Die ÖVP segelt jedenfalls auf Konfrontationskurs. Spätestens seit der Grundsatzrede von Kanzler Karl Nehammer ist offenkundig: Sie sucht ihr Heil in der Abgrenzung von ihrem grünen Partner. In immer kürzeren Abständen wird grünen Anliegen eine Abfuhr erteilt. Jüngstes Beispiel: Der Generalsekretär der Wirtschaftskammer, Karlheinz Kopf, erklärt im KURIER-Interview ein Kernanliegen der Grünen, das Klimaschutzgesetz, für "nicht beschlussreif", und das grüne Prestigeprojekt der CO2-Abgabe solle man wieder abschaffen.
Erste Indizien sprechen dafür, dass die ÖVP seit dem Kurswechsel auf Anti-Grün Tritt fassen kann. Der Abwärtstrend in den Umfragen ist gestoppt, „die Talsohle ist durchschritten“, sagt OGM-Chef Wolfgang Bachmayer.
Zudem ist beiden Koalitionspartnern klar, dass eine Fortsetzung dieser Regierung mangels parlamentarischer Mehrheit nach der kommenden Nationalratswahl ohnehin nicht infrage kommt. Also bastelt jeder Partner bereits an einer Zukunft ohne den anderen. Der grüne Gesundheitsminister Johannes Rauch meinte unlängst im Parlament, bald werde die SPÖ wieder regieren, und zwar mit Grünen und Neos.
Superwahljahr beschäftigt Politiker
Das Superwahljahr 2024 beschäftigt zunehmend Politiker und Parteistrategen. Spätestens nach der Landtagswahl in Salzburg am 23. April wird sich alles auf das Rennen um die nächste Bundesregierung konzentrieren. Laut Wahlkalender steht im Mai 2024 die EU-Wahl auf dem Programm, im September 2024 die Nationalratswahl.
Reihenfolge "falsch"?
Diese Reihenfolge ist es, die so manchem Parteistrategen Kopfzerbrechen bereitet, und die zu vorzeitigen Nationalratswahlen führen könnte.
EU-Wahlen sind traditionell innenpolitische Denkzettelwahlen. Das war quer durch Europa immer wieder zu beobachten. Viele Wähler benutzen die als weniger wichtig empfundene EU-Wahl, um Frust über die heimische Politik abzulassen.
Das "Pech" mit Kurz
In SPÖ und ÖVP wird diese Ausgangslage gleich analysiert. Nur die Schlussfolgerungen daraus sind lustigerweise konträr.
Die ÖVP hat bei der EU-Wahl das „Pech“, dass sie 2019 extrem gut abgeschnitten hat. Die ÖVP ging mit 34,6 Prozent meilenweit vor der SPÖ (23,9 Prozent) durchs Ziel.
Fataler Fehler der SPÖ-Führung
Dabei war die ÖVP im EU-Wahlkampf lange nicht vom Fleck gekommen und die SPÖ war ihr in den Umfragen schon bedrohlich nahe gerückt. Doch dann kam Ibiza und die SPÖ-Führung beging einen fatalen Fehler: Sie trommelte zur Abwahl von Kanzler Kurz im Nationalrat. Das lieferte der ÖVP Zunder, den sie dringend brauchte. Sie funktionierte die EU-Wahl flugs zu einer Abstimmung über Sebastian Kurz um. Das Ergebnis war ein riesiger Zulauf zur ÖVP und ein Flop für die SPÖ.
Zeichen verkehrt
Fünf Jahre später hat die ÖVP das Problem, dass sie bundesweit bei nur 22 Prozent liegt. Sie fürchtet nun, dass sie nach einem zweistelligen Absturz bei der EU-Wahl aus dem Tief nicht mehr herausfindet, und dass dadurch auch die Nationalratswahl, wo sie ebenfalls ein Kurz-Ergebnis zu verteidigen hat, beeinträchtigt wird.
Die SPÖ geht ebenfalls davon aus, dass bei der EU-Wahl diesmal die Vorzeichen umgekehrt sind: Dass die SPÖ zulegen und die ÖVP absacken wird. Aber in der SPÖ ist man gar nicht unumschränkt glücklich darüber. Die Sorge der Sozialdemokraten: Wenn sich der Wählergrant bereits bei der EU-Wahl über der Regierung entlädt, wie bringt man die Menschen dann bei der Nationalratswahl ein paar Monate später ein zweites Mal dazu, die ÖVP abzustrafen?
Vielleicht löst ja die ÖVP – ungewollt – zumindest dieses Problem der SPÖ, indem sie die Nationalratswahl vor die EU-Wahl verlegt. Einen Kanzlerkandidaten wird die SPÖ bis dahin allerdings wohl selbst finden müssen.
Das EU-Wahlergebnis 2019 lautete: ÖVP 34,6 %, SPÖ 23,9 %, FPÖ 17,2 %, Grüne 14,1 %, Neos 8,4 %
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