Lehrlinge: "Großteil der Bewerber ist nicht einstellbar"
Österreichs Fachkräfte errangen bei den Berufsweltmeisterschaften jüngst 12 Medaillen, Österreich zählt damit zu den Top-10-Nationen – gleichzeitig suchen Betriebe händeringend nach Lehrlingen. 7279 offene Lehrstellen meldete das AMS für August: 555 in Wien stehen beispielsweise 1798 in Oberösterreich gegenüber. Der KURIER sprach darüber mit Peter Buchmüller, Spartenobmann Handel der WKÖ.
KURIER: Seit Jahren ist vom Fachkräftemangel die Rede und davon, dass es ein Ost-West-Gefälle gibt…
Peter Buchmüller: Das gibt es tatsächlich. Nicht nur in der Gastronomie, sondern auch im Handel. Ich konnte heuer erstmals in meiner über drei Jahrzehnte dauernden Karriere als Kaufmann keinen Lehrling finden. Im Maximalfall hätte ich drei Lehrlinge einstellen können.
Liegt das an besagtem Ost-West-Gefälle, an der demografischen Entwicklung oder am Image der Lehre?
Zwei Lehrlinge, die sich beworben haben, waren nicht einstellbar. Die Fast-Vollbeschäftigung in Salzburg verschärft die Situation. Natürlich liegt es auch an den geburtenschwachen Jahrgängen. Weiters müssen die Schulen darauf achten, ihre Klassen voll zu bekommen. Dadurch sinkt das Bildungsniveau der Schüler, und damit spitzt sich automatisch das Ausbildungssituation der Lehrlinge zu. Das heißt, es sinkt.
Was heißt, Jugendliche sind „nicht einstellbar“?
Viele Jugendliche können kaum mehr rechnen, sinnerfassend lesen oder sich gut ausdrücken. In Ballungszentren würden unsere Mitgliedsbetriebe gerne wesentlich mehr Lehrlinge einstellen, aber ein Großteil der Bewerber ist nicht einstellbar, weil die wichtigsten Grundkenntnisse nicht vorhanden sind.
Inwiefern spielt die Arbeitszeit bei der Ausbildungswahl eine Rolle?
Wir sind laut Kollektivvertrag verpflichtet, die Schwarz-Weiß-Regelung einzuhalten. Das heißt: Wenn an einem Samstag gearbeitet wird, so ist ein weiterer Samstag frei zu geben. Früher waren die Geschäfte nicht durchgehend geöffnet, weshalb die Mitarbeiter oft mittags für wenige Stunden nach Hause gegangen sind und dann beispielsweise erst um 15.00 Uhr wieder zu arbeiten begonnen haben. Da wir jetzt in der Regel durchgehende Öffnungszeiten haben, ist die Arbeitszeit geblockt, was den Interessen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – Stichwort: Work-Life-Balance – entgegenkommt.
Im Handel gibt es immer mehr Selbstbedienungskassen. Wer heute Kassier ist, der sieht dabei zu, wie sein Arbeitsplatz durch Maschinen wegrationalisiert wird.
Den Beruf des Kassiers allein gibt es nicht. Wer im Handel arbeitet, der wird umfassend ausgebildet. Wir hatten im letzten Jahrzehnt niemals ein Minus, sondern immer mehr Mitarbeiter. Und was die Technologie anbelangt, so würden wir uns sogar wünschen, dass der technische Fortschritt schneller kommt, weil wir eben gar nicht so viele Mitarbeiter bekommen, wie nötig wären.
Das heißt, der Handel wird nie ohne Mitarbeiter auskommen?
Ich bin davon überzeugt, dass sich der verkäuferlosen Laden wie er in den USA erprobt wird, nicht durchsetzen wird.
Was lässt Sie so sicher sein?
Weil wir alle Menschen sind, die Beratung und persönliche Ansprache suchen. Die Kunden informieren sich heute vorab im Netz und wissen manchmal mehr als der Verkäufer im Geschäft. Das ist eine Herausforderung, der sich der Handel stellen muss. Im Elektrohandel beispielsweise sucht der Verkäufer mittlerweile mit dem Tablet in der Hand gemeinsam mit dem Kunden das geeignete Produkt aus. Dadurch entsteht ein neues Berufsbild. Das des digitalen Verkäufers, ein neuer Lehrberuf, den wir anbieten.
Muss der digitale Verkäufer besondere Fähigkeiten mitbringen?
Er muss das haben, was alle im Handel brauchen. Ganz altmodisch: Kontaktfreudigkeit. Doch diese Eigenschaft fehlt bei vielen Jugendlichen ebenso wie Höflichkeit oder Pünktlichkeit. Viele kennen keine Umgangsformen mehr. Das beginnt schon im Elternhaus und setzt sich dann in der Schule fort. Das macht viele Jugendliche zu nicht einstellbaren Lehrlingen. Vielleicht hilft die Ausbildungspflicht dabei, ausreichend Mitarbeiter zu finden.
Die Ausbildungspflicht sieht nur vor, dass Jugendliche nach der Schulpflicht bis zum 18. Lebensjahr eine Ausbildung bekommen. Wie sollen in kurzer Zeit jahrelange Versäumnisse wettgemacht werden?
Wir müssen die Ausbildungspflicht als Chance sehen. Zusätzlich plädiere ich auch für die Lehre für Erwachsene. Damit entsprechen wir den Anforderungen der Zeit. Ich selbst habe eine 50-Jährige eingestellt, die den Lehrberuf am BiFi nachgeholt hat. Es gibt immer mehr Menschen und besonders viele junge Frauen, die mit 30 Jahren und vielleicht schon einer Familie einen Beruf erlernen wollen. Die Politik muss die Möglichkeit dazu bieten und damit den Anforderungen des Arbeitsmarktes und der Bevölkerungsentwicklung gerecht werden. Damit das flächendeckend geschieht und die Ausbildner einen Anreiz haben, diese Lehren anzubieten, müssten die Förderungen seitens des AMS dafür erhöht werden.
Sollte es Anreize für Jugendliche geben, sich für eine Lehre zu entscheiden?
Ich halte nichts von Lockangeboten, wie die Führerscheinausbildung zu bezahlen, damit der Jugendliche überhaupt die Lehre beginnt. Entweder, man ergreift den Beruf, weil er interessant ist, man etwas lernen und verdienen will, oder man sucht sich etwas anderes. Alles andere halte ich für die falsche Motivation. Wir stehen eher oft vor dem Problem, dass Jugendlichen der Weg vom Ausbildungs- zum Wohnort zu weit ist.
Nennen Sie ein Beispiel.
20 Kilometer Busfahrt sind manchen am Land zu weit. Damit wir ausreichend Lehrlinge, besonders am Land finden, sollten die Zumutbarkeitsbestimmungen hier neu überdacht werden. Wenn es einem Pendler im Burgenland zumutbar ist, dass er zur Arbeit nach Wien fährt, dann muss ein Jugendlicher sich auch eine Dreiviertelstunde in den Bus setzen können.
(Für Lehrlinge gelten die Zumutbarkeitsbestimmungen wie für Jobsuchende: Zwei Stunden Wegzeit für Hin- und Rückweg. Im Vergleich zu Arbeitslosen, denen Leistungen gestrichen werden, haben sie keine Sanktionen zu fürchten, wenn sie eine Stelle nicht annehmen)
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