Es war mit Sebastian Kurz schon so, dass wir immer wieder Kompromisse gefunden und die gegensätzlichen Positionen von beiden zu einem gemeinsamen Ergebnis vereinigt haben. Aber es macht einen Unterschied, wie jeweils die Arbeitsweise angelegt ist: Bei uns Grünen geht es um Gefährtenschaft, bei Kurz eher Gefolgschaft. Nehammer ist wesentlich mehr Teamplayer als Kurz.
Wie erging es Ihnen da mit der inhaltlichen Arbeit?
Im vergangenen Jahr wurden sehr stark die grünen Kernpunkte umgesetzt. Aber es war eine harte Auseinandersetzung. Die türkise ÖVP hat auch oft Leuchtraketen abgefeuert, die mit der Wirklichkeit nicht viel zu tun hatten.
Leuchtraketen – zum Beispiel?
Zur Sicherungshaft steht im Regierungsprogramm nicht das drinnen, was man öffentlich gehört hat. Die ÖVP hat offenbar den Krampusrummel für die Galerie gebraucht.
Nehammer macht keinen Rummel?
In der Pandemie kommt wieder viel mehr von Experten. Da ist Nehammer faktenbasierter und weniger umfragegetrieben, das hat man schon am ersten Tag gesehen.
Man hört, Sie hätten Gernot Blümel bei den Verhandlungen zur Steuerreform sehr schätzen gelernt. Bedauern Sie, dass er gegangen ist?
Wir haben sehr oft persönlich verhandelt und hatten eine gute Basis – und das in einem Spannungsfeld, in dem parallel die Justiz massiv ermittelt hat. Es ist auch sein persönlicher Verdienst, dass wir eine Reform haben, die es sonst nirgends gibt und die Österreich zu einem Vorzeigeland macht. Ich glaube, dass Blümel bei manchen Dingen falsch beraten wurde, etwa, was die Aktenlieferungen an das Parlament betrifft.
Es war für Beobachter erstaunlich, mit welcher Härte die Grünen das Ultimatum durchgezogen haben, dass die Koalition nur ohne Kurz weitergehen kann. Wie hoch war das Risiko, zu scheitern?
Viel geringer als die meisten glauben. Ich habe die ÖVP immer so eingeschätzt, dass die Länder eine stabile Regierung wollen und nicht alle Minister gehen, wenn der Kanzler im Falle eines Misstrauensvotums abtreten muss. Für den Fall, dass etwas schief läuft, haben wir Gespräche mit allen Parteien gesucht, um für die Steuerreform und das Budget jedenfalls Mehrheiten abzusichern.
Was haben die Grünen in den zwei Jahren Regierung dazugelernt?
Wenn man sich ansieht, wo wir gestartet sind 2018 (nach dem Rauswurf aus dem Parlament), dann war das alles ein riesiges Lernprojekt. Bei 0 auf 100 ist die Differenz 100.
Stellen wir uns ein Zeugnis mit verbaler Beurteilung vor. Was steht zur Halbzeit bei den Grünen?
Wir machen vieles, was die Zukunft-Fitness angeht, schon ganz gut. Ich bin fest überzeugt, dass die Regierungsbeteiligung für eine Mehrheit der Österreicher Sinn macht, für das Klima jedenfalls. Und wenn die Arbeit auch in schwierigen Zeiten den Beteiligten auch noch Spaß macht , ist das gut.
Was treibt Sie 2022 an?
Umzusetzen, was in Gesetz und Budget gegossen wurde. Bei der Ökologisierung von Wirtschaft und Steuern gibt es viele neue Maschinenteile, die man aufeinander abstimmen und ins Laufen bringen muss. Das zweite Thema ist die Justiz: Es war eine große Schwäche von Sebastian Kurz, sich mit der Justiz anzulegen. Herausgekommen ist, dass wir riesige Zusatzbudgets herausgehandelt haben. Das sind hunderte Millionen Euro, die jetzt wirksam werden müssen. Für bestimmte Bereiche müssen wir noch etwas drauflegen. Eine echte Reform des Maßnahmenvollzugs war notwendig und kostet Geld.
Kommt die Impfpflicht trotz der zuletzt heftigen Kritik?
Die gesetzliche Rahmenordnung wird kommen, wir schauen uns die Rückmeldungen natürlich genau an. Der zweite Schritt ist, sie mit Verordnungen passgenau auf die pandemische Entwicklung abzustimmen.
Wie gehen Sie mit Impfgegnern in der eigenen Partei um?
Ich sage offen: Sorry, guys. Die Sichtweise des Individuums kann bei einer solchen Bedrohung nicht allein ausschlaggebend sein. Für mich hört sich der Spaß auf, wenn jemand die Impfung denunziert oder die Gefahr der Pandemie verharmlost.
Sie stellen sich beim Bundeskongress der Wiederwahl als Parteichef. Wie ist ihre Vision für die Grünen?
Momentan gilt es ohne parteipolitische Brille die Krise zu bewältigen. Dann werden wir eine Kampagne für nächste Schritte im Klimaschutz und Öko-Wirtschaft starten. Wir müssen vom Hörsaal bis zum Wirtshaus durchradeln, um die Chancen des Klimaschutzes für Wirtschafts- und Sozialpolitik in den Vordergrund zu stellen. Und wir sind, wie man sieht in der Lage, das auch mit einer ÖVP umzusetzen.
Soll Alexander Van der Bellen noch einmal für die Hofburg kandidieren?
Ich habe die Hoffnung, die Bitte, dass er sich für eine weitere Kandidatur entscheidet. Auch, wenn das nicht immer mit der erwünschten Lebensqualität einhergeht.
Jeder Politiker wird kritisiert – nur der Bundespräsident nicht. Fiele Ihnen etwas ein?
(Überlegt lange). Nein.
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