KURIER-Check: Plan B für die Asylfrage
Die Zahl der Asylanträge hat sich im Vorjahr auf rund 42.000 in etwa halbiert. 36.030 Asylwerber wurden davon zum Verfahren zugelassen. Das sind um vier Prozent weniger als die 2016 als "Obergrenze" festgesetzten 37.500. Für ÖVP-Innenminister Wolfgang Sobotka sind es aber immer noch zu viele Flüchtlinge. "90 Prozent der Asylberechtigten wandern direkt ins Sozialsystem. Wissen Sie, was das alles kostet?", sagt er zum KURIER.
Der "einzige Weg" sei: EU-Außengrenzen dicht, Aufnahmezentren außerhalb. "Aber bis es eine europäische Lösung gibt, brauchen wir eigene, nationale Maßnahmen. Und die brauchen wir jetzt, nicht erst irgendwann."
Die Obergrenze halbieren, "Illegale" einsperren, eine Fußfessel für potenzielle Terroristen – in den letzten Wochen hagelte es aus dem Innenministerium Vorschläge, die Kritiker als Populismus und Hilfsorganisationen als Eingriffe in die Menschenrechte betrachten. Der KURIER hat sich angeschaut, was hinter den Schlagworten steckt.
Vom Vorjahr sind noch 14.000 Anträge übriggeblieben, rund 10.000 davon dürften nach Schätzung des Innenministers heuer zum Verfahren zugelassen, der Rest abgelehnt werden. Diese zählen dann zur Obergrenze 2017. Kommt Sobotka mit der neuen Festsetzung bei 17.500 durch, dürfte der Plafond schon im Sommer erreicht sein. SPÖ-Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil, der Beschränkungen prinzipiell befürwortet, lehnt diesen Vorschlag ab: Das sei nur eine "Scheinobergrenze", da die "überzähligen" Menschen ja trotzdem im Land seien.
"Überzählige" Migranten in Kasernen festsetzen Wenn die Obergrenze erreicht ist, sollen keine neuen Asylanträge mehr bearbeitet werden. Aber wohin dann mit diesen Menschen? Sobotka will die "Überzähligen" in Kasernen unterbringen, die sie nur verlassen dürfen, um die Heimreise anzutreten. "Frei in Österreich bewegen sollen sie sich jedenfalls nicht", betont er. Sogenannte Sondertransitzonen gebe es bereits auf Flughäfen: "Sie stehen Modell, aber an den Details wird gerade intensiv gefeilt."
Auch das lehnt der SPÖ-Verteidigungsminister ab: "Für Anhaltelager, wie der Innenminister sie plant, stehe ich nicht zur Verfügung", so Doskozil. Außerdem gebe es gar keine leerstehenden Kasernen. Er beharrt darauf, Migranten an der Grenze abzuweisen. Kontrollen führen aber zu Staus an den Grenzübergängen und sind vor allem für Pendler ein Ärgernis – siehe Salzburg und Tirol.
Obergrenze gesetzlich fixieren Die Obergrenze beruht derzeit auf einem Regierungsbeschluss. Die dazugehörige Notverordnung greift nur, wenn es zu einem "Ansturm" von Migranten – ähnlich wie 2015 – kommt. Klagt der 35.001. Flüchtling sein Recht auf ein Asylverfahren ein, bekäme er wahrscheinlich recht. "Eine Willenserklärung wie die Obergrenze zählt vor dem Richter nicht", sagt Sobotka.
Eine gesetzliche Verankerung im Rahmen des Fremdenrechtspakets scheiterte bisher an der SPÖ. Sie beruft sich auf die Meinung von Juristen, wonach die ziffernmäßige Obergrenze verfassungswidrig sei. Sobotka will die Verhandlungen mit dem Koalitionspartner jetzt wieder intensivieren und die Obergrenze nachträglich ins Fremdenpolizeigesetz schreiben lassen. Für einen Beschluss bräuchte es eine Zweidrittelmehrheit im Nationalrat.
Illegal Aufhältige einsperren Der Polizei fehlt derzeit die gesetzliche Grundlage, illegal im Bundesgebiet aufhältige Personen festzunehmen, damit sie ausgewiesen werden können. Weil es nicht möglich war, das im Strafgesetz zu verankern, machte Sobotka einen Umweg über das Fremdenpolizeigesetz: Ein Migrant begeht ein Verwaltungsdelikt, wenn er das Bundesgebiet trotz Ausreisebescheids nicht verlässt. Kann er das Bußgeld von 5000 bis 15.000 Euro nicht bezahlen, droht eine Ersatzfreiheitsstrafe von bis zu sechs Wochen. Im Wiederholungsfall kommen noch einmal sechs Wochen dazu.
Kritiker bezeichnen das als Schikane – kein Flüchtling habe 15.000 Euro parat. Innenminister Sobotka lässt das nicht gelten: "Wer etwas dagegen hat, dass wir jene, die sich hier illegal aufhalten, sanktionieren, der ist gegen den Rechtsstaat und soll das bitte vor der Bevölkerung argumentieren." Das wird sich bald herausstellen: Am 18. Jänner endet die Begutachtungsfrist für das Fremdenrechtspaket, im Frühjahr wird es im Parlament behandelt.
Abschiebungen beschleunigen 2016 stieg die Zahl der Abschiebungen um fast ein Drittel im Vergleich zu 2015 an: Im Vorjahr wurden insgesamt 10.677 Personen außer Landes gebracht, davon 5.797 im Rahmen der freiwilligen Ausreise und 4.880 zwangsweise. Der Großteil stammt aus Afghanistan und dem Irak. Oft hakt es daran, dass die Herkunftsstaaten ihre Landsleute nicht zurücknehmen – das sei ein Problem, das nur auf diplomatischem Wege unter den Regierungschefs zu lösen wäre, heißt es aus dem Innenministerium.
Asylzentren außerhalb der EU und europaweite Obergrenze Außen-, Innen- (beide ÖVP) und der SPÖ-Verteidigungsminister fordern Aufnahmezentren für Migranten an den EU-Außengrenzen. Damit will man verhindern, dass Menschen einen riskanten Fluchtweg in Kauf nehmen. Wer keine Aussicht auf Asyl hat, soll umgehend zurück in seine Heimat gebracht werden. Die EU-Kommission erteilte dem Ansinnen von Sebastian Kurz, Sobotka und Doskozil eine Absage: Derlei Zentren seien nicht geplant. Auch eine EU-Obergrenze, wie von Doskozil zuletzt gefordert, lehnt die EU ab. Rückweisungen widersprächen der Genfer Flüchtlingskonvention.
Grenzkontrollen innerhalb der EU auf unbestimmte Zeit verlängern Zu Sobotkas Forderung, Grenzkontrollen im Schengen-Raum zu verlängern, gibt es aus Brüssel bisher keine Entscheidung. Mitte Februar läuft die derzeitige Regelung aus. Auch der deutsche Innenminister Thomas de Maizière hat die Absicht, die Grenzkontrollen "deutlich über den Februar hinaus fortzusetzen".
Fußfessel für "Gefährder" Als vorbeugende Maßnahme gegen Terrorismus schlägt der Innenminister vor, die so genannten Gefährder elektronisch zu überwachen. Fußfesseln sind derzeit nur im Strafvollzug üblich. Experten im Innenministerium prüfen gerade, ob sie auch hier anwendbar wären.
Amnesty International Österreich hält das für menschenrechtswidrig. Die Grünen sind skeptisch: Eine Fußfessel könne einen Terroranschlag eines Einzeltäters letztendlich nicht verhindern, meint Justizsprecher Albert Steinhauser. Auch beim Vorschlag, die Videoüberwachungsanlagen – etwa von Verkehrsbetrieben und Privaten im öffentlichen Raum – zu vernetzen, um eine lückenlose Überwachung zu ermöglichen, schrillen bei Steinhauser die Alarmglocken: Das sei ein "tiefer Einschnitt in die Grundrechte".
Exekutivpersonal aufstocken Der Sicherheitsbereich ist 2017 höher dotiert denn je: Sobotka steht ein Budget von 3,47 Milliarden Euro zur Verfügung – 440,5 Millionen mehr als 2015. Begründet wird das unter anderem mit höheren Personalkosten: 2017 sollen 750 zusätzliche Polizisten aufgenommen werden.
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