Kickls neue Ermittlungswaffen "treffen nicht nur Verbrecher"

Kickls neue Ermittlungswaffen "treffen nicht nur Verbrecher"
Das Sicherheitspaket ist trotz Experten-Warnungen aus Sicht der Regierung nun beschlussreif. Die Maßnahmen im KURIER-Check.

Bundestrojaner, IMSI-Catcher, Quick Freeze – zugegeben, wer mit derlei technischen Feinheiten nichts anfangen kann, wird hier zu lesen aufhören wollen. Sollte man aber nicht.

„Jeder, der ein Handy oder einen Computer hat, jeder, der sich im öffentlichen Raum bewegt, ist betroffen“, sagt Angela Lueger, Sicherheitssprecherin der SPÖ, zu den Überwachungsplänen der Regierung, die am Donnerstag im Innen- und Justizausschuss mit ÖVP-FPÖ-Mehrheit durchgewunken wurden.

„Das betrifft nicht nur Terroristen und Schwerverbrecher, sondern uns alle“, ergänzt Alma Zadic von der Liste Pilz.

Es hätte also durchaus Sinn gemacht, Experten, die sich damit auskennen, bei einem öffentlichen Hearing sprechen zu lassen. Das wollten die Regierungsparteien ÖVP und FPÖ aber nicht (mehr dazu hier); also hat die Opposition ihre Experten eben in ein Kaffeehaus eingeladen, um dort vor Medienvertretern zu erklären, warum die neuen Ermittlungswaffen von Innenminister Herbert Kickl nicht in Kraft treten sollten.

Überwachung von Internet-Kommunikation, Stichwort „Bundestrojaner“:

Um WhatsApp oder Skype abhören zu können, soll Tatverdächtigen eine Art Schadsoftware untergejubelt werden. „Das ist staatliches Hacken, bei dem Sicherheitslücken ausgenutzt werden, die der Staat im Interesse der Bevölkerung eigentlich schließen sollte“, kritisiert Kriminologin Angelika Adensamer von epicenter.works.

Der Bundestrojaner greift aber nur begrenzt, wendet Constanze Kurz vom Chaos Computer Club ein. Schadsoftware wird bevorzugt für den Marktführer Android entwickelt, für Apple iOS kaum. „Ein iPhone mit aktuellem Update ist nur mit sehr hohem Aufwand zu knacken, den man sich kaum leisten wird.“ Um an Daten zu kommen, müsste die Polizei physisch auf das Apple-Gerät zugreifen. „Halten Sie ihr Handy also immer gut fest“, scherzt die Datenschützerin.

Überwachung im öffentlichen Raum:

U-Bahnen, Bahnhöfe oder Flughäfen verfügen ja über Überwachungskameras. Laut neuem Gesetz müssen die Video- und Tonaufnahmen vier Wochen lang gespeichert und bei Verdachtsfällen der Polizei zur Verfügung gestellt werden.

Dadurch entstehe eine „flächendeckende staatliche Überwachung“, warnt Neos-Verfassungssprecher Nikolaus Scherak – gefilmt werden ja nicht nur Tatverdächtige, sondern alle, und die Fäden laufen bei der Polizei zusammen.

„Wir kennen das aus London, wo detaillierte Bewegungsprofile von Personen erstellt werden können. Das ist beängstigend. Ich will nicht wissen, was passiert, wenn dieses Werkzeug in die falschen Hände gerät.“ Zudem soll die automatische Fahrzeugerfassung auf Straßen ausgebaut werden.

„Quick Freeze“ und „IMSI-Catcher“:

Die Vorratsspeicherung wurde 2014 vom Europäischen Gerichtshof gekippt, als Nachfolgeregelung ist „Quick Freeze“ geplant. Telekom-Firmen können bei Verdacht auf eine Straftat verpflichtet werden, Daten bis zu zwölf Monate lang zu speichern.

IMSI-Catcher gibt es bereits seit 2007, offiziell sollen sie zur Lokalisierung von Handys dienen. Anwalt und Datenschutz-Experte Ewald Scheucher kritisiert, dass im neuen Gesetz noch immer keine Technik vorgesehen ist, die ausschließt, dass damit auch Gespräche abgehört werden.

Rechtsschutz und Strafhürden erhöht

Das Sicherheitspaket der ÖVP ist im Vorjahr am früheren Koalitionspartner SPÖ gescheitert. Mehr als 9000 Stellungnahmen sind in der Begutachtungszeit eingetroffen. Rechtsanwaltskammer, Richtervereinigung und sogar der Verfassungsdienst im Justizministerium meldeten Bedenken an.

Nachgebessert wurde etwa bei den Strafhürden: Die WhatsApp-Überwachung darf erst bei einem Verdacht auf Straftaten, die mit mehr als zehn Jahren Haft bedroht sind, angewendet werden, bei Delikten gegen Leib und Leben schon ab fünf. Zudem braucht es vorher eine richterliche Anordnung.

Justizminister Josef Moser betonte dazu, dass Rechtsschutz-Beauftragte von Beginn an eingebunden werden sollen und es bei Beschwerden auch die Möglichkeit gibt, Gutachter mit der Prüfung der Ermittlungsschritte zu beauftragen. Den Vorwurf, dass es eine "flächendeckende Überwachung" geben soll, wies er bei der Präsentation der Regierungsvorlage im Februar zurück.

Ex-ÖVP-Justizsprecher warnt vor "Überwachungsstaat"

Unter die Kritiker mischte sich am Donnerstag auch ein ÖVP-Mann: Michael Ikrath, bis 2013 ÖVP-Abgeordneter und ehemals Vorsitzender im Justizausschuss, warnt in einem Brief an alle Abgeordneten im Nationalrat vor einem "dramatischen Schritt vom liberalen Rechtsstaat zu einem polizeilichen Überwachungsstaat" und ersucht sie, das Vorhaben noch einmal zu überdenken.

Das Gesetzespaket soll noch im April im Nationalrat beschlossen werden, nach drei Jahren ist eine Evaluierung geplant. Ob einzelne Regelungen vom Höchstgericht gekippt werden könnten, ließe sich erst in der Praxis beurteilen, sagt Juristin Adensamer: „Beim Bundestrojaner muss man die technische Umsetzung bewerten.“ In anderen Bereichen könnte man etwa beim Rechtsschutz nachbessern, damit das Gesetz hält.

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