„Mami und Mama“: Weihnachten einer Regenbogenfamilie
Mit vier Jahren kam sie nach Österreich, lebte anfangs in Simmering in einer Substandardwohnung. 40 Jahre später sitzt sie als Abgeordnete der Grünen im Parlament.
Faika El-Nagashi (44) hat ungarisch-ägyptische Wurzeln und verfolgt eine Agenda in ihrem Leben: „If you can see it, you can be it“ („Wenn du es sehen kannst, kannst du es sein“). Sie möchte gesellschaftliche Grenzen sprengen – aber nicht nur für Menschen mit Migrationshintergrund. „Es gab vor mir keine Politiker, die so aussahen wie ich. Niemand. Das war nicht einmal eine Fantasie“, erzählt sie.
Seit Juli ist sie nun Mutter. Auch privat lebt sie ein Familienmodell, das, als El-Nagashi Teenager war, gesellschaftspolitisch noch unvorstellbar war. Die grüne Politikerin ist seit Mai mit einer Frau verpartnert – gemeinsam haben sie sich den Kinderwunsch erfüllt.
Der Weg zum Kind war auch für ein lesbisches Paar außergewöhnlich.
„Wir sind seit acht Jahren ein Paar, vor vier Jahren entstand der Wunsch, eine Familie zu haben“, schildert die Grün-Politikerin. El-Nagashi ist die „Mami“ für den kleinen Younis (arabische Form von Jonas) und ihre Partnerin ist seine „Mama“.
Biologischer Vater
Als der Kinderwunsch immer stärker wurde, suchte das Paar nach Möglichkeiten, wie die „Regenbogenfamilie“ Realität werden könnte. Sie wählten nicht die nahe liegende Variante, nämlich die Zeugung im Reagenzglas. „Uns war der private Rahmen sympathischer, weil er weniger technisch und auch kein medizinischer Eingriff ist“, schildert El-Nagashi.
Also musste ein Mann gefunden werden, der mit den beiden Frauen diese, auch für lesbische Paare nicht alltägliche Lebensreise antreten wollte. Eine Auflage – oder vielleicht könnte man es mehr als Herzenswunsch von El-Nagashi bezeichnen – gab es bei der Suche nach dem „Mr. Right“. Der biologische Vater sollte eine Migrationsbiografie haben. „Ich bin eine Woman of color, das wollte ich bei meinem Kind abgebildet haben. Und Younis schaut mir auch sehr ähnlich. Er hat wunderschöne Locken“, erzählt sie.
Für Regenbogenfamilien existieren mittlerweile eigene Online-Portale, die Männer vermitteln, die als biologische Väter zur Verfügung stehen. Diese Variante war keine Option für El-Nagashi und ihre Partnerin – zu anonym. „Uns war es wichtig, dass der Mann auch Verantwortungsgefühl hat, denn unser Sohn soll wissen, wer er ist, und er soll auch eine Beziehung aufbauen können“. Mitte Juli war es dann so weit: El-Nagashis Partnerin brachte den kleinen Younis zur Welt.
Regenbogenhauptstadt
Mehr Pflichten hat der biologische Vater des fünf Monate alten Babys allerdings nicht. Denn vor dem Gesetz sind El-Nagashi und ihre Partnerin die Eltern.
Das geht rechtlich, indem die Grüne Politikerin eine Stiefkindadoption machte. In Wien, so erzählt El-Nagashi, sei das alles sehr einfach zu bewerkstelligen. „Wien ist für mich die Regenbogenhauptstadt“, schwärmt sie. Bei den Behörden sei hier keinerlei Diskriminierung zu spüren.
Anders ist das im wirklichen Leben. „Eine gute Nachbarschaft, einen Kindergartenplatz, eine Schule ohne Diskriminierung zu finden, ist leider nicht selbstverständlich. Dazu kommen Arztbesuche, gemeinsame Urlaube. Und jedes Mal die Sorge und Angst, ob die eigene Familie überhaupt als solche anerkannt wird“, erzählt die Abgeordnete. Für mehr Akzeptanz kämpft sie nun. Denn Familie ist Familie, egal wie die Konstellation aussieht.
Im Parlament debattiert sie deswegen oft mit der türkisen Menschenrechtssprecherin Gudrun Kugler – bekannt für ihre erzkonservativen gesellschaftlichen Haltungen und Organisatorin der zuletzt heftig umstrittenen Gebetsrunde im Parlament. Dass Kugler für mehr Rechte und Akzeptanz von Regenbogenfamilien an El-Nagashis Seite kämpfen wird, ist angesichts der konträren Lebensmodelle nur schwer vorstellbar.
Moria: „Mir blutet das Herz“
Aber zurück zum Alltag der Regenbogenfamilie. Wie teilen sich die beiden Mütter die Kinderbetreuung auf? „Ich übernehme die Morgenschichten, weil ich nicht in Karenz bin und versuche am Wochenende, mich voll auf meinen Sohn zu konzentrieren“, sagte El-Nagashi. Endlich kann sie ihre Leidenschaft für Weihnachten voll ausleben, denn ihre Partnerin sei ein Weihnachtsmuffel. „ Younis singe ich jetzt jeden Tag Weihnachtssongs vor“.
Gestern wurde das erste Weihnachten mit Baby mit der gesamten Familie vor einem Christbaum groß zelebriert.
Seit El-Nagashi Mutter ist, steigt auch ihre Empfindsamkeit. „Ich weiß jetzt, dass man in ständiger Sorge um das Baby lebt. Wenn ich dann die Bilder aus Moria sehe, dreht es mir den Magen um.“
Die Haltung von Bundeskanzler Sebastian Kurz haben die Grünen bis jetzt noch nicht um einen Millimeter verrücken können, was für viele Grün-Wähler schmerzhaft ist. „Wenn der Führungszirkel um Sebastian Kurz zuhören würde, was die Bevölkerung sagt, dann wäre es schnell eindeutig, was die Zivilgesellschaft will. Sie sagt: Lasst uns endlich helfen“, sagt El-Nagashi.
Erst in der Vorwoche gab es im Parlament wieder einen Antrag der Opposition, 100 Flüchtlingskinder aus den Flüchtlingscamps auf Lesbos aufzunehmen. El-Nagashi stimmte nicht dafür. Sie blieb wie alle anderen Abgeordneten der Grünen sitzen, obwohl ihr „das Herz blutet“. „Aber den Oppositionsanträgen zuzustimmen, würde ganz real nichts ändern. SPÖ, Grüne und Neos haben nämlich keine parlamentarische Mehrheit. Durch eine Geste würden keine Kinder nach Österreich kommen“, rechtfertigt El-Nagashi ihr Stimmverhalten.
Aber Mitstimmen, dass Flüchtlingskinder aufgenommen werden sollen, wäre doch zumindest eine klare Willensbekundung der Grünen? Symbolisch aufzeigen täten die Grünen ohnehin permanent, meint El-Nagashi. Sie organisiere zahlreiche Demonstrationen. „Auch Werner Kogler richtet in der Öffentlichkeit klare Worte an die ÖVP. Wir sagen ganz eindeutig, wo wir Grüne stehen, es gibt Resolutionen und Beschlüsse – von Vorarlberg bis nach Wien. Alles, was im Rahmen unserer Möglichkeiten ist, machen wir.“
Bleibt El-Nagashi nur die Hoffnung auf ein Weihnachtswunder.
Kommentare