Bargeld-Abnahme bei Asylwerbern: Aufwand höher als Einnahmen

Flüchtlingslager Wiener Neustadt
Stadt Wien, Ludwig Boltzmann-Institut für Menschenrechte, Grüne Landesräte und Agenda Asyl kritisieren Kickls Entwurf.

Die geplante Möglichkeit, Asylwerbern Bargeld abzunehmen, stößt in der Begutachtung der Fremdenrechtsnovelle auf große Skepsis - nicht nur grundrechtlicher, sondern auch ökonomischer Natur: Da viele Asylwerber wenig bis kein Geld mit sich führen, würde diese Maßnahme weit mehr Kosten verursachen als abgedeckt werden könnten, merkten die Stadt Wien, Grüne Landesräte oder die Agenda Asyl an.

Gehe man von rund 15.000 Antragstellern aus, würden Eintreibung, Verwaltung und Verrechnung einen Mehraufwand von 2,057.386 Euro verursachen, hat die Wiener Landesregierung berechnet. Diese Mehrkosten wären nur abgedeckt, wenn jeder Asylwerber 257 Euro (120 Euro müssen jedem belassen werden) bei sich hat. Und da stünde "noch immer kein einziger Euro zur Deckung der Grundversorgungskosten zur Verfügung".

Die schwarz-blaue Regierung äußere doch auch immer wieder, dass die Mehrheit Wirtschaftsflüchtlinge wären. Das aber schließe "substanzielle finanzielle Mittel" aus, stellten die drei Grünen Landesräte Rudi Anschober (Oberösterreich), Martina Berchtold (Salzburg) und Gabriele Fischer (Tirol) in einer gemeinsamen Stellungnahme fest. Grundversorgung gebe es nur, wenn ein Asylwerber den Lebensunterhalt für sich und Angehörige nicht selbst bestreiten kann, und ein Ersatz der Betreuungskosten könne schon jetzt vorgeschrieben werden.

Fehlende Begründung

Im Gesetzesentwurf wird die Abnahme von Bargeld jedoch als "Beitrag zur Grundversorgung" dargestellt. Es würden aber ohnehin nur hilfsbedürftige Asylsuchende versorgt, merkt das Ludwig Boltzmann-Institut für Menschenrechte an - und vermisst die nötige Begründung und Verhältnismäßigkeit bei diesem Eingriff in das Grundrecht auf Eigentum. Aus Sicht der Stadt Wien ist die Beitragspflicht nicht mit der Genfer Flüchtlingskonvention vereinbar: Darin habe sich Österreich verpflichtet, Flüchtlinge nicht nur aufzunehmen, sondern sie auch zu versorgen.

Ebenfalls in Grundrechte - und zwar auf Privatleben, Schutz der persönlichen Daten und Achtung der Menschenrechte - greift die geplante Möglichkeit ein, Flüchtlingen das Handy abzunehmen, um durch Auslesen der Daten Hinweise auf den Fluchtweg zu bekommen. Auch hier vermisst das Boltzmann-Institut für Menschenrechte "Klarheit betreffend die tatsächliche Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit".

Einen Verstoß gegen die Genfer Flüchtlingskonvention sieht das Boltzmann-Institut darin, dass anerkannte Flüchtlinge nicht nur sechs sondern zehn Jahre auf die Staatsbürgerschaft warten sollen. Artikel 34 der Flüchtlingskonvention gebiete, die Einbürgerung von Flüchtlingen so weit wie möglich zu erleichtern, merkt auch die Agenda Asyl - ein Zusammenschluss von Hilfsorganisationen wie Diakonie, Volkshilfe und Asylkoordination oder SOS Mitmensch - an. Schon die bestehenden strengen Voraussetzungen (etwa Selbsterhaltungsfähigkeit) seien fragwürdig im Hinblick auf die GFK, eine weitere Einschränkung wäre ein klarer Verstoß.

Kein Anspruch auf Deutschkurse

Erschwert wird die Integration weiters dadurch, dass auch Asylwerber mit hoher Anerkennungswahrscheinlichkeit keinen Rechtsanspruch auf einen Deutschkurs mehr haben sollen. Die Volksanwaltschaft fordert den Verzicht auf diese Änderung. Die Agenda Asyl verweist darauf, dass im Budget 2018/19 und im Finanzrahmen bis 2022 solche Schulungsaktivitäten finanziell nicht bedeckt seien. Es sei also zu erwarten, "dass gerade der immer eingeforderte Spracherwerb während eines oft jahrelangen Asylverfahrens nicht stattfinden kann".

Außerdem kritisiert die Agenda Asyl, mit dem Entwurf werde "der Eindruck erweckt, dass von Asylsuchenden generell Gefahr ausgehe". Sinnvolle Vorschläge wie ein amtswegiges Asylverfahren für in Österreich geborene Kinder Asylsuchender würden in dem Entwurf "zur kollektiven Diffamierung und Kriminalisierung von Asylsuchenden genutzt", indem der Verdacht in den Raum gestellt wird, Eltern würden die Geburt ihres Kindes zur Verlängerung ihres Aufenthalts missbrauchen.

Wirtschaftskammer will Lösung für Lehrlinge

Die Wirtschaftskammer drängt auf eine Lösung für Jugendliche aus Drittstaaten, die in Österreich eine Lehre absolvieren: Für sie sollte es einen Niederlassungstitel geben - und dieser wäre auch die "dringend erforderliche aufenthaltsrechtliche Lösung" für Lehrlinge, die einen negativen Asylbescheid bekommen haben. Dass sie derzeit abgeschoben werden, sorgte für breite Empörung.

"Es ist zu ersten Abschiebungen gekommen - direkt vom Lehrplatz", beklagen denn auch die drei Grünen Landesräte Rudi Anschober (Obrerösterreich), Martina Berthold (Salzburg) und Gabriele Fischer (Tirol) in einer gemeinsamen Stellungnahme, dass "das Erfolgprojekt 'Lehre für Asylwerbende in Mangelberufen' in Gefahr" sei.

Dabei werden die derzeit rund 800 Asylwerber, die in einem Mangelberuf ausgebildet werden, "von den Betrieben dringend benötigt", unterstreicht die WKÖ in der vom scheidenden Präsidenten Christoph Leitl unterzeichneten Stellungnahme. Österreich leide unter akutem Fachkräftemangel, "in vielen Branchen und Regionen Österreichs suchen Unternehmen händeringend nach Lehrlingen". Deshalb habe die Regierung in ihrem Programm einen Niederlassungstitel in Aussicht gestellt, der es Jugendlichen aus Drittstaaten ermöglicht, hier eine Lehre zu absolvieren. In der von Innenminister Kickl vorgelegten Fremdenrechtsnovelle 2018 finde sich dieser "wesentliche Punkt" allerdings nicht, bedauert die WKÖ - ebenso das Rote Kreuz.

Neue Rot-Weiß-Rot-Karte?

Die WKÖ regt an, den Betreffenden nach Abschluss der Lehre einen Umstieg auf eine "entsprechend angepasste Schiene der Rot-Weiß-Rot-Karte" zu ermöglichen. Außerdem bedauert die WKÖ, dass mit der Novelle Asylwerbern mit hoher Bleibewahrscheinlichkeit der Rechtsanspruch auf einen Deutschkurs genommen wird.

Eine Verschärfung für Jugendliche ist Gegenstand kritischer Stellungnahmen der Volksanwaltschaft, des Ludwig Boltzmann Instituts für Menschenrechte und der Wiener Landesregierung: Künftig sollen alle für eine Straftat vorgesehenen asylrechtlichen Konsequenzen nicht nur für Erwachsene, sondern auch für Jugendliche gelten. Auch sie sollen nach einer gerichtlichen Verurteilung das Aufenthaltsrecht verlieren oder sogar abgeschoben werden können.

   Mit dem Jugendgerichtsgesetz wurde der Tatsache Rechnung getragen, dass Jugendkriminalität meist Ausdruck vorübergehender Probleme bei der Anpassung an die Erwachsenenwelt ist. Deshalb sind für Jugendstraftaten generell gelindere Konsequenzen vorgesehen. Dass die Folgen im Asylbereich für Minderjährige nun die gleichen sein sollen wie für Erwachsene steht dazu im Widerspruch, stellen die Kritiker fest. Die Volksanwaltschaft lehnt die "massive Verschlechterung" für Jugendliche ab und spricht von "Anlassgesetzgebung". Es müsse für den Asylbereich gleichermaßen gültig sein, dass die Chancen straffälliger Jugendlicher nicht durch weitere Folgewirkungen neben der Strafe erschwert oder unmöglich gemacht werden dürfen, konstatiert das Ludwig Boltzmann-Institut für Menschenrechte. Gerade im Asylbereich müsse dies gelten, meint die Stadt Wien, seien hier doch oft Jugendliche aus schwierigen Umständen, bürgerkriegsähnlichen Situationen, gänzlich anderen Rechtssystemen und mit oftmals psychischer Vorbelastung betroffen - die zudem oft unbegleitet seien und auch im Heimatland keine Familie mehr hätten.

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