Kern: "Wir haben gute Chancen, in fünf Jahren zurückzukehren"

"Regierungsverhandlungen sind bisher ein einziges Marketingprojekt“, sagt Kern
Solange ÖVP und FPÖ noch an der Koalition basteln, darf Kern im Kanzlerzimmer sitzen. Dort liest er jetzt auch Artikel über künstliche Intelligenz und telefoniert mit anderen sozialdemokratischen Parteichefs über die Zukunft ihrer Bewegung.

KURIER: Herr Bundeskanzler, auf Facebook waren Sie als begeisterter Fan beim Konzert von Nick Cave zu sehen. Ist es die richtige Form eine Wahlniederlage aufzuarbeiten, den melancholischen Liedern von Cave zuzuhören?

Christian Kern: (lacht) Abgesehen davon, dass wir mehr als 100.000 Stimmen dazugewonnen haben, sagen das nur die, die noch nie bei einem Nick-Cave-Konzert waren, der Mann ist in Wahrheit ein Poet, der in der Lage ist, das Leben in seiner gesamten Bandbreite lustvoll zu interpretieren. Der hat auch großartige Bücher geschrieben, eindrückliche Filmmusik, ein echtes Genie und eine außergewöhnliche Persönlichkeit.

Im Weeping Song heißt es: "I'm not weeping too long." Das ist sozusagen die Hoffnung, oder?

"Some people say it’s just rock’n’roll, but it gets right down to your soul", würde ich es persönlich eher mit den Worten des Künstlers ausdrücken. Ich habe mit der SPÖ noch viel vor.

Wer hat verloren? Die SPÖ, Christian Kern, Silberstein, Gusenbauer?

Noch einmal – wir haben viele Stimmen dazu gewonnen und nicht verloren. Von einer Wahlniederlage kann daher wohl nicht die Rede sein. Und zwar in einem Umfeld, in dem sich andere sozialdemokratische Parteien in ihre Bestandteile aufgelöst haben. Die Wahl 2013 war nicht durch Migration dominiert, wie es jetzt der Fall war. Und noch eines: 2013 hatte die SPÖ die Boulevard-Medien im Rücken. Diesmal haben die Medien die Inszenierung der ÖVP unterstützt und verstärkt. Und man muss auch fairerweise dazu sagen, dass wir einen Gegner hatten, der seine Kampagne sehr gut inszeniert hat.

Wolfgang Schüssel hat gegen den Boulevard Wahlen gewonnen und regiert.

Das ist schwer vergleichbar. Es war schon beispiellos, das ging über Wochen, massiv und persönlich, auch gegen meine Familie. Aber man sollte andererseits auch die Bedeutung der Massenmedien im Wahlkampf nicht überschätzen.

Sebastian Kurz hat auf Veränderungen gesetzt. Oft haben die Menschen Angst vor Veränderung. Wie ist es ihm gelungen, das positiv zu besetzen?

Mit Verlaub, aber das war eine einzige leere Worthülse. Solange man nicht sagt welche Veränderung – und das ist ja bis heute nicht passiert – und das Ganze nur in eine Marketing-Wolke hüllt, finden das alle gut. Das ist ja ganz klar, weil die Veränderungen sollen ja immer beim Nachbarn stattfinden. Auch die Regierungsverhandlungen sind bisher ein einziges Marketingprojekt, wenn ein Burschenschafter mit Skirennläufern verhandelt, dann geht es ums Spektakel und nicht um die Sache.

Warum waren Sie nicht für Veränderungen?

Das ist eine merkwürdige Frage. Unser Plan A ist ein einziges, sehr konkretes Veränderungskonzept. Keine Partei in Österreich hat das Land je so verändert wie die SPÖ. Wir wollten die Macht, um Veränderungen herbeizuführen, für Jobs für Arbeitslose, ein besseres Bildungssystem, für erstklassige medizinische Versorgung für alle. Das ist die Veränderung, für die wir stehen. Bei der ÖVP haben wir gelernt, dass das taktische Reden über die Veränderung das Instrument ist, um die Macht zu bekommen. Konkrete Inhalte? Fehlanzeige.

Ich muss Sie mit Silberstein noch quälen. Sie haben mit dem Plan A Ideen vorgelegt, warum brauchten Sie dann einen Negativ-Campaigner?

Kern: "Wir haben gute Chancen, in fünf Jahren zurückzukehren"
Interview mit SPÖ-Chef und Noch-Bundeskanzler Christian Kern in seinem Büro im Bundeskanzleramt. Wien, am 03.11.2017
Der war von uns nicht mit Negative Campaigning beauftragt worden. Wir haben Verträge und Honorarnoten sogar veröffentlicht. Das kann man dort nachlesen.

Aber er war dafür bekannt, hat das auch in anderen Ländern gemacht.

Bekannt war er auch für Kampagnen, die er etwa für die Neos in Wien gemacht hat. Wir reden darüber, dass er ungesteuert zwei dilettantische, primitive Facebook-Seiten gemacht hat, die 0,2% der Wahlberechtigten erreicht haben. Das lehne ich grundsätzlich ab. Passiert unter mir sicher nie wieder. Das war aber genauso irrelevant für das Wahlergebnis wie die Anti-Kern-Facebook-Seiten aus dem ÖVP-Umfeld und die Sudelgeschichten auf der FPÖ-nahen Plattform unzensuriert.at.

Wann war Ihnen klar, dass Sie nicht Nummer Eins werden?

Sonntag zu Mittag.

Ernsthaft, vorher nicht?

Nein. Die TV-Duelle haben uns sehr geholfen. Mitte der letzten Woche waren ja erst die zwei Konfrontationen mit Kurz und dann noch die Elefantenrunde, danach hatten wir eine massive Dynamik für uns, eine echte Aufholjagd.

Sie haben in einem KURIER-Interview mal gesagt, Sie wollen auf Fakten setzen und nicht auf Emotionen, aber alles wird immer emotionaler.

In der Migrationsfrage wollten wir nicht die negative Stimmung und die Emotionen bedienen und dazu stehe ich. Wir müssen Probleme lösen, aber nicht durch Zuspitzung Menschen gegeneinander ausspielen. Das würde ich jederzeit wieder so betreiben, denn ehrlich gesagt muss da jeder aufpassen, welche Geister er da ruft. Dass ein ehemaliger KZ-Häftling wie Rudi Gelbhart, der sich gegen Schwarz-Blau ausspricht, ganz offen von Rechtsextremen bedroht wird, ist unerträglich.

Die SPÖ geht in Opposition, der Spruch "Opposition ist Mist" soll da keine Bilder erzeugen, reden wir von der Baustelle SPÖ. In Industrieländern wie Oberösterreich liegt die SPÖ unter 20 Prozent, die SPÖ Wien ist zerstritten, die Gewerkschaften wirken nicht wirklich modern.

Auch wenn Sie es noch so oft wiederholen, wir haben bei dieser Wahl entgegen nahezu allen Umfragen zugelegt und nicht verloren. Eine andere Partei hat mehr Stimmen bekommen: gut. Aber bei dieser Wahl ist etwas Bemerkenswertes passiert, nämlich eine Veränderung in unserer Wählerschaft, die noch nicht ausreichend analysiert ist. Die Modernisierungsverlierer, die eigentlich eher sozialdemokratische Wähler gewesen sind, waren in einem erstaunlich hohen Ausmaß bei ÖVP und FPÖ, während wir bei städtischen Bürgern und Bürgerinnen, die eher ein positives Zukunftsbild haben, zugelegt haben. Wer glaubte, dass das Land in eine richtige Richtung geht, hat eher die SPÖ gewählt.

In der Konsequenz heißt das mehr um die Modernisierungsverlierer kümmern oder schauen, dass es mehr Leute gibt, die an die Zukunft glauben?

Wir müssen beides tun. Wir brauchen eine Kombination aus Innovation und sozialer Gerechtigkeit und die Veränderung als Chance zu begreifen. Da macht’s auch keinen Sinn in einer Opposition alles als furchtbar zu erklären.

Zwischen 2000 und 2006 hat die SPÖ in Opposition nicht so viel zusammengebracht hat, und dann hat Schüssel die Wahl verloren, nicht unbedingt Gusenbauer gewonnen.

Das stimmt schon, jetzt ist die Modernisierung der SPÖ ein zentrales Thema. Seit ich Parteivorsitzender bin, haben wir fünfeinhalbtausend neue Mitglieder dazugewonnen. Sehr viele Junge. Das ist nicht schlecht. Das wollen wir jetzt ausbauen. Zu glauben wir brauchen uns nicht zu verändern, während sich die Welt um uns herum verändert, ist der zuverlässige Weg in die Bedeutungslosigkeit.

Und wie soll sich Österreich verändern?

Drei Stränge sind entscheidend: Wie gehen wir mit der Globalisierung um? Das betriff den ganzen Welthandel. Da steckt die Migrationsfrage drinnen. Die zweite Thematik ist, wie gehen wir mit der Zukunft der Digitalisierung um, da haben wir steuerliche Ideen und Bildungsvorschläge. Das dritte ist, wie gehen wir mit dem Klimawandel um? Über all dem schwebt die Frage der sozialen Gerechtigkeit, der Teilhabe an einer innovativen Gesellschaft. Beim Reformparteitag 2018 werden wir das alles diskutieren.

Digitalisierung heißt ja auch Spitzenforschung. Wir haben keine Elite-Universitäten, wie die Deutschen und auch die Schweizer.

Wir betreiben ja in Gugging ein Experiment, das vielversprechend läuft, in der Grundlagenforschung. Aber so etwas braucht Zeit. Und wir haben ganz konkret Bündnisse aus der Industrie, aus Start-ups und Forschungseinrichtungen geschaffen. In der Elektromobilität wurden Maßstäbe gesetzt, wenn man sich die LKWs anschaut. Beim autonomen Fahren hat Samsung die größte Investition in diesem Bereich in Österreich getätigt. Das wird bei einer Wahl natürlich nicht belohnt, weil das ist ein mittelfristiger Umbau unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsstrukturen, wo wir natürlich ganz bewusst solche Arbeitsplätze schaffen. Wegen denen wirst du aber offenbar nicht gewählt, wenn über den Wahlthemen die Ausländerfrage schwebt.

Aber wir brauchen trotzdem ein Bekenntnis zur Elite in diesem Bereich.

Absolut. Das haben wir auch durch ganz konkrete Taten bewiesen. Aber bei der Marketingveranstaltung namens Regierungsverhandlungen ist das Weltbild "Wir müssen die Wirtschaft stärken, dann geht’s uns allen gut." Elitendenken alleine ist aber keine Lösung. Es gibt Punkte, die die Wirtschaft nicht löst, deshalb haben wir Arbeitsplätze für die über 50-Jährigen geschaffen, den Pflegeregress abgeschafft.

Wie bringen wir mehr Eltern dazu, für eine bessere Bildung ihrer Kinder zu sorgen?

Das ist ein gesellschaftliches Phänomen, da müssen wir die Eltern unterstützen, die Kinder fördern, wir brauchen bessere Ganztagesangebote für Familien, die sich das nicht leisten können.

Auch bei den Migranteneltern?

Das ist besonders wichtig. Ich rede mit vielen Lehrerinnen, die erzählen mir von Schülern, die als einzige in der Familie in der Früh aufstehen müssen. Mit einem "Bilde dich doch" kommen wir da nicht weiter. Wir haben eine Bankenmilliarde für Ganztagsschulen zur Verfügung gestellt, das ist Voraussetzung, dass sich am Nachmittag jemand um diese Kinder kümmert, dass sie gefördert werden. Dasselbe müssen wir jetzt mit den Kindergärten machen. Wir wollen den Eltern die Kinder nicht wegnehmen, aber wir brauchen echte Wahlfreiheit. Aber leider sitzen jetzt diejenigen bei Regierungsverhandlungen zusammen, die glauben, der Platz der Frau ist am Herd.

Wo werden Sie die Regierung am stärksten kritisieren?

Die Frage der sozialen Gerechtigkeit wird eine große sein und natürlich werden die beiden jetzt ein Machtkartell aufbauen. Ich bin davon überzeugt, und das hört man ja schon, dass das nicht nur eine Regierungsvereinbarung für den Bund ist, sondern eine, die Wien und Niederösterreich gleich mit regelt, um dort die totale schwarz-blaue Machtübernahme zu betreiben.

Wien zu verlieren, wäre für die SPÖ die ultimative Katastrophe? Das wäre der Mega-Gau?

Wir werden es nicht verlieren. Wir haben gerade in den Großstädten und in den urbanen Gebieten signifikant zulegen können. In Graz und Innsbruck sogar zweistellig.

Wir wissen ja nicht mal wer nächster Wiener Bürgermeister wird.

Nein, noch nicht.

Wann wissen wir das?

Am 27. Jänner.

Christian Kern?

Nein.

Das ist ja auch mehrfach gesagt worden. Das zeigt ja auch das Problem der SPÖ, dass es da interne Kämpfe gibt.

Bei allen Meinungsunterschieden gibt es genug Verbindendes. Allen ist klar, dass es genug politische Herausforderungen gibt. Schwarz-Blau kündigt Wohltaten an und traut sich bis heute nicht zu sagen, wo das Geld herkommt. Hinter der schwarz-blauen Inszenierung steht ein Projekt des Sozialabbaues. Denen geht es darum, Machtstrukturen zu verfestigen, das Land umzufärben, in schwarz-blau zu tauchen. Man sieht ja schon die diversen Diskussionen, die über die Minister und Ressorts geführt werden. Und wie man sich die Bundesländer aufteilt.

Aber in Machtstrukturen aufbauen war die SPÖ ja auch nicht schlecht.

Bei uns hat das immer Grenzen gehabt. Wenn man sich anschaut, wie viele Journalisten heute beim ORF zittern, also vor einem roten Bundeskanzler hat dort keiner gezittert und das auch aus gutem Grund, weil wir immer gewusst haben, es gibt eine journalistische Verantwortung, die wir auch zu respektieren haben. Das war in der Ära Schwarz-Blau I anders.

Man hört aus dem ORF, jedenfalls ganz oben, biedert man sich an.

Opportunisten gibt es überall. Aber das ist wahrlich kein ORF-Phänomen. In anderen Institutionen und Medien haben viele schon vorsorglich ihr Fähnchen nach dem Wind gerichtet. Das geht sehr schnell. Wir werden das politische Gegengewicht dazu stellen. Dann haben wir in fünf Jahren eine gute Chance, das Kanzleramt zurückzuerobern.

Kommentare