Was die KI-Revolution mit der Schule macht

Letzte Woche hielt Rafael de Hoyos, Bildungsexperte bei der Weltbank in den USA, in Wien einen Workshop zur KI in der Schule. Im KURIER-Gespräch rät er zur Vorsicht.
KURIER: KI hat in den Schulen eingeschlagen – für die Schüler haben die KI-Chatprogramme die Google-Suche abgelöst. Wie sollten wir darauf reagieren?
Rafael de Hoyos: Zuerst einmal: Bei der KI handelt es sich um eine neue Technologie, ChatGPT startete in der ersten Version im November 2022. Das ist alles so neu, dass es bisher nicht möglich war, eine belastbare Evidenz und gesicherte Erkenntnisse zu sammeln. Bildungssysteme sollten daher zunächst eine sehr wissenschaftliche Herangehensweise verfolgen, damit wir sicherstellen können, dass wir einen positiven Einfluss auf die Bildungsergebnisse haben, insbesondere auf den Lernerfolg der Schüler und Schülerinnen.
Gab es so eine technische Revolution schon einmal?
Ja, genau deshalb sollten wir die richtigen Schlüsse ziehen: Bei der „One-Laptop-per-child“-Initiative dachten wir, dass sich der Lernerfolg von selbst einstellt, wenn wir nur ausreichend PCs, Laptops und Tablets verteilen. Doch dieser Lernerfolg blieb nachweislich aus, es war ein Misserfolg und hat nur sehr viel Geld gekostet. Mit der KI ist das meiner Meinung nach anders: Die konzeptionelle Verbindung zwischen KI und Lernprozess ist viel klarer, aber bewiesen ist da noch nicht, dass KI den Lernerfolg von Schülern verbessern kann. Deshalb sollte man eher skeptisch und wissenschaftlich vorgehen.
Also sollten wir nicht sofort mit Vollgas in die KI-Schule gehen?
Bevor wir uns in eine Situation begeben, über die wir noch wenig wissen, sollten wir vielleicht zuerst mit einigen Pilotprojekten beginnen, um sicherzustellen, dass KI ihr Potenzial auch voll ausschöpft. Verbessert die KI den Lernerfolg der Schüler? Wird der Datenschutz gewahrt? Werden auch benachteiligte Schüler nicht im Stich gelassen?
In Österreich scheint der Zugang eher zu sein: Wir verbieten das jetzt einmal.
Das kann ich gut verstehen. Bei mir in den USA verbietet die Mittelschule Handys in der Schule, KIs wie ChatGPT dürfen nicht installiert werden. Weil niemand wissen kann, welche Bedingungen eine sinnvolle Nutzung ermöglicht. Daher ist das Verbot eine vorübergehende Lösung, ein Zeitgewinn, denn klar ist auch: Diese Technologie ist da, sie wird nie mehr verschwinden und sich durchsetzen, es wird in die Bildungssysteme einfließen. Das Problem ist, wir brauchen Zeit und einen wissenschaftlichen Ansatz, damit wir sicherstellen können, dass wir das gut nutzen.
Lehrer sehen immer wenig Sinn darin, Hausaufgaben zu geben, wenn die Schüler doch nur KIs verwenden und es ein bisschen umschreiben. Wie sollten wir da reagieren?
Da geht es um die große Frage, wie wir mit neuer Technologie umgehen. Essenziell ist jedenfalls, dass die Schüler über die Fähigkeiten des 21. und des 18. Jahrhunderts verfügen: Sie müssen also die Kulturtechniken Lesen, Rechnen, Schreiben beherrschen, aber eben auch Texte verstehen, eigene Ideen entwickeln und diese auch kommunizieren können. All diese Kompetenzen sind heute relevant und werden auch in Zukunft relevant sein.
Aber wie sollten Regierungen ihre Bildungssysteme strategisch auf diese alles verändernden Auswirkungen der künstlichen Intelligenz vorbereiten? Es ist offensichtlich, dass da niemand wirklich weiß, wie wir jetzt reagieren sollten.
So ist es. Und das Bildungssystem sollte grundsätzlich darauf reagieren. Die Realität ist jedoch, dass Bildungssysteme sehr starr sind und Änderungen oft Jahre bis Jahrzehnte dauern – und das gegenüber einer Technologie, die sich fast im Wochentakt und mit enormer Geschwindigkeit wandelt.
Im November 2022 startete die erste Version von ChatGPT. Anfangs noch wenig beachtet, schließlich gab es schon länger wenig sinnvolle „Gespräche“ mit Chatbots. Doch der Start von ChatGPT war anders, die Antworten der LLM (Large Language Model) der KI wurden fast wöchentlich besser, viele weitere KI-Startups folgten. Zurecht wittern die Firmen und deren Investoren einen rasant wachsenden Multi-Milliardenmarkt. Aktuell gibt es kaum ein KI-LLM, die selbst komplexe Aufgaben in der Schule nicht sinnvoll beantworten kann. FehlerhaftDas Bildungsministerium ist grundsätzlich offen für die KI-Anwendungen, sagt aber auch klar, dass eine „vorgetäuschten Leistung“ nicht zu beurteilen ist und Konsequenzen hat. Bei der schriftlichen Matura wurden Schüler beim Schummeln mit der KI erwischt. Pädagogen stehen heute ohnehin längst vor dem Problem, unterscheiden zu müssen, ob die Hausübung selbstständig oder mit KI-Hilfe erarbeitet wurde. Das Thema beschäftigte am Freitag im Hohen Haus auch das Schülerparlament der Bundesschülervertretung, wo unter anderem eine verpflichtende KI-Bildung ab der Sekundarstufe I und die Ausweitung der Initiative „Digitales Lernen“ sowie entsprechende Ausstattungen der Schulen mit digitalen Endgeräten eingefordert wurden. Eines muss aber auch allen klar sein: Die KIs erzeugen oft auch völlig falsche Antworten.
Also sofort Lehrpläne anpassen und ändern?
Wenn Sie den Lehrplan ändern, dann müssen Sie auch die Art und Weise ändern, wie Sie Lehrer ausbilden, und man muss die Leistungsbewertung ändern. Das dauert traditionell zehn Jahre. Diese Zeit haben wir jetzt nicht. Wir müssen Wege finden, wie sich die Bildungssysteme in den nächsten 18 Monaten neu erfinden können. Damit komme ich wieder zu meinem ersten Punkt: Es gibt keinen anderen Weg als den wissenschaftlichen. Wir müssen demütig zugeben, dass wir es nicht wissen.
Müssen wir davon ausgehen, dass die KI bestehende Ungleichheiten vertiefen oder helfen wird?
Auch das hängt davon ab, was wir mit dieser Technologie machen. Wenn wir nichts tun, dann wird dies höchstwahrscheinlich, wie es seit der industriellen Revolution mit jeder Technologie geschehen ist, die Ungleichheiten vergrößern. Kinder ohne Computer und Internetverbindung werden benachteiligt. Wenn wir aber eine Priorität für benachteiligte Kinder einräumen, könnten wir Lücken schließen. Ich denke, dass diese Technologie sehr wohl das Potenzial hat, den Lernfortschritt zu personalisieren, auf das jeweilige Leistungsniveau jedes Schülers eingehen.
Also auch eine Hilfe für die ärmeren Kinder dieser Welt?
Wenn wir nichts unternehmen, vergrößern wir die Kluft zwischen Kindern in reichen und armen Ländern. In Österreich müssen nur zwei Dinge geschehen. Sie brauchen eine gute Governance-Struktur. Und es geht darum, die Kapazitäten der Schulverwaltung, der Lehrkräfte und des Bildungssystems selbst zu stärken. Da haben die Österreicher einen großen Vorsprung.
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