Kocher: "Wir müssen jetzt kurzfristig gegensteuern"
KURIER: Glauben Sie, dass Sie jetzt auch deshalb Wirtschaftsminister sind, weil die ÖVP keine passende Frau finden konnte?
Martin Kocher: Das weiß ich nicht, da muss man fragen, was für andere Optionen es noch gab. Es war dann doch eine relativ rasche Entscheidung notwendig, und da hat sich das als die optimale Variante herausgestellt.
Welche zentralen Akzente wollen Sie nun als Wirtschaftsminister setzen?
Wir haben immer noch sehr gute Wachstumsaussichten, aber es gibt eine große Unsicherheit, und die Teuerung führt dazu, dass auch Betriebe und Arbeitnehmer stark belastet sind. Hier müssen wir kurzfristig gegensteuern. Wir diskutieren derzeit mit dem Finanzministerium über ein Paket. Da geht es um die Abschaffung der Kalten Progression, um eine Senkung der Lohnnebenkosten und auch darum, wie die Schritte der beschlossenen Steuerreform am besten umgesetzt werden könnten.
Wenn man den Faktor Arbeit entlastet, wären Sie dann parallel dazu für höhere Vermögenssteuern?
Ich glaube, dass wir Spielraum haben für eine Entlastung, ohne andere Steuern zu erhöhen. Sonst wäre es ja keine Entlastung.
Gewerkschaften befürchten, dass durch die Zusammenlegung der Ministerien die Interessen der Arbeitnehmer ins Hintertreffen geraten. Wie wollen Sie garantieren, dass das nicht passiert?
Da gibt es einige Fakten, die hoffentlich auch genug Glaubwürdigkeit besitzen. Einerseits gab es das schon einmal. Zweitens ist es klar, dass natürlich alles, was wir hier gesetzlich vorbereiten, durchs Parlament muss. Damit passiert automatisch ein Interessensausgleich. Dazu gibt es laufend Gespräche und Kooperation mit den Sozialpartnern auf allen Ebenen. Das wird weiterhin der Fall sein, dafür verbürge ich mich.
Im Tourismus werden Sie mit Staatssekretärin Susanne Kraus-Winkler, WKO-Hotellerie-Obfrau, zusammenarbeiten. Ist es in der Konstellation möglich, Arbeitsbedingungen auch für Arbeitnehmer zu verbessern?
Die Frage ist zwar inhaltlich berechtigt. Aber klar ist, dass die Unternehmen die Arbeitsbedingungen, also Löhne und Arbeitszeitmodelle, bestimmen müssen. Und die Unternehmen haben ein großes Interesse, dass die besser werden. Wir werden, wo immer wir können, die Rahmenbedingungen verbessern. Ich bin sehr froh, dass wir dann jemanden im Haus haben, der die Probleme der Branche sehr gut kennt. Erhöhen sich die Löhne, steigen aber auch die Preise. Dann wird das Essen im Gasthaus teurer. Das muss uns allen klar sein.
Die CO2-Emissionen in der EU sollen bis 2030 um 55 Prozent gesenkt werden, unser CO2-Budget ist sehr begrenzt. Was werden Sie in Ihrer neuen Rolle unternehmen, dass sich im Bereich Green Jobs und Green Tech mehr tut?
Wir haben hier schon vieles zugrunde gelegt. Das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz muss jetzt umgesetzt werden. Hier sind schnelle Investitionen entscheidend, dafür braucht es schnelle Genehmigungsverfahren. Dann benötigen wir Arbeitskräfte. Dafür müssen wir vorhandenes Potenzial nutzen: Teilzeitbeschäftigte, Ältere und Arbeitssuchende. Wir brauchen mehr Initiativen wie die Umweltstiftung, die wir kürzlich vorgestellt haben, um zusätzliche Arbeitskräfte für Green Jobs zu haben.
Halten Sie Gas-Fracking in Österreich, wie Ihre Vorgängerin Margarete Schramböck, für eine Alternative, um unabhängiger von russischem Gas zu werden?
Ehrlich gesagt nicht. Dafür gibt es meines Erachtens bei bestehender Technologie nicht genug Flächen und Gasvorkommen. Angesichts der wirklich großen Herausforderung, aus der russischen Abhängigkeit zu kommen, sollten wir über alle Möglichkeiten diskutieren. Aber jetzt geht es, neben kurzfristig verfügbaren Alternativen, um die langfristige Perspektive, mehr aus Erneuerbaren zu haben und weniger fossile Energieträger einzusetzen.
Können Sie sich auch eine engere Kooperation mit den Golfstaaten vorstellen, etwa beim Grünen Wasserstoff?
Der entscheidende Faktor beim Energiemix wird sein, den Wasserstoff nicht zu vergessen. Wir haben gelernt, dass die Diversifizierung der Energieversorgung ganz entscheidend ist.
Und Atomkraft?
Das schließe ich für Österreich aus. Einige europäische Staaten setzen auf Atomkraft als Übergangstechnologie, weil sie die verfügbaren Kraftwerke haben. Riesige Investitionen jetzt in eine Technologie zu setzen, die nur übergangsmäßig – wenn überhaupt –Möglichkeiten bietet, halte ich nicht für sinnvoll.
Zur Arbeitsmarktreform: Sie können sich ein degressives Arbeitslosengeld gut vorstellen, das anfangs höher ist und stärker abfällt. Wird ein solches Modell nicht von Menschen ausgenutzt, die öfter kurzzeitig arbeitslos sind?
Klar ist: Es darf niemand viel bessergestellt werden, der öfters arbeitslos ist, als jemand, der die gleiche Zeit länger arbeitslos ist. Bei einem degressiven Modell wäre das technisch möglich, etwa über Anwartschaftszeiten.
Sie wollen den geringfügigen Zuverdienst zum Arbeitslosengeld neu regeln. Unter welchen Voraussetzungen soll er nicht mehr unbefristet möglich sein?
Der Zuverdienst sollte die Arbeitslosigkeit nicht verlängern, deshalb ist es sinnvoll, ihn zeitlich zu befristen. Er ist tatsächlich manchmal ein Hindernis, eine Vollzeitbeschäftigung anzunehmen. Es gibt keinen anderen Staat, wo der Zuverdienst unbefristet möglich ist. Jetzt verstehe ich, dass es in gewissen Bereichen zur Vermeidung von Armutsgefährdung oder für Qualifizierungsmaßnahmen notwendig ist, länger als einige Monate Zuverdienstmöglichkeiten zu haben. Ich glaube aber, da kann man klare Ausnahmetatbestände darstellen.
Sie haben laut OGM-Umfrage im ÖVP-Team die besten Vertrauenswerte. Liegt es daran, dass Sie Wissenschafter und nicht Politiker sind?
Ich versuche, meine Aufgabe so pragmatisch und sachorientiert wie möglich anzugehen. Das ist nicht immer möglich, aber es geht oft gut. Ich weiß aber auch, dass sich das sehr rasch ändern kann. Ich hoffe, dass es so lange wie möglich so bleibt.
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