Ludwig: „Ich warne eindringlich davor, das Land zu spalten“

Michael Ludwig
Wiens Bürgermeister Michael Ludwig nennt Freiwilligkeit „weltfremd“.

KURIER: Wie viele Stunden haben Sie diese Woche schon gearbeitet? Mehr als 60 Stunden?

Michael Ludwig: Sicher mehr. Aber der Unterschied zu Arbeitnehmern ist, dass ich weitestgehend Gestaltungsmöglichkeiten habe. Wir haben ja Berufsgruppen, die zwölf Stunden am Tag arbeiten, Krankenschwestern etwa. Aber für die gibt es klare Rahmenbedingungen und eine echte Freiwilligkeit, die mit den jeweiligen Personalvertretern und Betriebsräten vereinbart werden – und garantierte Zuschläge.

Was irritiert sie am meisten?

Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie und dass viele Frauen oft damit alleine gelassen werden. Laut Statistik Austria haben nur 993 von 9267 Kinderbetreuungseinrichtungen mehr als zwölf Stunden geöffnet. Von denen sind 868 in Wien. Mit einer flexiblen Arbeitszeitregelung wird das natürlich schwieriger – und teurer durch Kosten für die Kinderbetreuung.

Die Regierung garantiert jetzt die Freiwilligkeit. Nicht genug?

Das ist mir natürlich nicht genug und zeigt nur, wie weltfremd die Regierung agiert.

Warum macht die Regierung das ohne die Sozialpartner?

Damit Arbeitnehmer geschwächt werden, das ist eindeutig. Das eine ist die inhaltliche Ausrichtung. Das andere ist die Vorgangsweise, die völlig unüblich ist. Die Regierung hätte sich viel Ärger erspart, wenn sie nicht einfach drübergefahren wäre.

Die Regierung sagt, es wurde jahrelang verhandelt ohne Ergebnis. Braucht es nicht irgendwann eine Entscheidung?

Der große zivilisatorische Fortschritt ist der Kompromiss, das gilt besonders für die Demokratie. Ich kann nur ausdrücklich davor warnen, dass die Sozialpartnerschaft nichts mehr zählt und dass man jetzt seitens der Regierung die sozialpartnerschaftlichen Traditionen hinter sich lässt. Wenn man nicht weiterkommt, muss man eben noch eine Gesprächsrunde machen.

Türkis-Blau will die Regelung trotz heftigen Widerstands jetzt beschließen. Gibt es dann bald Streiks ?

Das sind Entscheidungen der Gewerkschaften, da will ich mich als Politiker nicht einmischen. Ich gehe aber davon aus, dass der Protest der Gewerkschaften mit der Demo nicht beendet sein wird.

Rechnen Sie neben Streiks auch mit einer neuen Spaltung?

Wenn man Sozialpartnerschaft nur in Sonntagsreden verwendet, wird man mit den Konsequenzen zu leben haben. Ich kann nur eindringlich davor warnen, Brücken niederzureißen und das Land zu spalten.

Geht es eher darum, die Macht des ÖGB zu beschneiden oder um niedrigere Lohnkosten?

In Teilen wird man der Wirtschaft entgegenkommen und der Industrie – obwohl, bei der Industrie verstehe ich es deshalb weniger, weil da gibt es schon zahlreiche Betriebsvereinbarungen der Sozialpartner, die gut funktionieren. Und dass man das jetzt im Schatten von EU-Vorsitz und Fußball-WM schnell durchdrücken will, wird der Regierung nicht unangenehm sein.

Sehen Sie noch eine Chance für eine Einigung oder fahren die beiden Züge ungebremst aufeinander zu?

Ich bin Optimist und bekannt dafür, das Gespräch zu suchen. Ich habe immer für die Sozialpartnerschaft geworben, denn das Gespräch ist in der Demokratie das Wichtigste. Selbstverständlich werde ich mich dafür einsetzen, dass die Gespräche der Sozialpartner auch auf Bundesebene wieder in Gang kommen. Am besten wird aber sein: Zurück an den Start. Denn nur sachliche Gespräche bringen auch akzeptable Lösungen.

Sie bieten sich als Vermittler an?

Ich will zeigen, wie das in Wien gehen kann. Wenn gewünscht, werde ich auch jede Vermittlerposition gerne einnehmen. Brückenbauen ist in der Demokratie etwas ganz Wichtiges.

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