Präsidentin Renate Anderl und Direktorin Silvia Hruška-Frank üben scharfe Kritik an den FPÖ-Plänen. Ein Ende der Kammer-Pflichtmitgliedschaft hätte massive Auswirkungen für die Arbeitnehmer.
KURIER: Die AK fordert zur Sanierung der Budgets eine Bankenabgabe. Wie geht es Ihnen damit, dass Sie damit zum Mitstreiter der FPÖ geworden sind, die das jetzt in den Koalitionsverhandlungen auch will?
Renate Anderl: Wir beurteilen politische Forderungen immer dahingehend, welche Auswirkungen sie auf unsere Mitglieder, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, haben. Wir sagen schon seit Langem, dass eine Abgabe seitens der Banken, die ja enorme Gewinne gemacht haben, dringend notwendig ist. Wir können das Defizit nicht rein ausgabenseitig sanieren. Das sagen auch namhafte Wirtschaftsforscher.
Die ÖVP schlägt nun alternativ einen Bankenbeitrag vor – in Form günstiger Kredite für Häuslbauer, eines Ausbaus des Bankomaten-Netzes und der Unterstützung von Unternehmen. Wäre dies ausreichend?
Anderl: Wie sollen denn mehr Bankomaten dem Budget und den Menschen helfen? Und bei über 30 Milliarden Euro Gewinn in den vergangenen drei Jahren und hohen Dividenden sind die ÖVP-Vorschläge insgesamt kein angemessener Beitrag der Banken, das ist nicht einmal ein Tröpfchen auf dem heißen Stein.
Am Nein der ÖVP zu der von der SPÖ geforderten Bankenabgabe sind wohl auch die Verhandlungen zur Dreierkoalition gescheitert. Was folgern Sie daraus, sollte sie nun unter Blau-Türkis doch beschlossen werden?
Anderl: Das müsste man die ÖVP fragen.
Silvia Hruška-Frank: Unsere Wahrnehmung bei den Dreier-Verhandlungen war: Es hat sehr lange gedauert, bis seitens der ÖVP überhaupt die Fiskalregeln verstanden worden sind. Es gibt auch Studien, wonach eine Bankenabgabe für die Konjunktur keineswegs schädlich ist. Vielleicht stecken solche sachlichen Gründe dahinter, dass jetzt in den Verhandlungen ein Umdenken eingesetzt hat.
Lange ging man davon aus, dass die Sozialpartner dafür sorgen werden, dass die Dreier-Verhandlungen zu einem erfolgreichen Abschluss kommen. Was sagt das Scheitern über den Zustand der Sozialpartnerschaft aus?
Anderl: Ich glaube nicht, dass man sie für das Scheitern verantwortlich machen kann. Sie war in den Verhandlungen nicht einmal vollständig vertreten. Letztlich ging es um politische Entscheidungen seitens der Parteispitzen, nicht der Sozialpartner.
Wie bewerten Sie das vorliegende blau-türkise Paket zur Budgetsanierung für das laufende Jahr?
Anderl: Wir müssen noch das Gesamtpaket abwarten. Arbeitsmarktpolitisch etwa haben wir bis dato wenig gehört. Ein Problem ist auch der Klimaschutz: Sollten hier tatsächlich alle relevanten Maßnahmen gestrichen werden, ist das sicher nicht positiv zu bewerten.
Aktuell heiß diskutiert wird die FPÖ-Idee einer sogenannten Herdprämie für Eltern, damit sie ihre Kinder länger zu Hause betreuen können. Ist so etwas für die AK überhaupt denkbar?
Anderl: Absolut nicht. Ich will nicht einmal darüber nachdenken. Das wäre ein Rückschritt in der Frauenpolitik. Wir, die Wirtschaftskammer und die Industriellenvereinigung verweisen ständig auf den Mangel an Fachkräften. Mit dieser Maßnahme würde man auf ein großes Potenzial an Fachkräften verzichten, die man mit Almosen zu Hause lassen würde, statt dass sie sich am Arbeitsmarkt weiterentwickeln können.
Befürworter argumentieren, dass sich damit die Wahlfreiheit in der Kinderbetreuung erhöhen würde.
Anderl: Das ist völlig falsch. Die echte Wahlfreiheit ist nur vorhanden, wenn es überhaupt eine Bildungseinrichtung gibt, in die ich mein Kind schicken kann. Daher ist es unser Ziel, dass es für jedes Kind einen Kindergartenplatz gibt. Wenn diese absurde Idee einer sogenannten Herdprämie tatsächlich umgesetzt wird, wird es von uns einen Sturm dagegen geben.
Die FPÖ hat im Wahlkampf gefordert, die Pflichtmitgliedschaft bei Wirtschafts- und Arbeiterkammer abzuschaffen. Eine solche gibt es in kaum einem anderen EU-Land. Was spricht also dagegen?
Anderl: Damit würde man ja nicht die Kammer bestrafen, sondern – in unserem Fall – vier Millionen Mitglieder, für die wir uns tagtäglich einsetzen. Etwa, wenn Löhne und Überstunden nicht bezahlt werden, oder wenn jemand ohne berechtigten Grund gekündigt oder entlassen wird. Tatsächlich gibt es wenige Länder mit einer Arbeiterkammer, aber viele, die sich eine wünschen würden und sogar daran arbeiten, eine zu bekommen.
Hruška-Frank: Wir bieten mit der AK-Mitgliedschaft einen Mehrwert, den sich ein Arbeitnehmer mit einer Rechtsschutzversicherung oder einer anwaltlichen Leistung niemals zukaufen könnte. So haben wir 2023 in Wien eine eigene Stabsstelle für Betrugsbekämpfung eingerichtet, die unter anderem zahlreiche Ungereimtheiten und dubiose Vorgänge hinsichtlich Sozialversicherung und Steuerzahlungen bei der „Dots“-Gastrogruppe aufgedeckt hat. Ein anderes Beispiel: Die AK Tirol hat bei der TIWAG nach nicht rechtskonformen Preiserhöhungen eine Strompreis-Entlastung über 80 Millionen Euro erwirkt. Die AK Salzburg hat bis zu 500 Euro Rückzahlungen pro Haushalt von der Salzburg AG erreicht. Diese Erfolge sind Leistungen für unseren Sozialstaat, die eigentlich unbezahlbar sind.
Kritiker wie die Agenda Austria wenden ein, ohne Pflichtmitgliedschaft würde die Servicequalität steigen, weil man sich mehr um die Mitglieder bemühen müsste.
Anderl: Viele Menschen hätten nicht einmal eine Haushaltsversicherung, wenn sie nicht Pflicht wäre. Das wäre auch bei uns so. Unsere Service-Angebote würden dann aber massiv zurückgehen. Es würde sich auch nicht mehr ausgehen, dass jedes einzelne Mitglied im Schnitt nur elf Euro pro Monat an Beiträgen zahlt. So haben wir aber in den vergangenen Jahren unsere Angebote massiv ausgebaut. Etwa im Bereich Pflege-Beratung oder Konsumentenschutz.
Hruška-Frank: Die Idee der Selbstverwaltung von Branchen, wie sie von den Kammern übernommen wird, ist eine zutiefst liberale Idee, die aus den in der bürgerlichen Revolution erkämpften Freiheitsrechten entstanden ist. Es geht hier auch um das Grundprinzip, dass Arbeitsbedingungen der Gegenstand eines Kollektivvertrages, und nicht des Preiskampfes der Unternehmen ist. Dass eine Institution wie Agenda Austria, die sich als liberaler Thinktank sieht, das einschränken will, ist geradezu absurd.
Präsident Harald Mahrer verweist darauf, dass die Wirtschaftskammer (WKO) 2023 ihre Beiträge um zehn Prozent gesenkt hat. Kommt so etwas auch für die AK infrage?
Anderl: Jede Senkung bedeutet weniger Serviceleistungen. Hinzu kommt: Die WKO hat wesentlich mehr Geld als wir, wir aber weitaus mehr Mitglieder. Und wenn man sich die Zahlen der WKO genauer anschaut, waren es tatsächlich nicht einmal drei Prozent, die der WKO-Präsident eingespart hat. Und das bei dem Volumen, das die WKO hat. Da brauchen wir nicht weiterreden, davon sind wir weit entfernt.
Renate Anderl wurde 1962 in Wien geboren. 1980 begann sie für den ÖGB zu arbeiten, konkret in der Gewerkschaft Metall-Bau-Energie. Von 2014 bis 2018 war sie ÖGB-Vizepräsidentin. Nach der AK Wahl 2019 wurde sie zur Präsidentin der AK Wien und der Bundesarbeitskammer (BAK) gewählt.
Silvia Hruška-Frank wurde 1976 geboren und studierte Jus an der Uni Wien. In der AK begann sie 2003 in der Abteilung Arbeitsrecht. 2021 wurde sie Bereichsleiterin Sozialpolitik, 2022 Direktorin der AK Wien und der Bundes-AK.
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