Traurig sieht er aus, der Bergmannplatz. Das liegt am Hochnebel, der über dem Tal hängt. Das liegt wohl auch am Nieselregen, der kalt aufs Pflaster fällt. Vor allem aber liegt es daran, dass viele Geschäftslokale an diesem prominenten Platz keinen Mieter haben. Die Auslagen sind leer, die Scheiben ungeputzt. Stundenlang ist niemand zu sehen. Kein Spaziergänger schlendert über den Platz, kein Tourist wählt sich ins kostenlose WLan ein. Einfach niemand.
Natürlich kann man eine Geschichte, in der es um sterbende Ortskerne geht, ganz wunderbar mit dem Bergmannplatz in Eisenerz beginnen.
Ein dankbares Bild, symptomatisch für die Landflucht.
Und doch es ist genau das Bild, vor dem Menschen wie Christine Holzweber graut.
Holzweber sitzt in ihrem Büro im ersten Stock des Gemeindeamtes.
Seit zehn Jahren ist sie hier die Bürgermeisterin. „Es gab Zeiten, da hab' ich überhaupt nicht mehr mit Journalisten geredet, weil die Geschichten, die sie geschrieben haben, immer die gleichen waren: Eisenerz stirbt gerade - oder ist längst tot.“
Das frustrierte ihre Eisenerzer. Vor allem aber sei es heute nur noch die halbe Wahrheit.
„Mittlerweile geht es wieder aufwärts“, sagt die Bürgermeisterin. „Und vielleicht können wir irgendwann ja sogar zu einem Positiv-Beispiel werden.“
Die Bürgermeisterin von Eisenerz über die Maßnahmen gegen die Landflucht
Wie bitte? Lernen von Eisenerz? Von einem Ort, der in nur 50 Jahren von 14.000 auf nicht einmal mehr 4.000 Einwohner geschrumpft ist? Der mit mehr als 54 Jahren die älteste Gemeinde in ganz Österreich ist?
Tatsächlich aber gibt es gute Gründe, warum sich auch Nicht-Eisenerzer für diesen Ort interessieren sollten.
Beispiel für ganz Österreich
Das eine ist die Wahl: Am 24. November wählen die Steirer einen neuen Landtag. Und die Frage, was gegen die Landflucht getan werden kann, treibt dieses Mal auch die Politik um. „Ist das Land noch zu retten?“, fragte die Kleine Zeitung vor kurzem ausgerechnet auf ihrer Titelseite.
"Bei Landtagswahlen geht es vor allem um den Landeshauptmann", sagt Meinungsforscher und Politik-Analyst Peter Hajek. "Und ganz grundsätzlich entscheiden sich die Menschen immer für den Kandidaten, der aus ihrer Sicht am souveränsten und berechenbarsten dafür steht, die großen Probleme zu lösen."
In dem Fall könnte man auch sagen: Die Steirer wählen möglicherweise - auch - den Landeshauptmann, der ihrer Ansicht nach die besten Antworten auf die Landflucht und die verödeten Dorfzentren hat.
Hinzu kommt: Eisenerz ist kein steirisches Unikum, sondern ein Beispiel für ganz Österreich. In fast allen Bundesländern drängen die Menschen vom flachen Land in die Ballungszentren.
"Die Gesellschaft wird heterogener, die Menschen machen sich auf die Suche nach ihrem Lebensglück, und hier bieten Städte und Ballungszentren - real oder vermeintlich - die besseren Antworten und Möglichkeiten", sagt Raumplanerin und Soziologin Gerlind Weber.
Eine Sache ist der Optimismus. Bürgermeisterin Holzweber hat ihre Heimat nie aufgegeben. Mit externen Beratern wurde überlegt, was die Region bieten muss, um wieder attraktiv zu sein.
Ein Ergebnis: Man setzt auf Tourismus.
Das klingt einfacher, als es ist. "Immerhin waren wir immer eine Industrie- und keine Tourismusregion."
Und doch geschieht es. Im Sommer gibt es Läufe und Rennen auf den Erzberg, dazu ein großes Musikfestival, das Gäste anzieht. Und: Aus Schwächen sollen Stärken werden.
Zweckoptimismus
Die Entlegenheit? Sie sorgt heute dafür, dass Ferienwohnungen in dieser Gegend noch erschwinglich bleiben."Für holländische oder norddeutsche Gäste spielt es keine Rolle, wenn sie für einen Ausflug nach Graz eine Stunde im Auto sitzen. Sie sind das gewohnt", sagt Holzweber.
Und die alles andere als prall gefüllte Stadtkasse? „Sie hat dafür gesorgt, dass die Natur ursprünglich geblieben ist. Blöd gesagt: Wir hatten kein Geld, um alle unsere schönen Flecken zu verbauen.“
Klingt nach Zweckoptimismus? Vielleicht ist es das.
Doch es gibt auch andere, die der Region einen Aufwärtstrend attestieren.
Menschen wie Robert Galler. Galler ist Professor an der Montan-Uni Leoben und Chef des „Zentrum am Berg“. Das Zentrum ist eine weltweit einzigartige Tunnel-Forschungsanlage am Erzberg, die demnächst in Vollbetrieb geht.
Was könnte das Zentrum am Berg für die Region bringen?
Aus aller Herren Länder kommen Feuerwehren und Einsatzorganisationen hierher, um in stillgelegten Stollen Situationen zu trainieren, die man nirgendwo erleben kann. Etwa, wenn Autos nach einer Massenkarambolage in einem Tunnel brennen.
"In einem befahrenen Tunnel kann man das nicht trainieren oder simulieren", sagt Galler. "Man müsste den Tunnel sperren, und wenn's gebrannt hat, müsste er Wochen oder gar Monate lang saniert werden."
Wer mit dem energie-geladenen Wissenschafter in den Röhren am Berg unterwegs ist, merkt schnell, dass er fest an das Projekt und dessen Strahlkraft glaubt.
Auf der ganzen Welt ist der U-Bahnbau eines der großen Zukunftsgeschäfte. Doch nirgendwo können die Notfallsysteme oder Evakuierungen realistisch überprüft werden. Im Zentrum am Berg überlegt man deshalb, eine komplette U-Bahnstation nachzubauen. Die Wiener Linien sind sehr, interessiert. Und nicht nur sie.
„Die Region ist definitiv im Aufschwung“, sagt Galler. „Und unser Zentrum leistet hoffentlich einen Beitrag.“
Allein den Erzberg besuchen mehr als 50.000 Menschen pro Jahr, Tendenz steigend. Und dann hat die Stadt noch ein neues nordisches Ausbildungszentrum, ein Trainingsspital und neue Ferien-Wohnungen bekommen. Investoren haben die Wohnblöcke erstanden, in denen weiland die Erzberg-Arbeiter gewohnt haben, und machten daraus 4-Sterne-Ferienappartments. "Und weil private Investoren in der Regel sehr gut überlegen, wo sie ihr Geld anlegen, glauben wir, dass das Konzept große Chancen auf Erfolg hat", sagt Bürgermeisterin Holzweber.
Wie gesagt, Garantien gibt es keine. Aber wer weiß: Vielleicht sind sie sehr bald ja tatsächlich gezählt die Tage, an denen am Bergmannplatz niemand unterwegs ist.
Kommentare