"Auf den Buden beginnt jetzt das große Ausmisten"

Archivbild: Burschenschafter in Wien
An einen Einzelfall glauben Experten beim Liederbuch der Germania nicht. Das zeigen auch Beispiele aus der Vergangenheit.

Das Liederbuch der Germania – ein Einzelfall?

Sicher nicht, sagt Publizist Hans-Henning Scharsach. "Es werden noch viele ähnliche Geschichten rauskommen", sagt der Autor, der sich in seinen Werken kritisch mit dem Dritten Lager auseinandersetzt. In vielen Burschenschaften seien ähnliche Texte verbreitet, und die würden sicherlich auch gesungen werden. "Die meisten Burschenschaften haben sich nie aus den nationalsozialistischen Traditionen gelöst."

Ähnlich sieht das auch Willy Mernyi, Vorsitzender des Mauthausen Komitees. "Wenn, ist das nur einer der vielen Einzelfälle der FPÖ", sagt er. Er glaubt gleich wie Scharsach daran, dass "auf den Buden jetzt das große Ausmisten beginnt. Was glauben Sie, was da alles im Altpapier wandern wird?"

"Neonazistisches Potenzial"

"Auf den Buden beginnt jetzt das große Ausmisten"
Wiener Akademikerball-Organisator Udo Guggenbichler / Wiener akademische Burschenschaft Albia Johann-Strauss-Gasse 7 1040 Wien

Für Bernhard Weidinger, Forscher des Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands (DÖW), ist der Fall nur insofern speziell, weil ihm Ähnliches "in dieser Heftigkeit seit Langem nicht untergekommen ist". Er befürchtet ebenso, dass der Fall Germania "nur die Spitze des Eisbergs darstellt", und dass es in den Burschenschaften ein "bisher unterschätztes neonazistisches Potenzial" gebe.

Beispiele für dieses Potenzial finden sich in der Vergangenheit nämlich durchaus. Erinnerungen weckt der aktuelle Fall etwa an eine Causa, die vor einigen Jahren für Wirbel sorgte: 2003 hatte die Wiener Olympia – in der die blauen Abgeordneten Martin Graf, Norbert Nemeth und Harald Stefan Mitglieder sind –, vor dem WKR-Ball den Deutschen Michael Müller eingeladen. Müller ist ein bekannter Neonazi-Liedermacher, dessen Repertoire für eine Umdichtung eines Udo-Jürgens-Liedes berüchtigt ist: "Mit 6 Millionen Juden, da fängt der Spaß erst an, bis 6 Millionen Juden, da ist der Ofen an", heißt es da. Gesungen wurde das Lied auf der Bude der Wiener Olympen zwar nicht; "das mag aber auch daran gelegen haben, dass der Verfassungsschutz anwesend war", sagt Mernyi.

Wehrmachtsschlager im Ohr

Weidinger selbst wurde 2014 Ohrenzeuge burschenschaftlicher NS-Gesänge, wie er sagt. Am Rande eines Burschenschafter-Treffens in Eisenach, dem Gründungsort der Deutscher Burschenschaften, bei dem Österreicher wie Deutsche anwesend waren, hörte er Korporierte das NS-Propagandalied "Bomben auf Engeland" singen - einen Klassiker aus dem Fundus der Wehrmacht. "Kurz darauf wurde, im wie auch vor dem Lokal, 'Auf Kreta' intoniert – ein Lied der Verherrlichung eines Feldzuges, im Rahmen dessen die nazideutschen Invasoren sich vom Widerstand der Lokalbevölkerung zu einer Reihe von Kriegsverbrechen provoziert sahen.

Nicht minder problematisch sind für Autor Scharsach Aktionen wie jene der Wiener Olympen, die zu einem Sommerlager unter dem Titel "Sturmadler" einluden. "So nannte die Hitlerjugend ihre Lager", sagt Scharsach. "Zudem stehen die Treffen unter dem Symbol der Tyr-Rune - dem Erkennungszeichen der Reichsführer-Schulen, das auch SS und SA verwendet haben." Auch das Liedgut des "Sturmadler-Kalenders" stamme zur Gänze aus der NS-Zeit, sagt Scharsach.

Wenig Hoffnung auf Aufklärungsprozess

Dass der jüngste Fall einen Aufklärungsprozess bei den Burschenschaften in Gang bringen könnte, bei dem derartige Altlasten an die Öffentlichkeit dringen, daran glaubt man beim DÖW weniger. Weidinger verweist in dem Zusammenhang nur auf ein Posting, das die Mädelschaft Nike zum Fall Landbauer abgesetzt hat: Sie ruft auf Facebook dazu auf, sich durch solche Vorfälle ja nicht spalten zu lassen: "Laßt uns schwärmen, laßt uns singen, bis das Lied zu Ende geht, aber redet nicht von Dingen, die ihr einmal nicht versteht", heißt es auf Facebook.

Kritik wird lauter

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