Kern: "Nein" zu Türkei-Beitritt schließt gemeinsamen Weg nicht aus

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Kanzler will auf Verbalattacken aus Ankara nicht reagieren: "Wer mich beleidigen kann, bestimme ich noch selbst."

Er bleibt dabei, trotz der Kritik aus der Türkei: Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) wiederholte am Mittwoch seine Forderung, dass die EU die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei abbrechen sollte. Es gehe um eine Grundsatzdiskussion, sagte der Kanzler im Ö1 Mittagsjournal des ORF. Sollte die Türkei aber die Todesstrafe wieder einführen, sei das Thema ohnehin bald vom Tisch. Dies sei für alle EU-Staaten inakzeptabel.

"Wir können nicht jemanden akzeptieren, der demokratische Standards nicht einhält oder rechtsstaatliche Notwendigkeiten ignoriert", umriss Kern seine Haltung zur Türkei. Ein "Nein" zu den Beitrittsverhandlungen schließe einen "gemeinsamen Weg" aber nicht aus, meinte der Kanzler, der innerhalb der EU nun Verbündete für seine Linie finden will. "Die Türkei ist ein wichtiger Partner", etwa in Sicherheitsfragen. Er plädiere dafür, dass Verhältnis "neu zu ordnen."

"Das ist keine Strategie gegen die FPÖ"

Dass er mit seiner Linie in Wahrheit innenpolitische Ziele verfolge und der FPÖ den Wind aus den Segeln nehmen wolle, wies Kern zurück. "Das ist keine Strategie". Vielmehr gehe es um ein "Verständnis von Rechtsstaatlichkeit." Erdogan hatte nach dem missglückten Militärputsch Mitte Juli die Wiedereinführung der Todesstrafe in den Raum gestellt. Das würde nach Angaben der EU das Ende der Beitrittsverhandlungen bedeuten.

Kern: "Nein" zu Türkei-Beitritt schließt gemeinsamen Weg nicht aus
Am 27. Juli 2016 besuchte Bundeskanzler Christian Kern (im Bild) das Bundesland Salzburg. Im Bild bei ORF-Salzburg.

Auf verbale Attacken eines Beraters des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, der in Richtung Kern "Verpiss Dich, Ungläubiger!" getwittert hatte, wolle er nicht reagieren, erklärte der SPÖ-Politiker. "Man muss nicht jede Bemerkung ernst nehmen, sondern die Emotionen im Zaum halten. Wer mich beleidigen kann, bestimme ich noch selbst. Bedenklich sei im Zusammenhang mit dem Zitat freilich die "Politisierung des Islams". "Nicht nur in der Türkei".

"Nicht sehr glücklich" über Zugangsbeschränkung

Zu den von der Technischen Universität (TU) Wien erstmals eingeführten Zugangsbeschränkungen für Informatikstudenten kündigte Kern im Ö1-Mittagsjournal an, dass man sich darüber noch mit dem Uni-Management "auseinandersetzen" werde.

Kern gestand zu, dass es aus der Sicht der Uni angesichts der begrenzten Mittel möglicherweise eine richtige Entscheidung sei. Gesamtwirtschaftlich sei dies jedoch "nicht akzeptabel". Der Bundeskanzler verwies auf das große Bedürfnis der Wirtschaft und der Industrie nach Informatikern angesichts der zunehmenden Digitalisierung und Automatisierung der Wirtschaft.

Die Möglichkeit zur Einführung von Zugangsbeschränkungen in der Informatik wurde 2013 eingeführt und erst im Vorjahr von den Regierungsparteien bis 2021 verlängert. Bisher machte davon nur die Uni Innsbruck Gebrauch, die TU und die Uni Wien folgen mit Beginn des kommenden Studienjahrs. Wer dort keinen Studienplatz bekommt, kann an die Unis Salzburg, Klagenfurt und Linz bzw. die TU Graz wechseln. Dort sind die Informatikstudien nach wie vor nicht beschränkt.

Verstärkte Autonomie für Schulen

In der Bildungspolitik hält es Kern für "sinnvoll", dass das Ministerium oberste Schulbehörde bleibt. Dass die Landeshauptleute künftig den geplanten Bildungsdirektionen vorstehen können sollen und die Bildungsministerin diesen Weisungen erteilen müsste, ist für Kern akzeptabel. "Ich kann damit leben." Das größte Reformprojekt ist nach Ansicht Kerns aber eine verstärkte Autonomie für die Schulen. Es sei wichtig, dass die Direktoren Schwerpunkte setzen können, um den Anforderungen der jeweiligen Region gerecht werden zu können.

Bezüglich der Abmilderung der sogenannten Kalten Progression zeigte sich der Bundeskanzler zuversichtlich, auf dem Verhandlungsweg einen Kompromiss mit der ÖVP zu finden. Einig sei man sich in dem Ziel, dass es eine Steuersenkung geben soll, wenn die Inflation einen Wert von drei Prozent übersteigt. Während die ÖVP aber hier einen Automatismus will, trete die SPÖ für "soziale Gerechtigkeit" und eine stärkere Entlastung niedriger Einkommen ein, weil die Inflation die niedrigen und mittleren Einkommen stärker treffe.

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