Kopftuchverbot bis zur Volksschule? Was es damit auf sich hat
Was sagen Parteien und Experten zu einem Kopftuchverbot für Mädchen in öffentlichen Kindergärten und Volksschulen?
FPÖ-Chef und Vizekanzler Heinz-Christian Strache gab der aktuellen Diskussion ihren Anstoß. Er forderte am Osterwochenende ein Kopftuchverbot für Mädchen in Kindergärten und Volksschulen. Der Koalitionspartner von der ÖVP wollte am Dienstag keine Stellungnahme dazu abgeben.
In der SPÖ gesteht man, keine fixierte Linie zu dem Thema zu haben. Es entbrannte in der Partei schon vor einigen Monaten. Einerseits will man nicht, dass Kinder ein Kopftuch tragen - schon gar nicht unter Zwang. Andererseits sprechen sich aber nur Teile der Partei für ein explizites Verbot aus. Man sieht die Gefahr, betroffene Kinder durch ein Verbot noch weiter zu isolieren. Man ringt also mit sich, werde sich aber wohl im Zuge der Programm-Diskussion um die Frage kümmern, heißt es.
Daniela Holzinger, Familiensprecherin der Liste Pilz, hält die Verbotsforderung für "vollkommen verständlich". Für Religion und Lebensstil müsse man sich freiwillig entscheiden. Schon im Kindergartenalter solche Differenzen zwischen Buben und Mädchen zu schaffen, halte sie für "verwerflich". Man müsse aber darauf achten, dass der Verstoß gegen dieses Gesetz nicht den Kindern schade.
Neos-Integrationssprecherin Stephanie Krisper plädiert dafür "mit Bekleidungsvorschriften und -verboten wohlüberlegt" umzugehen: "Unsere Freiheitsrechte gilt es zu verteidigen, nicht zu beschneiden." Man dürfe junge Mädchen keinesfalls dazu zwingen, ein Kopftuch zu tragen. Man müsse "die Eltern in die Pflicht nehmen". Die Schulen bräuchten vor allem Mittel für Sozialarbeiter und auch einen gemeinsamen Religions- und Ethikunterricht zur Aufklärung.
Der oberösterreichische Grünen-Landesrat Rudi Anschober will das Verbot "durchaus diskutieren", denn man müsse wohl davon ausgehen, dass "Mädchen im Kindergartenalter das Kopftuch nicht freiwillig tragen". Dieses Problem über die Einbindung von Kindern und Eltern freiwillig zu beseitigen, fände er aber besser und auch erfolgsversprechend: "Einsicht ist immer die bessere Option". Die aktuelle Debatte solle wohl vom "Kahlschlag im Integrationsbudget" ablenken.
Der auf Integration spezialisierte Soziologe hält die FPÖ bei Gleichstellungsfragen für "unglaubwürdig" und vermutet eher andere politische Motive hinter den Vorstößen. Mit der Forderung eines Kopftuchverbots für Kinder bis ins Volksschulalter ist er im Gespräch mit dem KURIER jedoch einverstanden. Dieses solle wegen der Vorbildwirkung ruhig auch die Lehrkräfte in diesen Altersgruppen und bis in die Unterstufe betreffen.
Amina Baghajati von der Muslimischen Glaubensgemeinschaft spricht sich gegen eine Verbotspolitik aus: "Ein Verbot ist nicht im Sinne des Kindeswohls". Die Alternative sieht sie in Gesprächen: "Es hat sich bewährt innnermuslimisch zu reden".
Wie viele Kinder in Österreich tragen Kopftuch?
Die Datenlage ist unbefriedigend, denn eine offizielle Erhebung oder auch nur Schätzungen über die Zahl der betroffenen Kinder gibt es laut Bildungsministerium und Experten nicht. Die Zahlen wären auch nur schwierig zu erheben, sagt Ednan Aslan, der Leiter des Instituts für Islamisch-Theologische Studien an der Uni Wien. Für Baghajati wird das Thema jedenfalls medial unverhältnismäßig hochgepusht: "Es ist ein Randthema. Die Zusammenarbeit in Schulen funktioniert besser als dargestellt."
Machen Kinder das freiwillig?
Von Zwang hält die
Soziologe hingegen meint, dass es meistens vor allem dem Wunsch besonders religiös-konservativer Eltern sei, wenn Kinder ein Kopftuch tragen und nicht der der Kinder Er betont aber, dass die meisten muslimischen Mädchen kein Kopftuch tragen und ihre Eltern das auch nicht wollen. Eine wirkliche freie Entscheidung traut er überhaupt erst etwas älteren Jugendlichen - etwa ab der Oberstufe - zu. "Wenn sich eine mündige Frau dafür entscheidet, muss das niemand mögen, doch es ist zu respektieren", sagt Güngör. Auf Mädchen hingegen werde zwar nicht immer unbedingt direkter Druck ausgeübt, damit sie es tragen, durch die Sozialisation in der Familie werde es oft aber wohl als normal angesehen.
Wie wirkt sich das auf die Kinder selbst aus?
Das Kopftuch verhülle Teile des Gesichts und verzerre damit Kommunikation, "gibt allem einen religiösen Impetus", sagt Güngör. Es sende auch ein "starkes Signal" für ein religiös-traditionelles Verhalten, etwa zu welchen Kindern - zum Beispiel Buben - auf Distanz gehen wolle. Kinder mit Kopftuch würden in der Schule oft benachteiligt und auch ausgegrenzt.
Was sagt "der Islam" zum Kopftuch für Kinder?
Islam-Forscher Ednan Aslan, betont, dass das Kopftuch für Mädchen in diesem Alter religiös gar "nicht erwünscht" ist. Es zu tragen, müsse laut der Theologie eine bewusste, mündige Entscheidung sein. Auch Amina Baghajati, Frauenbeauftragte der IGGÖ, sagt: "Das Thema sollte sich gar nicht stellen." Die Religion sehe die Wahl über das Kopftuch "erst bei religionsmündigen Frauen" vor.
Und was zum Kopftuch allgemein?
In der historischen Entwicklung sowie auch in aktuellen Mainstream-Deutungen entstamme das Kopftuch der Absicht, die Sexualität der Frau zu verhüllen, sagt Soziologe Güngor (auch wenn Kopftuchträgerinnen ihm durchaus auch andere Bedeutungen zuschreiben). Davor - und auch vor den mitschwingenden, problematischen Bildern von Mann und Frau - solle man Kinder durch ein Verbot schützen.
Auf der Seite Islamportal.at, die vom Innsbrucker Universitätsinstitut für islamische Theologie betrieben wird, werden Verhüllungen ebenfalls aus islamischen Geboten der Keuschheit abgeleitet. Was genau und wie verhüllt werden solle, sei allerdings unterschiedlich interpretierbar. Jedenfalls würden die religiösen Schriften gebieten, dass ein Kopftuch nur freiwillig getragen werden dürfe - und Frauen nicht als unmoralisch betrachtet werden dürften, nur weil sie keines tragen.
Wie wird das anderswo geregelt?
Im traditionell säkularen Frankreich ist jede auffällige religiöse Bekleidung seit einigen Jahren an öffentlichen Schulen verboten - darunter fällt auch das Kopftuch. Aus Frankreich stammen auch Berichte über mögliche Fallstricke eines Verbots: Kinder aus konservativen Familien wechselten nach der Verabschiedung des Gesetzes laut Medienberichten zumindest teilweise in religiöse Schulen. Das wäre ein Ergebnis, dass es im Sinne der Integration wohl zu vermeiden gilt.
Im Laissez-Faire-lastigen Großbritannien gibt es kein Verbot, allerdings bleiben Kleidervorschriften dort generell den einzelnen Schulen überlassen. Von allgemeinen Verboten in anderen europäischen Staaten wisse er jedenfalls nichts, sagt Aslan. Ihm sei auch keine Aufregung in Erinnerung, die auf ein solches Verbot in anderen Staaten schließen ließe.
In der Türkei war das Kopftuch lange Zeit an staatlichen Schulen allgemein verboten. 2014 wurde das Gesetz geändert und das Verbot aufgeweicht. Bis zur fünften Schulstufe - und damit ähnlich den nun in Österreich debattierten Regelungen - gilt es aber nach wie vor.
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