veränderungen in der Gesellschaft seit der Digitalisierung?

Es gehört zu den weitverbreiteten Irrtümern, dass Kabarettisten oder Autoren die Welt besser verstünden. Was genau gefährlich ist, kann ich also auch nicht sagen.  Für mich hat sich etwa im Laufe meines Lebens die Kommunikation nennenswert verändert. Als Kind musste ich oft sehr lange warten, bis der Viertelanschluss beim Telefon frei wurde, heute muss ich oft Messenger sehr lange stilllegen, damit ich wieder zum Nachdenken und Schreiben komme. Ob das allerdings ausschließlich an der Veränderung durch Digitalisierung liegt, oder vor allem an der meines Lebensalters, ist schwer zu sagen. Und wenn man sich anschaut, wer und wie viele Kapazunder den offenen Brief zum Thema Künstliche Intelligenz unterschrieben haben, müsste man meinen, die digitale Apokalypse sucht nur noch Parkplatz, aber dann ist es soweit. Tatsächlich halt ich die Veränderungen im Zuge des Klimawandels für erheblich bedrohlicher.

 

Welche Parameter haben sich in der Gesellschaft geändert?

Das kommt immer darauf an, wo man geboren worden und welche Gesellschaft deshalb für einen zuständig ist. Als weißer, männlicher Österreicher mit ausreichend guter Ausbildung haben sich genau aufgrund meiner Herkunft andere Dinge und für mich möglicherweise günstig verändert, die für andere Menschen aber grausame Konsequenzen haben. Knapp formuliert: ich kann mit demselben Flieger eine Weltreise genießen, mit dem danach Menschen in ihr Verderben abgeschoben werden können. Die Gesellschaft als solche gibt es also nicht. Es gibt eine Welt, die kann man schneller durchmessen als jemals zuvor, und wie angenehm es für wie viele Menschen auf ihr ist, hängt hauptsächlich davon ab, wie viele Menschen der Meinung sind, dass zivilisatorische Mindeststandards für alle gelten sollen. Und sich auch darum bemühen. Weil eine Meinung zu haben, ist leider noch lange nicht einmal die halbe Miete.

Welche Themen bewegen ihr Publikum am meisten?

Was sich fürs Kabarett ziemlich eindeutig sagen lässt ist, dass Komik rund um Geschlechterbeziehungen und Familie zeitlos am beliebtesten sind. Dann vielleicht noch Witze über Essen bzw. Stoffwechsel und die dazugehörigen Geräusche und dann eventuell noch über Fußball. Das Publikum kommt ja in erster Linie zur Zerstreuung in Kabarettlokale und nicht zur Erbauung. Und das ist auch okay so. Bei den Science Busters ist es ein wenig anders, weil wir unsere Shows ja mit wissenschaftlichem Anspruch als Bonus anbieten. Da wollen unsere Zuseherinnen und Zuseher schon auch Sachen verstehen. Zu lange Erklärungen sind aber auch dort nicht zweckmäßig. Sich gegenseitig auf der Bühne zu verhöhnen und es ab und zu krachen zu lassen, hilft auch hier, um die Aufmerksamkeit dann wieder auf die Wissenschaft lenken zu können. Mit den Themen, die viele Menschen, und auch mich, privat umtreiben, haben die Unterhaltungsangebote aber oft nur am Rande zu tun. Immer wieder bin ich erschüttert, wann Menschen im Kabarett Zwischenapplaus spenden. Allerdings kann man privat und danach an der Bar ganz vernünftig und über ganz andere Sachen mit ihnen reden.

Wir leben in liberalen Zeiten, die Menschen können sich freier entfalten denn je. Wie passt das mit der wachsenden Unzufriedenheit beziehungsweise der Angst vor der Zukunft zusammen?

Angst vor der Zukunft haben Menschen immer gehabt, deshalb sind Religionen erfunden worden. Deshalb finden heute Verschwörungstheorien Anklang oder schlichte, fast manichäische Erklärungsansätze. Also solche, die nur in gut und böse teilen. Und die die euphemistisch rechtspopulistisch genannten Regierungen weltweit an die Macht gebracht haben. Aber darüber hinaus gibt es natürlich berechtigte Ängste, denn, wie gesagt, ändert sich das Klima, was etliche Gegenden der Welt deutlich schlechter bewohnbar machen wird, und das, was wir als Freie Marktwirtschaft kennen, tendiert dazu, immer weniger Menschen für die Produktion zu brauchen. Aber hinter den abstrakten Begriffen Marktwirtschaft und Produktion stecken immer Menschen und ihre Leben. Und nachdem jeder Mensch nur genau eines davon hat, das mit dem Tod leider auch unwiderruflich zu Ende ist, ohne Nachspielzeit, muss man schon ein wenig Glück im Leben haben, um durchgehend zuversichtlich sein zu können. Ob die Menschen wirklich zunehmend unzufriedener werden, weiß ich nicht. Immerhin sind wir in Europa aber momentan noch in der Lage, einigermaßen friedlich zusammenzuleben. Das war in den Zeiten, die der Definition nach besser gewesen sein müssten, wenn heute im Gegensatz dazu alle unzufriedener werden, ja deutlich anders.

 

In Österreich wie in Deutschland steht der Vorwurf im Raum, die politische Linke habe es mit der politischen Korrektheit übertrieben und damit eine Menge Wähler nach rechts geschickt. Ist da was dran?

Das ist eine gern genommene Erklärung. Meiner Meinung nach aber aus demselben Grund, aus dem viele Menschen im Supermarkt zum Sonderangebot greifen: weil sie billig ist. Niemand wird gezwungen rechts zu denken oder rechts zu wählen. Das sind Entscheidungen, die die Menschen in der Regel frei treffen können. Es wählt ja niemand eine Partei wie die FPÖ, weil er in der Wahlkabine blöd umböckelt und sich dann nicht zu sagen traut, dass er mit dem Stift abgerutscht ist. Und bei politischer Korrektheit handelt es sich auch nicht um eine Krankheit und sie hat unseren Alltag deutlich weniger maßgeblich verändert als etwa die letzte Weltwirtschaftskrise. Wenn man dort beginnt nach den Ursachen des Rechtsrucks zu suchen, wird man eher fündig.

Ist die Political correctness mittlerweile ein Minderheitenprogramm?

Das war sie immer, zumindest hätte ich nie das Gegenteil beobachten können. Sie war deshalb auch stets gern verwendete Zielscheibe des Spotts, weil sich so viele sehr schnell darauf einigen konnten, dass sie blöd sei.

Hass im Netz ist ein neues Phänomen. Hier werden anders denkende Menschen, Menschen, die anders ausschauen, von anonymen Usern herabgewürdigt. Auf der Straße, in der Arbeit oder im Restaurant verhält man sich korrekt. In den sozialen Medien fallen alle Hemmungen. Wo sehen sie die Gründe?

Ich weiß nicht, woher die Beobachtung stammt, man würde sich außerhalb des Netzes grundlegend anders verhalten. Was in Autos drinnen und aus ihnen herausgeflucht wird, kann mit dem, was in Internet-Foren passiert, ganz gut mithalten. Hass im Netz ist nur insofern ein neues Phänomen, als er im Netz stattfindet. Und entsprechend rasant Verbreitung findet. Wenn Sie sich aber anschauen, was Prediger wie Abraham a Sancta Clara von sich gegeben haben, dann hat sich, was die Bereitschaft andere herabzuwürdigen betrifft, nicht soviel verändert. Und a Sancta Clara wird in Wien mit Straße und Denkmal geehrt.

Der Unmut gegen das Establishment ist sehr groß, weil sich der kleine Mann angesichts der rasanten Entwicklungen im Stich gelassen fühlt. Kann die Politik heute überhaupt schnell genug auf die Entwicklungen reagieren, angesichts der massiven Veränderungen?

Wenn man es boshaft formulieren möchte, dann sitzt in Ländern wie Polen, Ungarn oder Österreich der kleine Mann ja mittlerweile in der Regierung. Warum regt er sich noch auf? Politik und Wirtschaft sind ja überhaupt nicht voneinander getrennt, und jene ist nicht ure dynamisch und böse und diese kommt deshalb unter die Räder und kann kaum noch lieb schauen. Die beiden gehören eng zusammen und schaffen einander die Rahmenbedingungen. Vor allem in mächtigen Ländern. Was ja aktuell etwa der spielende und fliegende Wechsel von Friedrich Merz zwischen politischen und industriellen Aufsichtsräten ganz gut zeigt. Das hat natürlich Auswirkungen auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen vieler Menschen. Und die kann man aus guten Gründen manchmal nicht mögen. Der Unmut gegenüber dem Establishment allerdings, wie er angesichts von Pegidaveranstaltungen oder Impfgegnerversammlungen diagnostiziert wird, hat aber auch sehr viel mit Denkfaulheit und Gemeinheit zu tun.  

Mit den Science Busters versuchen Sie, Ihrem Publikum Physik näher zu bringen. Auch das Unterrichtssystem muss künftig ganz neu aufgesetzt werden. Wie kann man die Jugend für die Wissenschaft, die für die Zukunft von Ländern wie Österreich extrem wichtig ist, begeistern?

Wissenschaft, oder Naturwissenschaft, die bei den Science Busters im Zentrum steht, sind für alle Menschen und Länder wichtig. Sonst kommen die Religionen wieder. Und dann muss man wieder um Gnade winseln lernen vor unsichtbaren Göttern. Das kann niemand wollen, für sich nicht und seine Kinder schon gar nicht. Wenn man deshalb Religion und Staat strikt trennt und sich möglichst um Chancengleichheit von Geburt an bemüht, hilft das sicher sehr. Sich für eine säkulare und naturwissenschaftlich geprägte Welt aber nur deshalb stark zu machen, weil sonst der Wohlstand leidet, ist zwar ein Argument. Aber vermutlich zu schwach, um bei jungen Menschen für Ekstase zu sorgen. Besser ist es für Säkularität und Naturwissenschaften zu schwärmen, weil man sie cool findet. Was sie ja auch sind. Dann geht der Rest vermutlich leichter von der Hand. Zumindest gehen wir Science Busters mit der Einstellung auf die Bühne.

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