Kurz vor EU-Parlament: Europäisch reden – national handeln
Der Start der österreichischen EU-Präsidentschaft steht ganz im Zeichen nationaler und nicht europäischer Problemlösungen, wie es der Asylkompromiss zwischen CSU und CDU deutlich zeigt.
Und diese nationalen Lösungen gibt es gerade im Bereich der Migrationspolitik, die Bundeskanzler Sebastian Kurz als Schwerpunkt seines EU-Vorsitzes sieht. Das hob er auch am Dienstag bei seiner Rede im Plenum des Europäischen Parlaments hervor.
Groß war das Interesse der EU-Abgeordneten am österreichische Präsidentschaftsprogramm und der anschließenden Debatte allerdings nicht: Von insgesamt 751 Abgeordneten nahmen nicht einmal 100 Parlamentarier teil, sehr zum Ärger von Gastgeber, Parlamentspräsident Antonio Tajani. Beim Auftritt von Frankreichs Emmanuel Macron waren alle Reihen prall gefüllt, ätzte Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker.
So sehr Kurz auf „ein Europa, das schützt“ – dem Slogan der EU-Präsidentschaft – hingewiesen hat, die Wiener Antwort auf den Seehofer-Merkel-Deal, der Transitzentren an der österreichisch-bayerischen Grenze vorsieht, fällt laut Kurz national aus. „Wenn das so gehandhabt wird wie derzeit angekündigt, dann werden Österreich und auch andere Länder dementsprechend darauf reagieren“, erklärte der Bundeskanzler bei einer Pressekonferenz in Straßburg. Demnach würde Österreich an seiner Südgrenze zu Italien und Slowenien dem deutschen Beispiel folgen.
Erst wenn der Außengrenzschutz effizient funktioniere, Flüchtlingslager in Nordafrika installiert seien und ein Wirtschaftsprogramm afrikanischen Ländern helfe, könne er sich vorstellen, „zu einem Europa ohne interne Grenzkontrollen zurückzukehren“, zu einem Europa, „in dem ich aufgewachsen bin“, sagte der Bundeskanzler und wies dezent auf sein junges Alter hin.
Dass die heftigste Intervention gegen zunehmenden Nationalismus und Egoismus in der EU gerade von Othmar Karas, einem ÖVP-Parteifreund von Kurz kam, erstaunte umso mehr. Er forderte den Bundeskanzler auf, „jeden Alleingang, jeder nationalistischen, populistischen und egoistischen Antwort auf unsere gemeinsamen europäischen und globalen Herausforderungen eine Absage“ zu erteilen. „Geben Sie der Idee Europas im Rat ihre Seele zurück“, appellierte der ÖVP-Delegationsleiter an Kurz und verzichtete dabei auf das parteiinterne, freundschaftliche „Du“.
National handeln, europäisch reden – so kann der erste Befund des Agierens von Bundeskanzler Kurz zusammengefasst werden. Betont vorsichtig war auch seine Wortwahl, er sprach von Werten, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie und nicht von der Einsparung von Kommissaren und der Aufgabe des Parlamentssitzes in Straßburg. „Es kommt nicht auf schöne Reden an, wir unterstützen Lösungen. Sie dürfen nicht nur Wähler in Österreich zufriedenstellen“, resümierte der Chef der Liberalen, Guy Verhofstadt, die Ausführungen von Kurz.
Abgeordnete links der Mitte wiesen darauf hin, dass unter Schutz vor allem auch sozialer Schutz und soziale Sicherheit zu verstehen seien, etwas, was sie in der Rede des Bundeskanzlers vermissten. Der SPÖ-Abgeordnete Eugen Freund wünschte Kurz „Fortune“ und den wirksamen Kampf gegen die Fluchtursachen: „Beginnen Sie, einen Marshall-Plan für Afrika auszuarbeiten, so können Sie die Flüchtlingswelle langfristig stoppen und sich einen Eintrag in die Geschichtsbücher verschaffen.“ Einen Afrika-Gipfel im Herbst kündigte Kurz an.
Dann war der Kanzler mit den Gedanken schon wieder in Wien, wo er abends nationale Maßnahmen zum Grenzschutz vorstellte. Um schnell unterwegs zu sein und reagieren zu können, reiste er diesmal in einem gemieteten Jet.
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