Auge um Auge, Zahn um Zahn
Wien ist Österreichs einzige Millionenstadt, das Zentrum für Wirtschaft und Kultur, die größte Wachstumsregion des Landes und ein Touristenmagnet.
Gerade erst legte die Politik in Wien wahlkampfbedingt eine Arbeitspause ein, aber nun, so möchte man meinen, herrscht eifrige Betriebsamkeit, um Österreichs Metropole in Schuss zu halten.
Weit gefehlt. Wiens Politik steht, auch noch ein Jahr nach dem Wahltag, still.
Zu verantworten hat das die Rathaus-SPÖ. Sie befindet sich in der Geiselhaft zweier verfeindeter Seilschaften, die sich seit Monaten gegenseitig lustvoll meucheln. Kommt es zu keinem Kompromiss, wird diejenige der beiden Partien, die unterliegt, aus allen Ämtern und Funktionen gemobbt werden. Das erklärt, warum dieser Kampf dermaßen brutal und ohne Rücksicht darauf geführt wird, was sich die Welt außerhalb des Funktionärs-Mikrokosmos darüber denken mag.
"In dem Konflikt geht es schon auch um den künftigen Kurs in der Stadt – ob klassisch links, mehr in der Mitte oder Öffnung nach rechts. Diese inhaltliche Auseinandersetzung scheint mit gutem Willen und Pragmatismus lösbar", sagt ein Intimkenner. Die Richtungsdebatte würde jedoch wegen der "Revanchegelüste persönlich Beleidigter" eskalieren.
Gemeint: Werner Faymann und seine Getreuen rächen sich für die Ablöse des Ex-Kanzlers.
Das erklärt auch, warum Häupl im Frühjahr, als Faymann bei der Bevölkerung längst unten durch war, bis zur Selbstbeschädigung zögerte, den Kanzler fallen zu lassen. Er hat offenkundig die Vergeltungsschläge des Faymann-Netzwerks gefürchtet.
"Montag ist Kampftag"
Gekämpft wird mit allen Mitteln. Am Freitag machte ein eMail mit verdecktem Absender die Runde, in dem SPÖ-Funktionäre zu einer Demo vor dem Parteivorstand am kommenden Montag aufgerufen werden. "Montag ist Kampftag", steht darin zu lesen, und "Wir sind die Mehrheit". Verunglimpft werden Faymann-Gegnerin Sonja Wehsely und Faymann-Nachfolger Christian Kern, weil sie in der Obdachlosen-"Gruft" "Armut schauen" waren. Mit einer lautstarken Demo am Montag soll Wehsely zum Rücktritt und Häupl in die Knie gezwungen werden.
Das sieht frappant nach einer Retourkutsche für das Pfeifkonzert am 1. Mai auf dem Rathausplatz aus, mit dem – orchestriert von Wehsely & Co – Faymanns Rücktritt eingeleitet wurde.
Die Häupl-Truppe fürchtet inzwischen sogar die eigene Parteibasis und will den Parteitag vom traditionellen Samstag vor dem 1. Mai in den Herbst 2017 verschieben. Die Sorge: Faymann-treue Delegierte könnten Häupl und seine Stadträtinnen zusammen streichen. Auch Faymann wurde ja mit schlechten Wahlergebnissen auf Parteitagen demontiert.
Auge um Auge, Zahn um Zahn.
Ämter trennen
Häupl versucht indes, den Brand vor der montägigen Vorstandssitzung unter Kontrolle zu bringen. Dazu gab er dem profil ein Interview. Ob die Aussagen die Lage beruhigen können, war am Samstag nicht eruierbar.
Häupl sagt, "spätestens bis Jänner 2017", also in den kommenden sechs Wochen, werde parteiintern entschieden, ob die Funktionen von Bürgermeister und SPÖ-Vorsitz wieder getrennt werden.
Vor Häupls Amtszeit war Helmut Zilk Bürgermeister und Hans Mayr Wiener SPÖ-Chef, wobei die letzten eineinhalb Jahre von Zilks Amtszeit bereits Häupl den SPÖ-Vorsitz inne hatte. Sollte sich die SPÖ zur Funktionstrennung entschließen, würde das bedeuten, dass Häupl demnächst den Parteivorsitz abgibt. Und danach in jedenfalls kürzerer Zeit als eineinhalb Jahre auch als Bürgermeister abtritt. Denn Häupl sagt: "Ich will meinem Nachfolger keine eineinhalb Jahre Wartezeit zumuten."
Über die Person des künftigen Bürgermeisters sagt Häupl wörtlich: "Er wird wahrscheinlich ausschauen wie Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser mit einer gehörigen Portion Schmäh. Und alle Beschreibungen sind selbstverständlich geschlechtsneutral." Zur Übergabe des Bürgermeisteramts sagt Häupl: "Es wird wie üblich alles ausschauen wie im Zirkus. Ohne Blut und Tränen, fröhlich werden wir schwingen von Seil zu Seil."
"Schaden für gesamte Sozialdemokratie"
Außerhalb Wiens werden die Vorgänge in der Wiener SPÖ mit wachsender Besorgnis verfolgt. "Ich will mich nicht in anderen Ländern einmischen", sagt Kärntens SPÖ-Geschäftsführer Daniel Fellner. "Aber ich kann der Wiener SPÖ aus eigener, leidvoller Kärntner Erfahrung sagen: Solche öffentlichen Richtungsdiskurse bringen nichts außer Schaden. Da gibt es keine Sieger."
Noch etwas gibt der Kärntner den Wiener Genossen zu bedenken: "Wenn wir in Kärnten oder in einer anderen Landespartei streiten, schadet das nur im jeweiligen Land. Wenn die große Wiener SPÖ streitet, schadet sie der gesamten Sozialdemokratie."
Die besten Karten für das Bürgermeisteramt werden übrigens derzeit Ulli Sima nachgesagt. Die Umweltstadträtin hat den Vorteil, keiner der verfeindeten Seilschaften anzugehören.
Sie sieht, frei nach Häupl, zwar nicht aus wie Peter Kaiser, ist aber immerhin die Enkelin eines Kärntner Landeshauptmanns.
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