Lunacek tritt zurück: "Mir wurde keine Chance mehr gegeben"
"Ursprünglich wollte ich Ihnen heute mit Werner Kogler die Öffnungsmöglichkeiten für Veranstaltungen bekanntgeben", sagt Ulrike Lunacek, als sie um kurz nach 10.00 Uhr vor die Medien trat.
Stattdessen erklärte sie ihren Rücktritt - holte aber ein wenig aus. Diese Woche präsentierte der grüne Parteichef und Vizekanzler Kogler ein Hilfspaket für Kultur- und Sportvereine für 700 Millionen Euro. Das war offenbar ein Versuch, die Kulturszene zu besänftigen.
Lunacek sagte nun, sie habe gemerkt, dass die Enttäuschung nicht geringer wurde - "im Gegenteil".
Obwohl die Regierung Konkretes angekündigt, und viele Gespräche mit Vertretern aus unterschiedlichen Bereichen geführt hätte, habe sie feststellen müssen, "dass ich mich mit meine Stärken keine positive Wirkung mehr erzielen konnte, mir keine Chance mehr gegeben wurde".
Ulrike Lunacek tritt zurück, Nachfolge ist ungewiss
"Ich bin deshalb zur Überzeugung gekommen, dass ich von meinem Amt zurücktrete", sagte Lunacek. "Ich mache Platz für jemand anderen, der hoffentlich mehr erreichen kann."
"Europäerin, lesbische Frau, Weltbürgerin"
Lunacek war während ihres Auftritts sehr gefasst, ihre Rede wirkte beinahe einstudiert. Fragen der versammelten Journalisten waren nicht erlaubt.
Die 62-Jährige schilderte im ruhigen Ton ihren politischen Werdegang: Sie habe ihr "Herzblut" immer für Europa, eine gerechte und nachhaltige Politik und den Feminismus eingesetzt. "Weil ich das bin: Eine Europäerin, eine lesbische Frau, eine Weltbürgerin."
Das Angebot von Parteichef Werner Kogler, an der ersten grünen Regierungsbeteiligung mitzuarbeiten, hätte sie "sehr gereizt", deshalb sagte sie am Silvesterabend 2019 zu. "Ich war schon immer eine Frau, die Mut zu Neuem gehabt hat", sagte sie.
"Habe mein Ziel nicht errreicht"
Ulrike Lunacek: "Habe mein Ziel nicht erreicht"
Sie erinnerte an die Pläne der türkis-grünen Regierung im Kulturbereich. Aber: "Dann kam Corona." Die Grenzen wurden geschlossen, die Schutzmaßnahmen setzten ein, gravierende Einschnitte wurden Wirklichkeit. "Es gab keine Chance mehr, das ambitionierte Regierungsprogramm zu realisieren."
Sie habe sich in der Kultur für das aufrüttelnde, das progressive einsetzen wollen. "Das war mein Ziel, ich habe es nicht erreicht."
Die langjährige Grün-Politikerin nahm indirekt auch Bezug auf ihre frühere Niederlage: 2017 sprang sie ja als Spitzenkandidatin für die Nationalratswahl ein, als Eva Glawischnig überraschend zurückgetreten war. Bei der Wahl flogen die Grünen dann aus dem Parlament, Lunacek zog sich für zwei Jahre aus der Politik zurück, bis sie dann im Jänner 2020 als Staatssekretärin angelobt wurde.
"Ja, es war ein Risiko, diese Aufgabe zu übernehmen", sagte sie jetzt. "Ich habe schon oft gewonnen, manchmal verloren. Das gehört im Leben dazu."
Drei Wünsche an die Politik
Ihrer Nachfolgerin (es muss eine Frau sein, Anm.) und den Kunst- und Kulturschaffenden gab die scheidende Staatssekretärin drei Wünsche mit:
1. Die Coronakrise habe ein lange negiertes Problem offensichtlich gemacht, sagte Lunacek: Über Jahrzehnte seien die prekären Verhältnisse von Vorgängerregierungen ignoriert worden. Nun sei die Existenzbedrohung nicht mehr zu übersehen. Bei der Hotline ihrer Sektion häufen sich Anrufe von Künstlern, viele wissen nicht mehr, ob sie sich noch etwas zum Essen kaufen können. "Das ist einem der reichsten Länder nicht würdig."
Als letzte Amtshandlung hat Lunacek die bisher ausgezahlte Soforthilfe von 500 auf 1.000 Euro erhöht - das gilt rückwirkend.
2. Lunacek betonte, Kunst und Kultur sei international der einzige Bereich, in dem Österreich in der Championsleague spielt. 180.000 Beschäftigte gibt es in der Branche. Und dennoch benötige die Branche jetzt Geld - "viel mehr, als vorgesehen". Sie forderte, dass die Regierung in der Aufbauphase nach der Corona-Krise genügend zur Verfügung stellt.
3. Die Freiheit der Kunst sei wesentlich in unserer Demokratie. Freiheit bedeute aber auch Verantwortung, mahnte sie - für das Miteinander, Achtsamkeit und Solidarität. Es gelte nun, ein fragiles Dreieck zu stabilisieren: zwischen Gesundheit, Freiheit und ökonomische Faktoren.
Besuch bei Stermann & Grissemann und Resetarits?
Abschließend bedankte sich die 62-Jährige bei jenen aus der Kulturbranche, die ihr in den letzten Wochen Mut zugesprochen hätten. "Sie waren allerdings nicht so laut wie die Kritiker." Sie bedankte sich aber auch für die Streitkultur, das gemeinsame Ringen um Lösungen, und sagte: "Kritik ist das Salz der Demokratie."
Was sie jetzt vorhat? Sie freue sich auf die Öffnung der Kulturhäuser, auf Theater- und Konzertbesuche und auf Kinoabende. Und an dieser Stelle blitzte tatsächlich ein wenig Heiterkeit durch:
"Vielleicht", sagte sie," gehe ich dann auch zu Stermann und Grissemann oder zu Lukas Resetarits. Mal schauen, ob ich an deren Programm genauso viele Kritikpunkte finde wie sie an meinem."
Eigentlich ein guter Schlusspunkt, aber Lunacek wäre nicht Lunacek, würde sie zu ihrem Abgang nicht noch etwas Nachdenkliches platzieren: Sie bleibe auch nach ihrem Rücktritt ein kritischer und politischer Mensch und nehme sich die Freiheit, sich in Debatten einzubringen - als wache, kritische Demokratin. "Weil ich so bin, und weil ich sie, unsere Gesellschaft, genauso haben will. Auf Wiedersehen."
Nachfolge nächste Woche
Für die Nachfolge sind bereits Kandidaten im Gespräch - groß ist die Auswahl jener, die in Kulturkreisen gut vernetzt sind, allerdings nicht. Die grünen Gremien wollen darüber voraussichtlich nächste Woche entscheiden.
Eva Blimlinger, die schon während der Regierungsverhandlungen als Staatssekretärin infrage gekommen ist, ist als Nachfolgerin Lunaceks ausgeschlossen, heißt es aus der Partei. Blimlinger ist derzeit Kultursprecherin der Grünen im Parlament.
Zuvor gab es Absagen
Eigentlich war für heute eine Presskonferenz zur Zukunft von Kulturevents in Österreich geplant gewesen. Diese wurde aber überraschend abgesagt. Auch ein Interview mit dem profil, wie auch eines für den KURIER am Sonntag, hatte Lunacek kurzfristig abgesagt.
Kurz sprach von "schwierigen Zeiten"
Donnerstagabend nahm Kanzler Sebastian Kurz zu seiner Regierungskollegin in der ZiB 2 Stellung. Fragen, ob sie zurücktreten werde, beantwortete er nicht. Er erklärte, dass ein Rücktritt Lunaceks ihre höchstpersönliche Entscheidung wäre und dass das derzeit "schwierige Zeiten" für sie seien.
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