Niemand kann diese Fragen derzeit beantworten. Keiner weiß, ob noch etwas Verfängliches in irgendwelchen Chats/Mails/sonstigen Unterlagen oder beschlagnahmten Handys schlummert.
Die Folgen sind Verunsicherung – und Vorkehrungen für den Notfall Neuwahl.
Schauplatz Hofburg. Laut Verfassung ist der Bundespräsident der Chef des Kanzlers. Er betraut ihn, er kann ihn abberufen. Alexander Van der Bellen hat bereits eine Linie angedeutet, wie er mit einer Kurz-Anklage umgehen würde: Die Unschuldsvermutung gelte bis zu einer richterlichen Verurteilung, und dieser Grundsatz gelte auch für Politiker, sagte Van der Bellen. Das würde bedeuten, dass Kurz im Fall einer Anklage im Amt bleiben könnte, bei Verurteilung müsste er gehen.
Schauplatz ÖVP. Dort hofft man natürlich, dass das Ärgste an Affären überstanden ist, und dass sich die Lage mit dem Ende des U-Ausschusses und dem Wirtschaftsaufschwung stabilisiert.
Tatsache ist aber auch: Der Einblick in das türkise Innenleben durch die Chats hat viele schockiert und enttäuscht, Kurz hat bei Parteigängern und Sympathisanten an Ansehen verloren. Das schlägt sich einerseits in sinkenden Umfragewerten nieder. Andererseits drückt sich der Autoritätsverlust auch in internen Debatten aus, die bis vor Kurzem unmöglich erschienen: Man denkt in der ÖVP tatsächlich über mögliche Alternativen zu Kurz nach.
Sollte Kurz nicht zu halten sein, könnte Salzburgs Landeshauptmann Wilfried Haslauer als Kanzler nach Wien gehen. Der 65-Jährige könnte, so das Kalkül, als Elder Statesman die Lage beruhigen und die Koalition mit den Grünen fortführen. Haslauers Nachfolge in Salzburg ist mit Landesrat Stefan Schnöll bereits auf Schiene.
Schauplatz Grüne. Sollte sich bei der ÖVP mehr Schwarz ins Türkis mischen, käme das den Grünen entgegen. Sie regieren in drei Ländern mit deklarierten „Schwarzen“.
Schauplatz FPÖ. Warum hat Herbert Kickl schon jetzt, drei Jahre vor dem regulären Wahltermin, Norbert Hofer weggemobbt?
In der FPÖ gibt es für den Zeitpunkt zwei Erklärungen: Falls Manfred Haimbuchner nach der Landtagswahl im Herbst nicht mehr Koalitionspartner der ÖVP wird und dann vielleicht doch Bundesambitionen entwickelt, wollte Kickl den Platz an der FPÖ-Spitze vorsorglich durch sich selbst besetzt wissen. Zweitens wegen der labilen Situation in der Bundespolitik. „Falls Neuwahlen ausbrechen, sollte die FPÖ nicht erst darüber streiten müssen, wer ihr Spitzenkandidat wird. Das wollte Kickl vermeiden“, erzählt ein FPÖ-Stratege.
Schauplatz SPÖ. Auch die überraschende Kampagne der SPÖ hat einen internen und einen externen Grund. Dass Pamela Rendi-Wagner wenige Wochen vor dem Parteitag affichiert wird, ist ein Signal an die Delegierten, dass die SPÖ-Granden (mit Ausnahme Hans Peter Doskozil) hinter Rendi-Wagner stehen, und dass ein gutes Wahlergebnis für sie erwünscht ist. Zudem will man auch in der SPÖ-Zentrale nicht auf die Haltbarkeit der Regierung wetten. „Türkis-Grün wird versuchen, durchzutauchen. Aber das Thema Justiz wird die ÖVP noch länger beschäftigen, Neuwahlen sind nicht auszuschließen. Wir wollen daher Kampagnenfähigkeit zeigen“, sagt ein SP-Stratege.
Schauplatz Neos: Die Pinken halten kommende Woche eine Bundesversammlung ab. Sie bleiben im Bund auf kantigem Oppositionskurs.
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